Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LEBENSRÄUME

SCHUTZGEBIET/701: Nationalpark Hainich - Klein, aber fein (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2011
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

NATIONALPARK

Hainich
Klein, aber fein

Von Severin Zillich


Urwald mitten in Deutschland: In einigen Jahrzehnten dürfte dieser Wahlspruch des Nationalparks Hainich seine Berechtigung haben. Das oberflächlich unscheinbare Schutzgebiet im Westen Thüringens ist auf dem besten Weg, ein echtes Stück Wildnis zu werden.

»Ich war im Hainich!« Wer es darauf anlegt, mit seinen Reisezielen zu renommieren, sollte sich nach einer Fahrt in den Nationalpark Hainich auf Enttäuschungen gefasst machen. Denn ein ratloser Blick wird in der Regel die einzige Antwort bleiben. Obschon im Zentrum Deutschlands gelegen, ist der Hainich über die Grenzen Thüringens hinaus nur wenig bekannt.

Allein bei Freunden freier Naturentfaltung dürfen Sie mit leuchtenden Augen rechnen. Und die wissen, warum: Kaum sonstwo bei uns darf sich Natur ähnlich ungestört nach ihren eigenen Gesetzen entwickeln. Das hat mehrere Gründe. Nicht der geringste dürfte sein, dass der Hainich so wenig überlaufen ist.


Ein Wald als Naturerbe

Warum fristet der Hainich bis heute ein Schattendasein unter den deutschen Nationalparks, zumindest was seine Besucherzahlen betrifft? Schon vor sieben Jahren stand dazu im BUNDmagazin zu lesen: »Auf den ersten Blick überrascht diese Missachtung des Hainichs nicht. Imposante Felsen und Berge - Fehlanzeige. Vielleicht ein großer Fluss, ein schöner See, eine prächtige Küste? Dreimal nein. Was andere Nationalparks ziert, wird man hier vergeblich suchen.« Dabei ist es geblieben, ja wird es immer bleiben. Zwar hat auch der Hainich inzwischen seine Besucherattraktion: den Baumkronenpfad. Doch dazu später. Denn die eigentliche Attraktion ist der Nationalpark selbst.

Am 31. Dezember 1997 wurde die Südhälfte des Höhenzugs Hainich zum Nationalpark ernannt. Im Schutz eines militärischen Sperrgebiets hatten sich hier jahrzehntelang Wälder entwickelt, die dem ursprünglichen Waldbild Mitteleuropas sehr nahekommen. Die Buche ist der dominierende Baum dieses größten geschlossenen Laubwalds in Deutschland. Je länger der Mensch hier nicht mehr eingegriffen hat, desto stärker prägt sie den Wald. Am urtümlichsten präsentiert sich der Wald hinter den Schießbahnen - kein Holzverarbeiter wollte sich durch Munitionssplitter die Sägen ruinieren. Wie wertvoll dieser Wald ist, dokumentiert der Antrag, die deutschen Buchenwälder zum Weltnaturerbe zu küren: Der Nationalpark Hainich steuerte unter den fünf ausgewählten Waldgebieten die größte Teilfläche bei. Auch nördlich der Parkgrenze schließt sich wertvoller Wald an: ein von privaten Laubgenossenschaften genutzter Plenterwald, der ebenfalls naturnah aufgebaut ist. Er erweitert den Lebensraum vieler Bewohner des (mit 7 500 Hektar etwas klein geratenen) Nationalparks.


Sich selbst überlassen

Aus drei Gründen verdienen die Wälder des Hainichs besondere Beachtung. Da ist einmal ihre Naturnähe: Standortfremde Nadelbäume wurden hier nur punktuell gepflanzt. Ohne forstliche Hilfe sind sie auf dem trockenen Muschelkalkboden mittelfristig zum Absterben verurteilt. Eingriffe der Parkverwaltung sind daher nicht (mehr) erforderlich.

Diese Naturnähe führt dazu, dass zweitens bereits 91 Prozent des Nationalparks ganz sich selbst überlassen sind. Kein anderer deutscher Nationalpark weist einen vergleichbaren Anteil nutzungsfreier Fläche auf. Nur gejagt wird hier noch, zwischen August und Dezember, und das mehr und mehr auf die Randzonen begrenzt. Damit wird der Verbiss durch Dam- und Rotwild, Rehe und Wildschweine soweit eingedämmt, dass der Schutzzweck - die natürliche Waldentwicklung - gesichert ist. Die übrigen neun Prozent sind extensive Schafweiden. 2018 enden die letzten Pachtverträge, dann wird auch hier Natur wieder Natur sein dürfen.

Schließlich - und drittens - ist der Hainich Deutschlands einziger Nationalpark auf Muschelkalk. Dieser Untergrund bringt besonders viele Frühjahrsblüher hervor, die ab März den noch blätterlosen Wald schmücken. Dazu kommen allein 26 verschiedene Orchideen sowie eine Vielfalt an Baumarten, die - bei aller Dominanz der Buche - hierzulande ihresgleichen sucht: 29 Baumarten gelten im Hainich als ursprünglich, darunter die Eibe als einziger Nadelbaum. Zwischen den Buchen wachsen Elsbeere, Wildkirsche oder Feldahorn zu imposanter Größe auf. Wo Pionierwald die Lichtungen erobert, herrschen Esche und Bergahorn vor.


Baumkronen und Wildkatzen

Der artenreichen Pflanzenwelt entspricht eine noch artenreichere Pilzflora und Fauna: Über 2.000 Pilz- und 10.000 Tierarten werden im Nationalpark vermutet und jedes Jahr neue Arten entdeckt, 2010 allein 70 weitere Käfer. Systematisch erforscht die Verwaltung mithilfe mehrerer Universitäten die Lebenswelt des Hainichs. Jede Art liefert ein zusätzliches Argument für seinen Schutz - speziell Raritäten wie Reiters Strunksaftkäfer, der in Deutschland schon als ausgestorben galt.

Doch Manfred Großmann, Leiter des Nationalparks, weiß: »Die Politik misst uns nicht an der Zahl der Käferarten, sondern der Besucher.« Und hier hat sich der Hainich ebenfalls entwickelt. Aus den 25.000 Gästen der Anfangsjahre sind inzwischen 300.000 geworden. Die meisten kommen, um den Baumkronenpfad zu begehen. In der Randzone des Nationalparks bei Craula bietet er auf 530 Meter Länge zwischen 10 und 40 Meter Höhe tolle Einblicke in die Wipfelzone eines vielgestaltigen Laubwaldes. Wen es so weit oben schwindelt, der kann aufs nahe Infozentrum Thiemsburg ausweichen. Hier wird das biologische Potenzial des Hainichs sehr ansprechend präsentiert.

In naher Zukunft wird der BUND eine weitere Attraktion beisteuern: das Wildkatzendorf in Hütscheroda, knapp außerhalb des Nationalparks. Ein Katzengehege und viele Informationen sollen den Besuchern das Symboltier des Hainichs nahebringen. Thomas Mölich leitet von hier aus das BUND-Rettungsnetz für die Wildkatze (ein »ganz hervorragendes Projekt«, wie Großmanns Stellvertreter Rüdiger Biehl lobt). Mölich hat den Nationalpark als wichtigen Trittstein für die Wiederausbreitung der stark bedrohten Art identifiziert.

Wie der gesamte Nationalpark ist der Baumkronenpfad leider nur schwer ohne Auto zu erreichen - obwohl Bad Langensalza und Mühlhausen per Bahn gut angebunden sind (www.fahrtziel-natur.de). Trotz diverser Anläufe ist es bisher nicht gelungen, eine attraktive Buslinie zu etablieren. Zuletzt wurde das Angebot gar noch ausgedünnt, ein »schmerzhafter« Rückschritt, wie die Parkverwaltung anmerkt.


Gut geführt

Mit ihren acht Mitarbeitern ist die Verwaltung äußerst schmal besetzt, was Manfred Großmann »jammerschade« findet: »Wir haben kaum noch Zeit, um neue Ideen umzusetzen.« Dennoch festigt sich vor Ort und bei der Lektüre des vorbildlichen Nationalparkplans der Eindruck: Diese Verwaltung tut genau das Richtige, um im Hainich eine unbeeinflusste natürliche Entwicklung zuzulassen. Und sie kann sich dabei auf 90 Prozent Zustimmung im Umkreis stützen. Was will man mehr von einem Nationalpark?

Dieses Verdienst könnte nun auch die UNESCO anerkennen: Im Juni fällt die Entscheidung, ob die Kernzone des Nationalparks Hainich künftig als Weltnaturerbe gilt. Der BUND drückt die Daumen!(*)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Bärlauchfluren prägen die Wälder des Hainichs im Frühling.
Nationalpark Hainich Thüringen (Karte)
BUND-Mitarbeiter Thomas Mölich bei einer Führung auf dem Baumkronenpfad.
Vielfalt im Kleinen: Wer Arten wie diesen winzigen Baumpilz entdecken will, muss genau hinsehen. Der Schwarze Weberbock (mitte) lebt an Weiden und Pappeln in den Bachtälern des Hainichs. Einer von sieben Spechten im Park ist der Mittelspecht.


(*) Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
Inzwischen wurde der Nationalpark Hainich von der UNESCO als Weltnaturerbe anerkannt


*


Quelle:
BUNDmagazin 2/2011, S. 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
Email: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net

Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2011