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SCHUTZGEBIET/647: Schutzgebiete und lokale Bevölkerung (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010
2010 Entscheidungsjahr für die Biologische Vielfalt

Schutzgebiete und lokale Bevölkerung
Theorie und Praxis weichen oft ab

Von Elke Mannigel


Naturschutzgebiete sind eine Möglichkeit die biologische Vielfalt der Erde zu schützen, die auch in der Konvention zur Biologischen Vielfalt eine wichtige Rolle spielt. Dabei denken viele Menschen bei Schutzgebieten vor allem an die letzten großen Wildnisregionen der Erde, unberührte und unbewohnte Natur. Allerdings hat schon eine Studie in den 90er Jahren gezeigt, dass in vielen Nationalparken in Lateinamerika Menschen wohnen.[1]

Die Umsiedlung der Menschen aus den Nationalparken in umliegende Gebiete war in der Vergangenheit die gängige Lösung. Allerdings fehlte es oft an Mitteln für die Entschädigungszahlungen und an gutem Land für die Wiederansiedlung. Konflikte waren so vorprogrammiert. Inzwischen ist es international anerkannt, dass die Einbindung der lokalen Bevölkerung bei der Einrichtung und dem Management von Naturschutzgebieten eine wichtige Grundlage ist. Bei der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die Biologische Vielfalt 2008 in Bonn sind die Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften in vielen der verabschiedeten Beschlüsse explizit anerkannt worden. Ihre wichtige Rolle für die Langfristigkeit auch im Bezug auf Schutzgebiete wurde immer wieder betont.


Wie kann die Einbindung funktionieren?

Inzwischen gibt es zahlreiche Methoden für die Einbindung der lokalen Bevölkerung, wie Beiräte und für die Förderung der nachhaltigen Entwicklung in den Randzonen der Schutzgebiete. Fast alle großen Naturschutzorganisationen geben die Beteiligung der lokalen Bevölkerung als ein wichtiges Instrument an und nehmen dies in die Strategiepapiere für die unterschiedlichen Regionen und Schutzgebietstypen auf. Auf dem Weltnaturschutzkongress 2008 in Barcelona wurde eine neue Unterteilung von Schutzgebieten in verschiedene Governance-Typen [2] vorgestellt. Dabei geht es nicht mehr darum, WIE in den einzelnen Schutzgebieten WAS geschützt werden soll, sondern WER die Entscheidungen trifft. Das sind zum Beispiel Staatliche Institutionen, Nichtregierungsorganisationen oder ein Co-Management aus beiden. Bedeutend ist, dass lokale und Indigenen Gemeinden als eigene wichtige Akteure anerkannt und explizit genannt werden. Wichtig ist auch, dass sich die Einbindung auf das Treffen von Entscheidungen bezieht und nicht nur auf die Weitergabe von Informationen an die lokale Bevölkerung. Ein wichtiger Schritt, um den langjährigen Konflikt zwischen Befürwortern von Schutzgebieten und lokalen und Indigenen Gruppen zu entschärfen. Viel stärker als in der Vergangenheit wird die Beteiligung nicht nur als eine zusätzliche Option für das Management von Schutzgebieten gesehen, sondern auch als ein fundamentales Menschenrecht auf Zugang zu den wichtigen natürlichen Ressourcen und eine selbstbestimmte Lebensweise.


Die Praxis sieht oft noch anders aus

Dennoch ist die Praxis auch heute noch sehr unterschiedlich. Naturschutzorganisationen sind mit der Umsetzung von Entwicklungs- oder Landwirtschaftsprojekten oft überfordert und Schutzgebietsmanager mit biologischer Ausbildung sind oft nicht auf die Zusammenarbeit mit den Menschen vorbereitet. Die Forderung, dass Schutzgebiete der Motor für die lokale Entwicklung sein müssen, weckt oft Erwartungen, die nicht immer erfüllt werden können, wenn die Ziele im Naturschutz nicht ganz verloren gehen sollen.

Es gibt auch heute noch zahlreiche Beispiele von Projekten oder Schutzgebieten wo die Einbindung der lokalen Bevölkerung nicht richtig funktioniert. Das zeigte zum Beispiel der Bericht des Sonderberichterstatters James Anaya an die Vereinten Nationen vom September 2009 [3]. Ein beschriebener Fall ist das Zentral Kalahari Wildreservat (Central Kalahari Game Reserve) in Botswana, wo Bewohner die umgesiedelt wurden sich über mangelnde Einbindung und Unterstützung beklagen. Auch für Nepal fordert der Bericht noch eine bessere Einbindung der lokalen Bevölkerung in das Schutzgebietsmanagement, eine Entschädigung für Nutzungseinschränkungen und eine gerechte Verteilung des Nutzens aus der Einrichtung der Schutzgebiete für die lokale Bevölkerung.

Auf meiner letzten Reise im Januar 2010 nach Indonesien konnte ich live ein Beispiele für die noch mangelnde Praxis erleben. Das Raja Ampat Archipel im Westen von West Papua auf der Insel Neuguinea wird auch als Korallendreieck bezeichnet, weil dort die biologische Vielfalt in den Korallenriffen zu den höchsten in der Welt gehört. OroVerde arbeitet zusammen mit einem lokalen Partner seit 2003 an dem Erhalt der letzten Regenwälder in der Region, deren Schutz auch für den Schutz der Korallenriffe von extremer Bedeutung ist. Auch andere internationale Naturschutzorganisationen sind inzwischen im Raja Ampat Archipel aktiv und arbeiten an der wissenschaftlichen Sammlung von Artenzahlen und dem Monitoring der biologischen Vielfalt. Dabei wurden vor allem die Gebiete identifiziert, die besonders wertvoll für den Erhalt sind und zur Ausweisung als Schutzgebiete vorgeschlagen. Bewohner und lokale Naturschutzorganisationen beklagen, dass sie in die Prozesse der Ausweisung nicht einbezogen waren und andere über ihre Ressourcen bestimmen. Beklagt wird vor allem die Arbeit einer größeren internationalen Organisation, die zwar Umweltbildung in den lokalen Gemeinden betrieben hat, aber alle Entscheidungen über die Köpfe der Einwohner hinweg mit den zuständigen Behörden verhandelt hat. Im Moment kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen der Organisation und der Bevölkerung, was auch die Naturschutzarbeit extrem kompliziert macht.


Neue Wege durch neue Instrumente?

Neben dem Alltag in den Schutzgebieten, spielt die lokale Bevölkerung auch auf der politischen Ebene und bei der Finanzierung von Projekten in Schutzgebieten eine immer größere Rolle. Auf der oben schon erwähnten Vertragsstaatenkonferenz 2008 hat das Umweltministerium die LifeWeb-Initiative ins Leben gerufen, über die dringend notwendige finanzielle Mittel fließen sollen. LifeWeb ist als Dating Plattform konzipiert, um neue, zusätzliche finanzielle Ressourcen für Schutzgebiete weltweit zur Verfügung zu stellen und die Umsetzung des Schutzgebietsarbeitsprogramms der Biodiversitätskonvention (Programme of Work on Protected Areas) voranzutreiben. Lokale und Indigene Gemeinden sollen dabei auch Fördermittel für Schutzgebiete bekommen können, wenn die jeweilige nationale Regierung zustimmt. Die Beteiligung am Management der über LifeWeb finanzierten Schutzgebiete sollte sich nach den Vorgaben der Biodiversitätskonvention richten. Allerdings gibt es zurzeit keinen Mechanismus, um die Umsetzung auch wirklich zu überprüfen und keine Garantie, dass bei den finanzierten Vorhaben wirklich alle lokalen Akteure beteiligt werden. Unklar ist noch, wie hier Transparenz hergestellt werden kann, um Beschwerden von lokalen Gemeinschaften möglichst zeitnah aufzunehmen und die Einbindung zu verbessern.


Positive Ansätze durch neue Wege und Kooperationen

Die Arbeit von OroVerde in verschiedenen Projekten zeigt, wie die Einbindung der lokalen Bevölkerung funktionieren kann. Ein gutes Beispiel ist unser Projekt in Guatemala. Der Nationalpark "Sierra del Lacandón" ist eine der sieben Kernzonen des Maya-Biosphärenreservats. Er liegt im nördlichen Tiefland Guatemalas an der Grenze zu Mexiko, in der Provinz El Petén. Zahlreiche bedrohte Tier- und Pflanzenarten wie z.B. der Hellrote Ara, der Ozelot, der Guatemala-Brüllaffe und der Jaguar sind hier beheimatet; sie alle brauchen geschlossene Waldflächen als Lebensraum. Der Park beherbergt 100 bis 200 Baumarten pro Hektar und insgesamt 424 Vogelarten. Damit hat er eine weltweite Bedeutung. In der Region herrscht ein hoher Nutzungsdruck auf die natürlichen Ressourcen durch die Bevölkerung. Seit 2003 führt OroVerde zusammen mit den Defensores de la Naturaleza, die den Park gemeinsam mit der staatlichen Schutzgebietsbehörde verwalten, ein Pilot-Projekt in der Gemeinde "Arroyo Yaxchilán" im Nationalpark durch, bei dem die lokalen Bewohner beim Schutz und der Wiederaufforstung aktiv mithelfen und dafür auf der einen Seite finanzielle Anreize erhalten und auf der anderen das Recht bekommen, weiterhin angepasste Landwirtschaft in Randzonen des Parks zu betreiben. Sie sind inzwischen wichtige Alliierte im Schutz des Parks gegen illegale Übergriffe und Waldbrände.

Um die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung im Umfeld von Schutzgebieten weiter zu verbessern ist Oro-Verde seit 2007 eine Partnerschaft mit der Welthungerhilfe eingegangen, die viel Erfahrung in der Verbesserung der Landwirtschaft für die ländliche Bevölkerung hat. Das erklärte Ziel der Kooperation ist es, die einzigartige Natur in den jeweiligen Projektgebieten nachhaltig zu schützen und dabei gleichzeitig die Lebensqualität der lokalen Bevölkerung zu verbessern. Das Programm wird in drei verschiedenen Schutzgebieten auf Kuba, in der Dominikanischen Republik und in Nicaragua umgesetzt. Zusammen mit der lokalen Bevölkerung werden alternative und nachhaltige Einkommensquellen erschlossen. Eine nachhaltige Landnutzung ermöglicht ihnen eine reichhaltigere Ernährung und ein höheres Einkommen und somit eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen. Die Partnerorganisationen in den drei Ländern arbeiten seit Jahren mit der Bevölkerung zusammen und kennen ihre Probleme gut. Mit dem Erhalt der Tropenwälder kann die Wasserqualität für die jeweiligen Regionen gesichert werden, für die Medizin wichtige Pflanzen bleiben vom Aussterben bewahrt und es wird ein Beitrag zur lokalen als auch globalen Klimastabilität geleistet.

Die Autorin ist Projektkoordinatorin bei der Tropenwaldstiftung OroVerde.


[1] Amend, S. and T. Amend (Eds.). 1992. Espacios sin habitantes? Parques nacionales de América del Sur. IUCN, Caracas/Gland. pp 457-472.

[2] IUCN 2008, Guidelines for Applying the IUCN System of Protected Areas Management Categories.

[3] James Anaya, 23 September 2009, Promotion and Protection of all Human Rights, Civil, Political, Economic, Social and Cultural Rights, including the Right to Development Report of the Special Rapporter on the situation of human rights and fundamental freedoms of indigenous people, UN Human rights Council.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
OroVerde arbeitet zusammen mit einem lokalen Partner seit 2003 am Erhalt der Regenwälder in Indonesien. Auch die Kinder nehmen Anteil.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010, S. 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010