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SCHUTZGEBIET/721: Überwachung der Luchs-Population im Bayerischen Wald (WWF Magazin)


WWF Magazin, Ausgabe 1/2012
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Aktiv

Wo sich Luchs und Hase Gute Nacht sagen


Im Nationalpark Bayerischer Wald unterstützt der WWF die Überwachung der Luchs-Population. WWF-Mitarbeiter Roland Gramling hat sich an Ort und Stelle auf Beobachtungsposten begeben.

Eine gute Nacht würde der Luchs dem Hasen freilich nicht wünschen, wenn er ihm begegnen würde. Eher würde er wohl "guten Appetit" sagen, denn knapp ein Viertel seiner Beute besteht nach Schätzungen aus Kleinsäugern wie etwa Hasen, Kaninchen oder Eichhörnchen. Trotzdem sollte Meister Lampe weiterhin mehr Angst vor dem Fuchs haben. Der Luchs ist nämlich ein äußerst "verschnegter", also pingeliger Esser. Seine unangefochtene Leibspeise ist das Reh. Rothirsch, Wildschwein, Hase oder gar Schafe spielen auf seiner Speisekarte eine eher untergeordnete Rolle.

Bis zu 60 Rehe erlegt ein ausgewachsener Luchs pro Jahr. Das hört sich viel an, doch Rehe gibt es im Bayerischen Wald in ausreichender Zahl. Luchse sind dagegen wesentlich seltener. Insgesamt 24 Einzeltiere haben die vom WWF mitfinanzierten Kamerafallen zwischen November 2009 und Februar 2010 fotografiert. Doch diese Zahl ist nicht in Stein gemeißelt, schließlich "bewohnen" die Luchse nicht nur die beiden benachbarten Nationalparks Bayerischer Wald und Sumava (Tschechien), sondern auch deren Umland. Wohl auch deshalb haben wir während unseres Besuchs zwar zwei Eichhörnchen gesehen, jedoch keinen Luchs. Dabei waren wir schon ziemlich nahe dran. Aber der Reihe nach.


Tag 1: Luchse im Nebel

Bei unserer Ankunft im Bayerischen Wald lasten schwere, graue Wolken auf den bewaldeten Bergen und Hängen. Nebelschwaden steigen träge aus den Tälern auf. Es regnet seit 24 Stunden ununterbrochen. Das Thermometer zeigt kaum zehn Grad. Doch gerade bei dieser Witterung offenbart eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Westeuropas seinen einmaligen Charakter: wild, ursprünglich und ein bisschen düster. Immer wieder spähe ich erwartungsvoll in den Wald hinein. Ich befinde mich mitten im Luchs-Land und hoffe die Tiere auch sehen zu können. Das ist jedoch ziemlich unwahrscheinlich, schließlich bleiben die scheuen Katzen meist gut vor dem menschlichen Auge verborgen.

Der Eurasische Luchs ist heute in 49 Ländern verbreitet - von Frankreich im Westen bis Nordkorea im Osten. Doch bis 1900 wurde der Luchs in fast ganz West- und Südeuropa ausgerottet. Heute steht er bei uns unter Schutz und kehrt glücklicherweise langsam in seine einstige Heimat zurück. Luchse wanderten vermutlich aus den Karpaten über den Böhmerwald in den Bayerischen Wald. Im Harz wiederum wurden Tiere wiederangesiedelt. "Die einzelnen Populationen hierzulande sind sehr klein. Umso wichtiger, dass man die Vorkommen genau beobachtet, um im Notfall eines plötzlichen Bestandsschwunds rasch reagieren zu können", erklärt Dr. Janosch Arnold, Referent für europäische Großsäuger beim WWF Deutschland. "Der WWF unterstützt daher im Nationalpark Bayerischer Wald das Monitoring durch Fotofallen und GPS-Sender" - also die genaue Beobachtung und Überwachung der Tiere.


Tag 2: SMS von Tessa

Das Monitoring stand am zweiten Reisetag im Mittelpunkt. Mit Hilfe einer Telemetrie-Ausrüstung nähern wir uns der besenderten Luchs-Dame Tessa bis auf 100 Meter. Informationen über ihren Verbleib und ihre Streifzüge teilt Tessa über ihr Spezialhalsband per SMS mit. Sie hat dafür sogar eine eigene Telefonnummer. Daten über ihre weiteren Aktivitäten werden direkt vom Halsband heruntergeladen - vorausgesetzt, man kommt nahe genug an sie heran. Diesmal hat es geklappt. "All data has been saved" erscheint auf dem Display.

Gesehen haben wir Tessa trotzdem nicht - aber sie mit Sicherheit uns. Glück haben wir auch beim Besuch zweier Fotofallen. Tatsächlich sind Aufnahmen von Luchsmännchen Kika auf der Chipkarte. Doch auch Fuchs, Marderhund und Hase tapsten in die Kamerafalle. Und jede Menge Zweibeiner. Kein Wunder: Ein Fotofallen-Standort liegt in unmittelbarer Nähe zu einem Rastplatz. Trotzdem kommt hier der Luchs oft vorbei. Projektkoordinatorin Kirsten Weingarth identifiziert die Tiere anhand biometrischer Daten. Dazu gehört die Musterung des Fells - sie ist so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Bei Kika erkennt Weingarth ein menschliches Gesicht. "Augen, Nase, Mund", erklärt sie und deutet auf die entsprechenden Fellflecken. Durch die Identifizierung lässt sich die Präsenz einzelner Tiere über längere Zeiträume sowie die gesamte Populationsentwicklung der Luchse beobachten. Und durch die GPS-Besenderung der Tiere werden Reste erlegter Beutetiere gefunden. So ergibt sich ein genaues Bild über den Speiseplan der Luchse. "Das ist alles wichtig, um ein wirkungsvolles Management durchzuführen und Antworten auf immer wiederkehrende Fragen zu finden", sagt Janosch Arnold. Welche Tiere wandern weiter? Wie viele überleben? Und vor allem: Wie beeinflusst der Luchs als Beutegreifer das Ökosystem?


Tag 3: Magie eines Morgens

Der dritte Tag im Luchs-Land beginnt für uns früh. Um 4:30 Uhr klingelt der Wecker. Kurz darauf geht es ab in den Wald. Im Schattenreich zwischen Nacht und Tag wollen wir Wildtiere beobachten. Wenn schon kein Luchs vorbeikommt, dann hoffen wir doch zumindest darauf, seine potenziellen Beutetiere zu sehen: Reh, Rothirsch oder Wildschwein. Noch in der Finsternis klettern wir auf einen Hochsitz. Kurz darauf setzt die Dämmerung ein. Die Lichtung vor uns, bei der Ankunft noch schemenhaft grau, gewinnt langsam an Kontur. Bäume, Sträucher und Felsen lösen sich aus der Dunkelheit, geben dem Wald sein vertrautes Gesicht. Der Ruf eines Kauzes ist zu hören, die Bäume knacken und ächzen. Plötzlich ertönt ein lautes Röhren: Rothirschbrunft. Ein magischer Moment. Märchenhaft. Verwunschen. Der Mythos Wald ist wieder greifbar. In Gedanken sehe ich einen Hirsch majestätisch durch die schleierhaften Nebelschwaden schreiten. Doch daraus wird nichts. Nur zwei Eichhörnchen huschen an einem nahen Baum empor. Ansonsten zeigt sich kein Tier auf der Lichtung. Doch das macht (fast) nichts. Die Magie dieses Morgens wird noch lange nachwirken. Hier lässt sich erahnen, wie Europa vor vielen Jahrhunderten ausgesehen haben muss.

Dank zahlreicher Initiativen und Aufklärungsarbeit an Ort und Stelle wurde der Luchs zu einem "Botschafter" dieser in Deutschland einmaligen Region. Doch trotz der Erfolge bleibt die Katze mit den Pinselohren in Deutschland bedroht. In der nationalen Roten Liste wird der Luchs als "stark gefährdet" geführt, er darf nicht bejagt werden. Sein Bestand ist klein und kaum schätzbar. Und immer wieder verschwinden Tiere, sodass die Überlebensrate unbekannt ist. Deshalb braucht der Luchs auch weiterhin unseren Schutz. Zugleich zeigt sein Vorkommen im Bayerischen Wald, dass eine Rückkehr von Großsäugern nach Westeuropa möglich ist. Ein gutes Zeichen nicht nur für Lynx lynx, sondern auch für Arten wie Wolf, Bär, Wisent oder Elch, die zu uns zurückkehren können.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Stille Heimkehrer: Es gibt wieder Luchse im Bayerischen Wald, man bekommt sie allerdings kaum zu Gesicht.

• Dem Luchs auf der Spur: Per Spezialhalsband senden Luchse Informationen über ihren Aufenthaltsort und ihre Streifzüge.

• 24 Luchse sind dem WWF in die Fotofalle gegangen
Auf der Pirsch: Der Luchs ernährt sich bevorzugt von Rehfleisch. Glücklicherweise leben genug der wilden Paarhufer im Bayerischen Wald.

• (Verbreitungskarte) Luchse in Deutschland
Die größte Luchs-Population lebt derzeit im Bayerischen Wald.


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Quelle:
WWF Magazin 1/2012, Seite 20-23
Herausgeber:
WWF Deutschland
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2012