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LAIRE/080: Schutz bedrohter Arten soll handelbar werden (SB)


US-Ökologen schlagen ein Konzept des Derivatenhandels für den Artenschutz vor


Wissenschaftler sprechen vom gegenwärtig größten Artensterben, das jemals in der Erdgeschichte stattgefunden hat. Nicht einmal die vergangenen fünf Massensterben im Tier- oder Pflanzenreich kommen an die Geschwindigkeit heran, mit der zur Zeit Arten von der Oberfläche des Planeten verschwinden. Hauptverantwortlich für diese Entwicklung ist nach bisherigem Wissensstand der Mensch, der die Erdoberfläche unmittelbar umgestaltet oder durch seine Aktivitäten prägt. Dabei werden ganze Ökotope vernichtet. Tiere und Pflanzen fristen häufig nur noch Nischenexistenzen. Auch der Klimawandel, an dem seinerseits der Mensch wesentlich mitwirkt, verstärkt den Artenschwund.

Es ist davon auszugehen, daß der Verlust der Arten auf die Menschen zurückschlagen wird, und sei es nur, weil sie sprichwörtlich am eigenen Ast sägen, indem sie den tropischen Regenwald und andere Wälder roden, die für die Abscheidung von Sauerstoff aus Wasser so unverzichtbar sind wie das Plankton im Meer. Ohne das pflanzliche Leben könnte der Mensch nicht existieren; der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre nähme unaufhaltsam ab.

Es geht aber nicht nur um die Bewahrung von Pflanzen. Im hochkomplexen, nur ungenügend verstandenen Verhältnis der sich gegenseitig beeinflussenden Tier- und Pflanzenwelt stellt jeder Eingriff in Form eines Artenverlustes ein Vabanquespiel dar: Man kann nicht nicht sicher sagen, was sich daraus entwickelt.

Ausgehend von der Annahme, daß es wichtig ist, Arten vor dem Aussterben zu bewahren, schlagen der Biologe James Mandel von der Cornell University, Josh Donlan, Direktor der Organisation Advanced Conservation Strategies, und der Forscher Jonathan Armstrong ein Konzept vor, bei dem Investoren im Falle eines erfolgreichen Artenschutzes finanziell belohnt und bei einem Verlust an Arten benachteiligt werden. Auf diese Weise soll Artenschutz an Attraktivität gewinnen. Die Regierung müßte Verträge bzw. Konzessionen, die mit der Tiergesundheit verknüpft sind, verkaufen und schüfe damit einen Handel zum Schutz von bedrohten Arten. Das werde die Chance, daß eine gefährdete Art überlebt, erhöhen, ist Mandel überzeugt. [1] Der Anreiz zur Bewahrung müßte anwachsen, je mehr das Überleben einer Art bedroht sei.

Bei ihrem Vorschlag, der eigenem Bekunden zufolge noch im Detail ausgearbeitet werden müßte, haben die Ökologen nicht jene Arten ins Auge gefaßt, die schon längst von der Regierung als gefährdet eingestuft werden, denn zu deren Schutz werde bereits Geld ausgegeben. Gemeint seien Arten, die bedroht werden könnten. Man suche nach einem Weg, den Übergang (von gefährdet zu bedroht) zu erleichtern, indem eine Spezies mit einem Preis versehen wird, bevor sie auf die Liste komme, erklärte Mandel. Dadurch erspare man sich eine Rettung in letzter Minute. Die Regierung könne abschätzen, was es kosten würde, eine Art zu schützen, sobald sie gefährdet ist, und diese Summe für Verträge beispielsweise mit den Eigentümern von Grund und Boden und Landwirten zur Verfügung stellen, damit sie direkten Artenschutz betreiben. Verkleinere sich eine Art unter einen Schwellenwert, verlören die Verträge, die handelbar sein sollten, ihren Wert.

Angeblich fand diese Idee großen Zuspruch auf der Konferenz der International Union for the Conservation of Nature. Das wundert nicht, läuft die Idee doch auf eine Art präemptiven Artenschutz hinaus. Der Vorschlag besagt im Prinzip, daß die Regierung den Bereich, in dem eine Art mit Hilfe von Finanzmitteln geschützt werden soll, erweitert. Gegen ein solches Konzept dürften Natur- oder Umweltschützer keine Einwände haben.

Dennoch ist der Vorschlag heikel, denn hier wird ein weiterer zuvor unberührter Naturbereich dem Handel unterworfen. Handel erzeugt jedoch immer Verluste, es muß ein Mangel erzeugt werden, damit etwas als Wert deklariert werden kann. Nun könnte eingewendet werden, daß der Mangel bereits vorhanden ist und lediglich mit Hilfe des Artenschutz-Derivatenhandels abgemildert werden soll. Das wäre allerdings grundsätzlich problematisch, da der Mangel damit logischerweise befestigt würde. Er würde nicht nur als gegeben angenommen, sondern zur Voraussetzung des Artenschutzes.

Sind diese Einwände nicht eher abstrakter Natur, während die Idee der US-Forscher auf konkrete Hilfe hinausläuft? Ist es nicht so, daß mit dem Handel die Chance erhöht wird, eine Art zu schützen, die ansonsten eines Tages unvermeidlich als bedrohte Art enden würde? Das scheint nur auf den ersten Blick zuzutreffen. Mandel und seine Kollegen könnte man als Reformer bezeichnen. Sie richten sich innerhalb des Systems ein und versuchen, es zu verbessern. Dabei bedienen sie sich exakt jener Mittel (Handel, Wirtschaften), die mit Tätigkeiten einhergehen, aufgrund derer Arten bedroht werden und aussterben. Grundsätzliche Systemkritik, die nötig wäre, wenn man ernsthaften Artenschutz betreiben wollte, ist von den Forschern nicht zu erwarten. Wobei der Begriff Artenschutz an sich bereits ein Produkt der umfassenden Unterwerfung der Natur ist und er ohne die industrielle Verwertung von Naturstoffen und Expansion der menschlichen Lebenssphäre in sämtliche Regionen der Erde gar nicht existierte.

Wenn eines Tages Derivate zum Artenschutz auf den Markt geworfen werden, dann dürfte das all die negativen Folgen nach sich ziehen, wie sie auch vom Handel mit Klimazertifikaten bekannt sind. Das bekannte Argument, daß es dem Klima egal ist, wo die Treibhausgase eingespart werden, lenkt insofern vom eigentlichen Problem ab, als daß dadurch die Unternehmen im Prinzip weiter wirtschaften können wie bisher, während die Entwicklungsländer über die sogenannten Clean Development Mechanisms (CDM) in der altbekannten Abhängigkeit verbleiben. Eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung außerhalb der von den reichen Ländern vorgegebenen Bahnen wird von diesen systematisch verhindert, was zur Vertiefung der globalen Staatenhierarchie führt. Ein Artenschutz-Derivatenhandel läßt diese vorgegebene Ordnung, die zum Verlust der Arten geführt hat, unangetastet.


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Anmerkungen:

[1] "To Save Animals, Put a Price on Them", Brandon Keim, 24. Februar 2009.
blog.wired.com/wiredscience/2009/02/conderivatives.html

Der Autor bezieht sich auf folgenden Fachartikel:
James T. Mandel, C. Josh Donlan und Jonathan Armstrong: "A derivative approach to endangered species conservation", in: Frontiers in Ecology and the Environment, Vol. 7 Nr. 2, 1. März 2009.

26. Februar 2009