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SCHUTZGEBIET/757: "Grün, grün, grün muss er sein" - Nationalpark Bayerischer Wald (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 115/4.2012

wald
Grün, grün, grün muss er sein

von Annette Littmeier, Berlin



Vor mehr als 40 Jahren wurde mit der Gründung des Nationalparks Bayerischer Wald das Prinzip "Natur Natur sein lassen" für einen großen Landschaftsraum in die Tat umgesetzt. Die Menschen, die den ersten deutschen Nationalpark auf den Weg gebracht haben, haben Mut zum "Nichtstun" bewiesen und in großen Teilen des Parks die Natur sich selbst überlassen. Die Erfahrungen und die wissenschaftliche Begleitung zeigen, dass es für den Fortbestand und die Verjüngung des Waldes am besten ist, wenn der Mensch nicht eingreift. Aber von Beginn an haben große Teile der lokalen Bevölkerung lautstark gegen dieses "Nichtstun" protestiert und politisch Einfluss genommen. 2007 - 37 Jahre nach Gründung des Nationalparks und 10 Jahre nach seiner Erweiterung - sah sich die Nationalparkverwaltung aufgrund des massiven und langjährigen Protestes dazu veranlasst, von der Strategie des "Natur Natur sein lassen" in großen Teilen des Erweiterungsgebietes wieder abzurücken. Der Nationalparkplan wurde geändert: Seit 2007 muss in den fichtenreichen Beständen des Erweiterungsgebietes der Borkenkäfer bekämpft werden (s. Karte S. 27). Um nach größeren Sturmereignissen eine Massenausbreitung des Borkenkäfers zu verhindern, sind häufig Kahlschläge notwendig. Dies hat aber gerade in den Hochlagen dramatische Folgen für die Waldentwicklung. ROBIN WOOD hat sich deshalb mit anderen Umweltverbänden im Februar 2012 an den Bayerischen Umweltminister gewandt und einen Stopp dieser Kahlschläge gefordert - bisher ohne Erfolg. Die ROBIN WOOD Fachgruppe Wald traf sich im Nationalpark Bayerischer Wald, um sich vor Ort über die Sachlage zu informieren und das weitere Vorgehen zu besprechen. Michael Großmann, langjähriges ROBIN WOOD Mitglied und seit 1990 Mitarbeiter im Nationalpark, führte die Gruppe und bekam überraschender Weise Unterstützung durch Hans Bibelriether, den ersten Leiter des Nationalparks (1970 bis 1998). ROBIN WOOD hatte erstmals zu solch einem Treffen auch die FörderInnen aus der Umgebung eingeladen. Dabei stellte sich heraus, dass Hans Bibelriether seit vielen Jahren Förderer ist.

Das Wetter ist nicht gerade einladend, als sich die ROBIN WOOD Fachgruppe Wald auf den Weg zum Lusengipfel macht. Mit deutlich weniger als 15 °C, Wind und tiefhängenden Wolken ist das Wetter Anfang September aber durchaus typisch und es ist, als wolle der Wald uns am eigenen Leib spüren lassen, mit welchen klimatischen Bedingungen er hier und vor allem oberhalb von 1.200 Metern zurecht kommen muss: Sieben Monate Schnee, bis zu 1.800 mm Niederschlag und eine Jahresmitteltemperatur von 3,5 °C. (Bundesdurchschnitt: 850 mm Niederschlag, Jahresmitteltemperatur 8,0 °C). In dieser Höhenlage wird der Tannen-Buchenwald - der aufgrund historischer, wirtschaftlicher Nutzung noch immer einen erhöhten Fichtenanteil enthält - vom Fichtenhochlagenwald abgelöst. Die anspruchsvollen Baumarten Buche und Tanne können hier nicht mehr existieren. Die Böden sind flachgründig und nährstoffarm, die Vegetationszeit extrem kurz und die Schneedecke bleibt lange liegen. "Die Witterung ist hier ähnlich wie in den Alpen auf 1.700 Metern", mit diesem Vergleich macht uns Michael Großmann die extremen klimatischen Bedingungen deutlich, unter denen nur noch die Fichte existieren kann. Ihre Anspruchslosigkeit ist ihre Stärke. Aber starken Stürmen und der Last großer Schneemassen haben insbesondere Fichtenwälder nicht immer etwas entgegen zu setzen.


Natur Natur sein lassen

Hans Bibelriether berichtet uns, dass kurz vor der Gründung des Nationalparks im Buchen-Fichtenwald eine Windwurffläche entstand. Anstatt - wie in der Forstwirtschaft üblich - die Fläche aufzuarbeiten, also die gefallenen Bäume zu entfernen, um eine Ausbreitung des Borkenkäfers zu verhindern, entschied Hans Bibelriether, die Baumstämme liegen zu lassen, denn in dem geplanten Nationalpark sollte zukünftig die Natur sich selber überlassen sein. Dieses Konzept konnte mit der Gründung des Nationalparks durchgesetzt werden: Auf 75 Prozent der Fläche - der sogenannten Naturzone - greift der Mensch nicht ein. Der Borkenkäfer wird nur in einer 500 Meter breiten Randzone bekämpft, um die umliegenden Wirtschaftswälder zu schützen. Diesem Managementkonzept blieb die Nationalparkverwaltung auch treu, als sich der Borkenkäfer 1996 großflächig auszubreiten begann. Luftverschmutzung, Sturmereignisse, Schneedruck und durch den Klimawandel häufiger auftretende trockene Sommer hatten über Jahrzehnte die Bäume so geschwächt, dass sie einem Borkenkäferbefall nicht standhalten konnten.

Auf den Orkan Wiebke 1990 folgten weitere Stürme und Orkane (Lothar, 1999, Kyrill 2007), so dass immer mehr Windwurfflächen entstanden, in denen mächtige Stämme wie Mikado-Stäbchen durcheinander fielen. Mit der Massenvermehrung des Borkenkäfers sind bisher Totholzflächen von rund 7.000 Hektar entstanden. Seit 1996 wird die natürliche Verjüngung des Waldes auf diesen Flächen wissenschaftlich untersucht. Während schnell klar war, dass sich der Wald in den tieferen Lagen, also in den Buchen-Fichtenwäldern, schnell erneuert, ging man davon aus, dass dies in den Hochlagen aufgrund der ungünstigen Wuchsbedingen deutlich länger dauern würde. Wachsen Bäume in ausreichender Anzahl nach? Michael Großmann schickt uns los zum Bäumchen zählen. Wir sehen schnell, dass junge Fichten nachwachsen, aber man muss sich schon ein bisschen Zeit nehmen, um zu erkennen, wie viele es sind. Auf einer Fläche von ca. 10 mal 10 Metern schätzen wir die jungen Bäume auf 40 Stück. Das sind wie viele auf einem Hektar? Oh Gott, jetzt auch noch Kopfrechnen! Nun, die Waldinventur von 2011 zeigt, dass auf einem Hektar mehr als 4.363 junge Bäume größer als 20 Zentimeter stehen. Das ist mehr als doppelt so viel wie ein Förster im Wirtschaftswald anpflanzen würde. Mit der Zeit verringert sich diese Zahl, weil die wachsenden Bäume um Licht konkurrieren. Die schwächeren sterben ab - ein ganz natürlicher Prozess. Dass so viele junge Bäume nachwachsen, ist aber nur möglich, weil die umgestürzten Bäume liegen gelassen werden und auch das stehende Totholz nicht abtransportiert wird. Die stehenden und übereinander liegenden Stämme schaffen eine kleinräumige Beschattung, die sich günstig auf Temperatur und Feuchtigkeit des Bodens auswirkt. Das vermodernde Holz speichert ebenfalls Feuchtigkeit und liefert die notwendigen Nährstoffe auf diesen kargen Standorten. Ein Großteil der jungen Fichten wächst direkt auf dem Totholz, denn hier stehen Nährstoffe und Feuchtigkeit ausreichend zur Verfügung, die jungen Pflanzen sind weniger dem Konkurrenzdruck von Gräsern und Sträuchern ausgesetzt und vor allem werden im Frühjahr die Totholzstümpfe schneller schneefrei als der umliegende Boden. Aber es gibt ein Problem mit diesen Flächen: Die stehenden, abgestorbenen Bäume sind nicht mehr grün. Silbrig grau und nadellos ragen diese Stümpfe mit abgebrochenen Ästen in den Himmel. Graue Stelzen stehen da rum oder liegen kreuz und quer, wild durcheinander. Und bis der Wanderer mit flüchtigem Blick vom Weg aus die jungen Bäume erkennen kann, vergehen schon mal ein paar Jahre. Schließlich geht nicht jeder wie wir gezielt auf die Suche. Grey ist also doch nicht beautiful - grün muss er sein, der Wald. Das fordern jedenfalls die als "Bürgerbewegung zum Schutz des Bayerischen Waldes e.V." organisierten einheimischen Nationalparkgegner. Über Jahre hinweg malten sie unermüdlich ein Schreckensszenario: Naturzonen seien "Waldvernichtungszonen". Der gesamte Bayerische Wald würde in wenigen Jahren entwaldet sein, in den Borkenkäferflächen könnten keine Tiere mehr leben und die Verjüngungsphase würde im Hochwald bis zu 200 Jahren dauern. Aussagen, die jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren, aber gezielt für eine populistische Stimmungsmache eingesetzt werden. Der Kommunale Nationalparkausschuss, in dem u.a. die an den Nationalpark grenzenden Gemeinden und zwei Landkreise vertreten sind, erwirkte 2007 schließlich eine Änderung des Nationalparkplans.

Das Ziel, im Jahr 2017 auf 75 Prozent der gesamten Nationalparkfläche nicht mehr eingreifend tätig zu sein, wurde vertagt auf 2027. Zwar werden jährlich 310 Hektar neue Naturzonen ausgewiesen, diese sollen aber in den nächsten Jahren ausschließlich in den Laubholz- und Mischwaldbeständen liegen. Bis 2027 muss in den fichtenreichen Beständen, also auch in den sensiblen Hochlagenwäldern, der Borkenkäfer bekämpft werden. Gerade nach Schneebruch und Windwurfereignissen muss dies auf größeren Flächen erfolgen - das bedeutet nicht selten Kahlschlag. Mit Hubschraubern, Seilkränen oder schweren, großen Harvestern werden die Bäume abtransportiert. Zwar ragen dann keine grauen, toten Baumstämme mehr in den Himmel, aber grün ist der Wald auch nicht mehr und wird es lange nicht mehr werden. Über 140.000 Festmeter Holz wurden im Falkenstein-Rachel-Gebiet 2010 zur Borkenkäferbekämpfung eingeschlagen, 2002 waren es nur 1.355 - nur ein geringer Teil davon wird handentrindet und in der Fläche liegen gelassen. Mit dem Abtransport der Bäume fehlt das für die Verjüngung wichtige Totholz, das als Nährstoffquelle und Wasserspeicher dient. Die Flächen sind kahl, der Boden trocknet aus, weil kein liegendes oder stehendes Holz mehr Schatten spendet.


Nationalpark Bayerischer Wald
  • bereits 1914 unter Schutz gestellte Wälder sind Teil des Nationalparks und haben Urwald-Charakter
  • 1970 als erster Nationalpark Deutschlands gegründet
  • 1997 auf rund die doppelte Fläche von 24.250 Hektar erweitert
  • im Altpark (Rachel-Lusen-Gebiet) wird auf 75% der Fläche die Natur sich selbst überlassen, im Erweiterungsgebiet (Falkenstein-Gebiet) derzeit auf 32% der Fläche
  • jährlich werden 310 Hektar in die Naturzone überführt, so dass ab 2027 auf 75% der Fläche des gesamten Nationalparks der Mensch nicht mehr eingreift
  • zusammen mit dem angrenzenden Nationalpark Sumava in Tschechien bildet der Nationalpark Bayerischer Wald das größte unzerschnittene Waldgebiet Mitteleuropas


Die wenigen jungen Bäume sind, anders als auf den Totholzflächen, für das Wild leicht zugänglich und werden verbissen. Diese kahlgeschlagenen Flächen später in die Naturzone zu überführen ist ziemlich sinnlos. Die Borkenkäferbekämpfung ist und bleibt ein paradoxes Vorgehen, wenn man einen grünen Wald will. Warum fehlt trotz der lebendigen Erfahrung und der wissenschaftlichen Belege aus den Windwurfflächen im Rachel-Lusen-Gebiet das Vertrauen, dass die Natur die Kraft hat, ganz allein einen vitalen Wald zu entwickeln? Die Natur braucht uns nicht. Das ist natürlich für viele Menschen eine verstörende, erschütternde Tatsache. Dabei bedarf es nur ein wenig Mut, Demut, Vertrauen und Geduld, um nichts zu tun, zuzuschauen und abzuwarten. Der zerstörenden und paradoxen Praxis wollen die Umweltverbände allerdings nicht zuschauen. ROBIN WOOD fordert gemeinsam mit anderen Verbänden die Kahlschläge zu stoppen und die Fichtenhochlagen schnellstmöglich in die Naturzone zu übernehmen. Umweltminister Huber hat auf ein erstes Schreiben der Umweltverbände geantwortet, "dass der eingeschlagene Weg, der in gleicher Weise die Belange des Naturschutzes und der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt, der richtige ist." ROBIN WOOD wird sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben!


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Mut zum Nichtstun im Nationalpark Bayerischer Wald: Die toten, grauen Bäume bleiben stehen
  • Wilde Wälder wachsen, wenn die Natur sich selbst überlassen bleibt
  • Extreme Klimabedingungen: Nicht selten brechen die Fichten unter der Schneepracht zusammen
  • Information aus erster Hand: Hans Bibelriether und Michael Großmann führen ROBIN WOOD durch den Nationalpark
  • 1996, 2003, 2006, 2010 - Ein neuer Wald entsteht: nach einem Windwurf von 1984 in den Höhenlagen
  • Der Habichtskauz bevorzugt offene, strukturreiche Wälder
  • Kahlschlag im Erweiterungsgebiet des Nationalparks: Hier wird lange Zeit kein neuer Wald nachwachsen
• Zonierungskarte
  • Naturzone: die Natur ist vollständig sich selbst überlassen. Keine Borkenkäferbekämpfung, kein Management.
  • Entwicklungszonen: Management, Borkenkäferbekämpfung durch Fällen und Abtransport der befallenen Bäume oder Liegenlassen und Entrinden.
  • Randzone: dauerhafte Pufferzone, Borkenkäferbekämpfung zum Schutz der umliegenden Wirtschaftswälder.
  • Erholungszone: Besuchereinrichtungen

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 115/4.2012, Seite 22-27
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Januar 2013