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SCHUTZGEBIET/720: Last und Segen - Biosphärenreservat Elbaue (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2011
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

BIOSPHÄRE
Flusslandschaft Elbe
Last und Segen

von Severin Zillich


Weite Teile der Elbaue bilden das größte Biosphärenreservat des deutschen Binnenlandes. Kann die Elbe mit ihrer noch annähernd natürlichen Dynamik und ihrem breiten Flusstal als Modellregion für nachhaltiges Wirtschaften gelten?


Eintausendvierundneunzig Kilometer durchströmt die Elbe von ihrer Quelle im Riesengebirge, bis sie bei Cuxhaven in die Nordsee mündet. Südöstlich der Lutherstadt Wittenberg überquert sie die Grenze von Sachsen nach Sachsen-Anhalt - und leiht von nun an Deutschlands längstem Schutzgebiet ihren Namen. Exakt 401 Flusskilometer umfasst das Biosphärenreservat »Flusslandschaft Elbe«, das erst kurz vor Hamburg endet. Über die Hälfte seiner Fläche und 303 Flusskilometer entfallen auf Sachsen-Anhalt. Hier liegt auch der älteste und wertvollste Teil der Biosphäre.


Russische Dimensionen

Kühn, ja visionär muss man den Beschluss nennen, das letzte naturnahe Stromtal Deutschlands auf Hunderten von Kilometern in ein anspruchsvolles Schutzkonzept zu betten. 1997 erkannte die UNESCO die fünf Bundesländer übergreifende Biosphäre an - übrigens auf Antrag der Umweltministerin Sachsen-Anhalts,


Was sollen Biosphärenreservate sein?

Im Rahmen des UNESCO-Programms »Der Mensch und die Biosphäre« entstanden bis heute 580 Biosphärenreservate in 114 Ländern, fünfzehn davon in Deutschland. Ihr vorrangiges Ziel ist das harmonische Miteinander von Wirtschaft, Ökologie und Sozialem. Dazu Walter Hirche, Präsident der deutschen UNESCO-Kommission: »Für nachhaltige Entwicklung gibt es kein Patentrezept. An möglichst vielen Stellen unseres Planeten sind daher Räume für Experimente und für das Lernen nachhaltigen Wirtschaftens unter Realbedingungen gefragt. Diese Räume sind die Biosphärenreservate.«


Heidrun Heidecke, die heute die Naturschutzarbeit des BUND koordiniert. Der ursprünglichste Teil, das Naturschutzgebiet Steckby-Lödderitzer Forst bei Dessau, war schon 1979 zur Biosphäre ernannt worden. Dieser größte deutsche Auwaldkomplex bekam 1988 Gesellschaft durch das angrenzende Dessau-Wörlitzer Gartenreich. Es umfasst 142 qkm der naturnahen Aue von Elbe und Mulde, die vor über 200 Jahren zu einer kunstvollen Kulturlandschaft umgestaltet wurden und heute zum Weltkulturerbe der UNESCO zählen.

Weitere Teile der Elbaue wurden 1990 als »Tafelsilber« der deutschen Einheit gesichert. 1997 dann der große Wurf: Nicht nur die gesamte anhaltinische Elbaue wird zur Biosphäre, auch flussabwärts verpflichtet man sich, die Elbe und ihre Umgebung nachhaltig zu nutzen, bis hinunter ins holsteinische Tesperhude.

So weit, so gut. Doch die »russischen Dimensionen« dieses »schwierigsten Biosphärenreservates in Europa« - so Guido Puhlmann, Leiter der Biosphäre in Sachsen-Anhalt - sind Last und Segen zugleich. Ein Segen oder besser: eine Chance bieten großflächige Schutzgebiete etwa für die biologische Vielfalt, die auch an der Elbe vorrangig Beachtung finden soll. Der Lebensraum von Wanderfischen, Weißstorch oder Elbebiber kann nur in großem Maßstab nachhaltig gesichert werden. Doch muss ein derart ausgedehntes, wenig kompaktes Reservat jede Verwaltung vor logistische Probleme stellen. Umso mehr, wenn diese in fünf Landesverwaltungen (ohne Überbau) aufgesplittet ist, deren Ausstattung den komplexen Anforderungen einer Biosphäre kaum angemessen ist. So sitzt in der größten (der anhaltinischen) genau ein höherer Dienstgrad, der Leiter selbst. Für viele Teilaufgaben fehlt ihm qualifiziertes Personal.


Neue Hoffnung für die Elbe?

Modellhafte Nachhaltigkeit - das ist kein geringer Anspruch. Wie kann ihm der wirtschaftende Mensch in der »Flusslandschaft Elbe« gerecht werden? Betrachten wir zuerst den Fluss selbst. Ein guter Teil der 3,7 Milliarden Euro, die seit der Wende in ostdeutsche Wasserstraßen investiert wurden, ist der Elbe zugekommen. Biosphäre hin oder her, es wurde geschottert und geholzt, begradigt und vertieft, um den wenigen Schiffen eine ganzjährige Wassertiefe von 1,60 Metern zu garantieren - was jedoch nie auch nur annähernd gelang. Zudem fließen bis heute Millionen in neue, meist überdimensionierte Hafenanlagen. Der erhoffte Aufschwung des Güterverkehrs ließ sich so nicht herbeibauen, die Schiffe wurden von Jahr zu Jahr weniger.

Die Bautätigkeit der Wasserbehörden hat viele Uferpartien zerstört. Schlimmer noch: Sie trägt zur Vertiefung der Flusssohle bei. Dadurch sinkt stetig der Wasserspiegel, zum Teil bereits um bis zu zwei Meter. Auwälder, Feuchtwiesen und Gewässer trocknen so aus.

Die Gewässernutzung als Schlüsselbereich der Biosphäre ist bisher also alles andere als nachhaltig. Nun aber gibt es Hoffnung: Knapper Kassen wegen will das Bundesverkehrsministerium die Elbe zum Nebennetz, den Elbe-Seitenkanal jedoch zum Hauptnetz erklären. Die Elbe könnte so endlich ökologischer bewirtschaftet werden. Noch ist der Widerstand der Länder (auch S.Anhalts) heftig. Dabei hätte die Bundesregierung nur eine Realität anerkannt, die der Leiter des BUND-Elbeprojektes, Ernst Paul Dörfler, seit vielen Jahren predigt: Als Fluss mit periodischem Niedrigwasser setzt die Elbe der Güterschifffahrt enge natürliche Grenzen.

Unvereinbar mit den Zielen einer Biosphäre ist auch, dass die Behörden vielerorts vorsorglich Weiden und sonstige Ufergehölze roden, damit die Fluten im Falle eines Hochwassers schneller abfließen können. Eine Sisyphusarbeit, die einem unserer bedrohtesten Ökosysteme - dem Auwald - empfindlich schadet und der nationalen Biodiversitätsstrategie klar widerspricht.

Stattdessen zielt ein vorbeugender Hochwasserschutz darauf, mehr Wasser in der Fläche zurückzuhalten. Vorbildhaft zeigt dies die Biosphäre mit der Rückverlegung von Deichen im brandenburgischen Lenzen (mit dem BUND als Partner) und bei Steckby (mit dem WWF). Hier wurden viele Hundert Hektar einstiger Schwemmfläche wieder mit der Elbe verbunden.


Anspruch und Wirklichkeit

Und wie nachhaltig agiert der größte Flächennutzer, die Landwirtschaft, auf seinen 70 Prozent der Biosphäre? Nun, die Verwaltung hätte gern mehr Ökolandbau (nur er verdient das Siegel »nachhaltig«) und setzt mit Agrarprogrammen punktuelle Anreize. Doch sie verfügt weder über die Instrumente noch das Geld, um die gerade im Osten riesigen Agrarbetriebe auf den fruchtbaren Aueböden zum Umsteuern zu bewegen. Ein »zentrales Dilemma«, gibt Guido Puhlmann zu, »die Bauern brauchen uns hier weniger«. Ähnliches gilt in Teilen für die Forstwirtschaft, obgleich diese weniger abhängig von EU-Beschlüssen ist und hier mehr Bewusstsein für naturnahe Nutzungsformen reift.

Wie schwer es an der Elbe fällt, die Nutzung an den übergeordneten Zielen der Biosphäre zu orientieren, zeigt auch der Konflikt um die Kernzone. 3% der Fläche sollen frei von jeder Nutzung sein, so fordert die UNESCO. Nur 0,7% sind bislang ausgewiesen, ein Armutszeugnis für die fünf Landesverwaltungen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auch hier weit auseinander.

Selbst wenn die internationalen Kriterien für ein Biosphärenreservat an der Elbe vorläufig kaum eingelöst werden, ist die Flusslandschaft doch zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert. Am besten lässt sie sich vom Elberadweg aus erleben, Deutschlands beliebtestem Radfernweg. Sicher, Hoteliers und Gastronomen könnten hier die Ziele der Biosphäre weit mehr zu ihren eigenen machen, auf regionale Qualität und Biokost setzen. Dennoch ist eine Radtour entlang der Elbe ein Genuss - und wird es hoffentlich noch lange bleiben.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Wo sonst gibt es solche Flussufer in Deutschland?
• Schotterung des Elbufers - bald Vergangenheit?
• Radweg durchs Dessau-Wörlitzer Gartenreich
• BUND-Protest: mit Fackeln für den Schutz der Elbe.



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Quelle:
BUNDmagazin 4/2011, S. 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2011