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WILDNIS/020: Vernetzte Rückzugsräume (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 4/2015

Vernetzte Rückzugsräume
Nicht nur Rückkehrer profitieren vom ökologischen Korridor Südbrandenburg

von Anika Niebrügge, Stiftung Naturlandschaften Brandenburg


Wildnisgebiete bieten zahlreichen Arten Rückzugsraum - vor allem denen, die empfindlich auf Störungen reagieren. Ruhe finden sie in Brandenburg seit nunmehr 75 Jahren auf den von der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg betreuten Flächen, deren erklärtes Entwicklungsziel eben diese Wildnis ist.


Dynamische Veränderungen sind unabdingbarer Bestandteil von Wildnisgebieten. Klar, dass sie daher auch auf dem größten Flächenteil von Brandenburgs "Wildnisstiftung" zugelassen werden. Aus Sandlandschaften entwickeln sich dort steppenartige Lebensräume, aus Heiden werden Pionierwälder, durch Brände entstehen neue Offenflächen. Seen können zu Feuchtgebieten werden oder Bibertätigkeit einen Wald in eine Seenlandschaft verwandeln. Der Wechsel der Lebensräume bringt aber auch einen Wechsel der Arten mit sich. Wo sich Biber ansiedeln, werden gleichzeitig wertvolle Lebensräume für Amphibien, Wasservögel und Insekten geschaffen. Wo neue Wälder entstehen, sind Arten wie Wiedehopf und Heidelerche, die auf Offenland angewiesen sind, weniger präsent oder verlagern ihre Reviere. Von der Entwicklung naturnaher Wälder profitieren hingegen Arten wie der Schwarzstorch und der Raufußkauz.

Als Rückkehrer ist der Wolf auf den Stiftungsflächen wieder heimisch geworden. 2009 war es noch eine kleine Sensation, als die ersten durchziehenden Wölfe - unter ihnen der mit einem Senderhalsband markierte Wolf "Karl" - auf den Stiftungsflächen gesichtet wurden. 2011 gab es dann den ersten Wolfsnachwuchs auf den Stiftungsflächen Jüterbog und Lieberose. Seitdem werden aus beiden Gebieten regelmäßig Wolfsnachweise und Nachwuchs gemeldet. Grundlage für eine lebendige Entwicklung von Wildnisgebieten ist neben deren ausreichender Größe - empfohlen werden mehr als 1.000 Hektar bzw. mehr als 500 Hektar für Auen, Moore und Küsten - vor allem ihre gute ökologische Vernetzung. Denn ohne solche ökologischen Korridore würden sie wie Inseln in der bebauten, von Straßen und Bahntrassen zerschnittenen Kulturlandschaft isoliert bleiben. Wanderbewegungen sind aber für die Verbreitung und den genetischen Austausch der Tierpopulationen und auch für die Verbreitung von Pflanzen überlebenswichtig. Um dies zu erreichen, initiierte die Stiftung im Jahr 2007 das Projekt Ökologischer Korridor Südbrandenburg: Großräumig und langfristig ausgerichtet, soll im Rahmen des Vorhabens ein Netz von Wald- und Gewässerkorridoren entstehen, das von Polen über die Oder bis zur Elbe nach Sachsen-Anhalt reicht. Arten wie Fischotter, Rothirsch, Wolf und Biber sollen ungehindert wandern können. Teil des Projektes sind daher auch Empfehlungen für den Neubau von Grünbrücken sowie Planungsgrundlagen für kostengünstigere Aufwertungen bestehender Brücken und Unterführungen. Zwei der vom Projekt vorgeschlagenen Grünbrücken konnten bereits im Rahmen des Konjunkturpaketes II errichtet werden.

Das Projekt zielt aber nicht nur darauf ab, Barrieren für die Tiere überwindbar zu machen, sondern auch, ihre Lebensräume zu verbessern und Leitstrukturen für deren Wanderungen zu schaffen. Langfristig stehen daher auch Maßnahmen zur Moor- und Gewässerrenaturierung auf dem Programm. In den vergangenen Jahren wurden auf den Stiftungsflächen Lieberose bereits Renaturierungsmaßnahmen an sieben Mooren umgesetzt. In Zusammenarbeit mit der Landesforstverwaltung und privaten Waldbesitzern wurden zudem Vorhaben zum ökologischen Waldumbau und zur Waldrandgestaltung realisiert.

Ebenso wichtige Bestandteile des Projekts sind Forschung und Monitoring. Offene Fragen in Bezug auf das Wanderverhalten der Tiere und zur Nutzung von Querungsbauwerken sollen geklärt werden, um im Ergebnis deren Effizienz steigern zu können. Eine Untersuchung hierzu wurde mit Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), des Brandenburgischen Umweltministeriums, der Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg und der Umweltstiftung WWF Deutschland umgesetzt. Die Ergebnisse wurden im März 2015 veröffentlicht; (die Ergebnisse sind im Endbericht zur Phase II des Ökologischen Korridors Südbrandenburg abrufbar unter http://www.wildkorridor.de/wildkorridor-download.html). In einem Modellkorridor wurden dafür an ausgewählten Bauwerken Querungsaktivitäten der Tiere gemessen und mit den Umweltbedingungen der Standorte in Verbindung gesetzt. An die Untersuchungen schloss sich ein Effizienzvergleich an, bei dem Kosten- und Nutzenaspekte von Grünbrücken und kleineren Querungsbauwerken ausgewertet wurden. Es zeigte sich, dass Grünbrücken, gerade für Rotwild, nach wie vor unverzichtbar sind. Die Untersuchungsergebnisse machen jedoch deutlich, dass sich auch die Aufwertung bestehender Querungsbauwerke - wie Durchlässe und vorhandene Brücken - für einige Artengruppen in jedem Fall lohnt. Im Vergleich zum Bau von Grünbrücken ist dies oftmals eine günstigere und leichter umsetzbare Option.

Grenzen sind nicht nur für Tiere zu überwinden sondern auch für uns Menschen. So z. B. zwischen Polen und Brandenburg. Die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg hat erkannt, wie wichtig der grenzüberschreitende Austausch ist und setzt seit 2010 Kooperationsprojekte mit polnischen Verwaltungsmitarbeitern, Wissenschaftlern und Naturschutzorganisationen aus der Woiwodschaft Lubuskie (Lebus) um. Ziele sind nicht nur die gemeinsame Datengrundlage und Verschneidung der Korridore, sondern auch das Lernen voneinander, über den Umgang mit Wildtieren in der Kulturlandschaft und wie sich deren Akzeptanz fördern lässt.

Als Rückkehrer kommen perspektivisch auch Elch, Luchs oder Wildkatze in Frage. Einzelne Elche werden auf den Lieberoser Stiftungsflächen bereits gesichtet. Sie haben den Weg von Polen kommend über die Oder gemeistert. Das imposante Tier ist eine Bereicherung für unsere biologische Vielfalt, aber der Umgang mit dem Elch stellt in unserer Kulturlandschaft eine Herausforderung dar. Ein Elchmanagementplan für Brandenburg wurde vom Ministerium entwickelt und soll erste Orientierung bieten. Zum Konfliktpotenzial heißt es darin: "Weiterhin stellen wandernde Elche für den Straßenverkehr in Brandenburg zwar eine Gefährdung dar; die Anzahl der Tiere und die Wahrscheinlichkeit, mit Elchen zu kollidieren, erscheinen momentan als zu gering, um konkrete Maßnahmen in Erwägung zu ziehen." Auch durch Elche verursachte Wildschäden erscheinen bislang nicht als relevant. Als Präventionsmaßnahme wird empfohlen, die Elchkorridore beim Bau von Grünbrücken zu berücksichtigen. Bis zur breiten Akzeptanz dieser faszinierenden Tierart ist es vermutlich noch ein weiter Weg.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Elche galten westlich der Oder lange Zeit als ausgerottet. Seit einigen Jahren werden wieder Elche in Brandenburg gesichtet, die ihren Weg aus Polen kommend über die Oder gemeistert haben.

- Ein Wolf quert eine Bahnunterführung an der A 13 bei Lipten (südlich Bronkow). Dieser Referenzstandort ist ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Aufwertung von kleineren Ouerungsbauwerken für Wildtiere im Ökologischen Korridor Südbrandenburg. Durch den Rückbau eines Gleises konnte die vom Güterverkehr (Lindthalbahn) genutzte Strecke für Wildtiere (auch Schalenwild) besser nutzbar gemacht werden.

- Seit dem ersten Wolfsnachweis in 2009 hat sich auf der Stiftungsfläche Lieberose ein territoriales Wolfsvorkommen etabliert. Auch 2015 gab es wieder Welpen.

- Auch Moorschutzprojekte, wie hier am Butzener Bogen tragen zum Gelingen des Ökologischen Korridors Südbrandenburg bei.

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Quelle:
naturmagazin, 29. Jahrgang - Nr. 4, Nov. 2015 bis Jan. 2016, S. 15-17
Herausgeber: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
NaturSchutzFonds Brandenburg/Naturwacht
Natur+Text GmbH
Redaktion: Natur+Text GmbH
Friedensallee 21, 15834 Rangsdorf
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2016

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