Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LEBENSRÄUME


WALD/715: Kahlschlag im Paradies - Der polnische Staat plündert ein einmaliges Naturerbe (ARA Magazin)


ARA Magazin 23, 2017/18 - Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.

Kahlschlag im Paradies
Der polnische Staat plündert ein einmaliges Naturerbe

Ein Bericht von Jan Carl Matysiak


Bialowieza ist der letzte verbliebene europäische Tiefland-Urwald. Doch die Wildnis an der Grenze zwischen Polen und Weißrussland ist in Gefahr. Denn die polnische Regierung hat beschlossen, "den Wald vor dem Borkenkäfer zu schützen".


Bialowieza ist die Heimat schlechthin in Europa für den einst kurz vor der Ausrottung stehenden Wisent. Und wenn zukünftig eine Chance bestehen soll, dass wilde Wisente wieder durch Europa streifen, dann muss ihr Lebensraum in Polens Urwald unter allen Umständen erhalten bleiben. Das Land trägt eine einmalige Verantwortung für die Zukunft des europäischen Wildrindes.

Im Bialowieza Urwald an der Ostgrenze Polens ist die größte wildlebende Wisent-Population der Erde beheimatet. 25 Prozent aller wilden Tiere leben hier. Der Park ist so wichtig für den Erhalt des schon fast ausgestorbenen größten europäischen Säugetiers, dass auch das Internationale Wisent-Zuchtbuch hier geführt wird. Nur an solchen Orten können sich noch stabile Populationen bilden, die sich prinzipiell in Polen und darüber hinaus ausbreiten könnten. Diese wichtige Rolle hat nicht nur Polen einst begriffen und den Wald zu einem Nationalpark erklärt, sondern auch die EU. Große Teile des Waldes stehen unter europäischem Naturschutz. Nicht zuletzt ist die Region auch UNESCO Welterbe, denn der alte Jagdwald der polnischen Könige ist mittlerweile einzigartig. Da nur dem Adel die Jagd gestattet war und der Wald bis zum Ende des Mittelalters weitgehend unberührt blieb, konnte Bialowieza als letzter Tieflandurwald Europas erhalten bleiben. Im Ersten und im Zweiten Weltkrieg wurden zwar Teile des Waldes von den Deutschen gerodet und genutzt, doch das Ökosystem blieb weitgehend intakt.

Der Kern des Nationalparks darf nicht von Menschen betreten werden. Lediglich geführte Rundgänge an den Rändern sind möglich. Ansonsten gibt es hier einen zusammenhängenden Wald von 14.000 ha, den seit über 100 Jahren kaum ein Mensch mehr betreten hat. Diese Kernzone ist von verschiedenen anderen Schutzgebieten umgeben, die nach europäischem Recht geschützt sind oder Teil des UNESCO Erbes sind. Auch diese Gebiete sind Teil des Gesamtökosystems und wichtig für dessen Erhalt.

Vorgeschobene Gründe für den Holzeinschlag

Trotzdem hat Polen unter der PiS Regierung begonnen, große Teile dieser Pufferzonen zu roden. Die national konservative Partei hatte 2016 beschlossen, die Abholzkontingente in der Region zu verdreifachen. Als Grund wurde die Eindämmung des Buchdruckers genannt. Die Larven dieses Käfers leben in der Borke von Fichten und ernähren sich von deren Pflanzensaft, was die Bäume letztlich absterben lässt. Die winzigen Insekten können ganze Fichtenbestände zerstören, wenn die Bäume in Monokultur gepflanzt wurden.

Der Urwald Bialowieza ist aber alles andere als eine Fichtenreinkultur. Über 5000 Pflanzenarten kommen in dem Nationalpark vor. Hainbuchen, Eichen aber auch Fichten können hierzu Baumriesen heranwachsen. Sie werden uralt, sterben ab und verrotten langsam, um so wieder in den Naturkreislauf einzugehen. Ein Viertel des Waldes besteht aus Totholz. Dieses vor allem bietet den über 3500 Pilzarten der Region und zahllosen Totholzkäfern und anderen Insekten ein Zuhause. Sie wiederum sind Nahrung für zahlreiche Vogelarten, zum Beispiel den sehr seltenen Dreizehenspecht, der auf solche Totholzarten angewiesen ist.

Unter den Insekten, die solche Verrottungsprozesse möglich machen, befindet sich auch der Buchdrucker, der auf die 3 Prozent Fichten in Bialowieza spezialisiert ist. Daher löste der fraglos vorgeschobene Grund, den Borkenkäfer bekämpfen zu wollen, bei Umweltschützern auch Irritationen aus. Schließlich stellen diese Arten einen wichtigen Bestandteil des Urwaldökosystems dar. Das Leben und Sterben der Bäume ist Teil der Wildnisprozesse, die es im Nationalpark zu schützen gilt.

Recht hat die Regierungspartei PiS, wenn sie behauptet, in den letzten Jahrzehnten hätte sich die Situation in Bialowieza geändert. In den 60er Jahren wurde das Umland für die Landwirtschaft entwässert. Die letzten Jahre waren zudem sehr heiß und trocken, was in den entwässerten Gebieten zu einer Senkung des Grundwasserspiegels führte. Da Fichten ein sehr flaches Wurzelwerk bilden, sind sie davon unmittelbar betroffen. Sie stehen unter Trockenstress und werden verwundbarer für den Buchdrucker. Statt die Wälder jedoch wieder zu vernässen, wie es auf der weißrussischen Seite geschieht, will Polens Umweltminister Jan Szyszko die befallenen Bäume fällen, um den Käfer einzudämmen. Dass dies in einem Wald, der zu einem Viertel aus Totholz besteht, nicht gelingen kann, ohne massiv das Ökosystem zu stören, sollte dem Professor für Forstwissenschaften eigentlich klar sein.

Seine Kollegen kritisieren das Vorgehen in Bialowieza jedenfalls massiv. Professoren, Fakultäten und ganze Universitäten haben in offenen Briefen ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Zum Eklat kam es unter den Wissenschaftlern bereits im Mai 2016. Umweltminister Szyszko entließ damals 32 der 39 wissenschaftlichen Experten der staatlichen Naturschutzkommission.

Protestcamp in Bialowieza

Dieses Jahr wurden dann große Abholzungen in der Heimat der Wisente tatsächlich umgesetzt. Der einzigartige Wald läuft nun Gefahr, sich für immer zu verändern oder sogar zu verschwinden. Doch es regt sich auch Widerstand. Im Mai 2017 wurde ein Protestcamp in Bialowieza eingerichtet. Dort wurden direkte Aktionen geplant und durchgeführt. Mutige Aktivisten ketteten sich an die Holzerntefahrzeuge, um so weitere Abholzungen zu verhindern und um auf das Verbrechen aufmerksam zu machen. Mit Erfolg: Die Europäische Union verfolgt die Umweltvergehen der polnischen Regierung und hat reagiert - und zwar so hart wie selten in ihrer Geschichte. Im Juli 2017 schaltete sich die Europäische Kommission ein und beantragte eine Unterlassung der Fällarbeiten in Bialowieza. Dies wurde durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bestätigt.

Auch die UNESCO äußerte sich besorgt. Doch die polnische Regierung lenkte nicht ein. Polen behauptete, die Holzeinschläge zu reduzieren und nur noch Sicherungsarbeiten an den Waldwegen durchzuführen. De facto ignoriert sie den Beschluss jedoch. Jetzt drohen hohe Geldstrafen für den größten Geldnehmer der EU, doch ein Prozess kann Jahre dauern - Zeit, die der Wald nicht hat. Minister Szyszko meinte lapidar: "Es ist ein Fehler gewesen, Bialowieza als UNESCO Erbe anerkennen zu lassen".

Doch wie kommt ein Umweltminister zu solchen Aussagen? Wie kommt dieser Mann, der selbst Professor für Forstwissenschaften ist, zu einer so abstrusen Entscheidung wie dem Roden des Urwaldes? Die Aktivsten vor Ort konnten dokumentieren, wie viele über 100-jährige Eichen geschlagen wurden; eine Baumart, die überhaupt nicht vom Buchdrucker befallen wird. Profit scheint das Hauptmotiv der polnischen Regierung zu sein, denn in Bialowieza ist viel wertvolles, hochstämmiges Hartholz zu finden.

Widerstand und Solidarität weiter gefordert

Die EU wird das Recht in Polen nicht durchsetzen können. Es liegt wohl vor allem in der Hand der Aktivisten vor Ort, diesen Wald zu schützen. Dabei werden sie nicht nur massiv von den örtlichen Behörden drangsaliert. Auch wird das Problem vom polnischen Staatswald verzerrt dargestellt. Große Kampagnen der Behörden versuchen, den Borkenkäfer als Gefahr darzustellen. Im Umland werden Fläschchen mit toten Käfern und der Aufschrift: "Glaubt ihr jetzt an den Käfer?" verteilt.

Diese Kampagnen scheinen für die polnische Regierung nötig zu sein, denn das Thema polarisiert. Überall in Polen solidarisieren sich die Bürger mit dem Protestcamp. Die Region selbst ist gespalten. Viele Menschen in Bialowieza sind vom Tourismus abhängig, die Zerstörung des Waldes bedroht auch ihre Lebensgrundlage. Einige sind aber auch im Forst tätig und schütteln den Kopf über das Protestcamp.

Auch in Warschau und anderen Großstädten gibt es Protestkundgebungen. Aus ganz Europa reisen Aktivisten an, um sich mit dem Protestcamp zu solidarisieren und friedlichen Widerstand gegen die Abholzung zu leisten. Dies ist nötig und gerechtfertigt. Denn hier wird auch europäisches Recht gebrochen, auf dessen Einhaltung jeder Europäer pochen kann. Das UNESCO Welterbe ist unser aller Erbe.

Während erste Wisente augenscheinlich wieder wild von Polen nach Deutschland kommen, wird deren zentrale Heimat in Polen zerstört. Polen hatte sie bislang streng geschützt. Doch nun soll eine der letzten großen Wildnisse Europas aus Profitgier abgeholzt werden.

Es darf nicht sein, dass in Polen dieser einzigartige Wald trotz des gemeinsamen Widerspruches der EU, der Wissenschaft und der Bevölkerung abgeholzt wird. Daher ist es nötig, das Protestcamp aufrecht zu erhalten und die Aktivisten aus Polen und ganz Europa, die hier europäisches Recht durchsetzen wollen, zu unterstützen.


Mehr Informationen finden sich auf der Internetseite des Protestcamps
www.save-bialowieza.net


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Über 1400 km² erstreckt sich der letzte große Urwald Europas.

- Im August 2017 hat der Europäische Gerichtshof eine Beendigung des Holzeinschlags in Bialowieza gefordert ... Solange die polnische Forstbehörde sich nicht an EU-Recht hält, gehen die Proteste weiter.

*

Quelle:
ARA Magazin 23, 2017/18, Seite 3 - 5
Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz e.V.
August Bebel Str. 16-18, 33602 Bielefeld
Redaktion: Wolfgang Kuhlmann, Jürgen Wolters, Monika Nolle
Telefon: 0521 / 6 59 43, Fax: 0321 / 213 140 96
E-Mail: ara@araonline.de
Internet: www.araonline.de
 
Das ARA Magazin erscheint jährlich.
Mitglieder und Förderer von ARA erhalten es kostenlos.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang