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LAIRE/139: Neues Energiekonzept - den Konzernen zum Fraße (SB)


Neues Energiekonzept - Hartz IV-Verarmung - Stuttgart 21

Schwarz-gelbe Bundesregierung tut alles dafür, daß es zu einem heißen Herbst mit zahlreichen Protestaktionen und Demonstrationen kommt


Die Bundesregierung hat ihr großindustriefreundliches Energiekonzept, über dessen Annahme am Dienstag das Kabinett entscheiden wird, überarbeitet und die Wirtschaft noch mehr entlastet als im Ursprungsentwurf. Ein zehn Punkte umfassendes Sofortprogramm, das bis Ende 2011 umgesetzt sein soll, liegt auf der gleichen Linie.

Vom Entwurf geblieben ist der grundsätzliche Bruch mit dem Energiekonsensvertrag, den die rot-grüne Vorgängerregierung vor zehn Jahren mit den Energiekonzernen abgeschlossen hat und der eigentlich den unumkehrbaren Ausstieg aus der Atomenergie einleiten sollte. Das Ziel ist zur Farce verkommen. Zudem soll der Salzstock Gorleben zwar "ergebnisoffen" als Endlagerstandort für hochradioaktive Abfälle erkundet werden, es gibt jedoch bislang keine alternativen Standorte, so daß man davon ausgehen muß, daß es eben diese geologisch höchst unsichere Endlagerstätte werden wird - geht es nach dem Willen der Regierung und nicht nach dem der Bevölkerung.

Laut dem überarbeiteten Entwurf, der zu 60 Gesetzen in der Verkehrs-, Energie- und Gebäudepolitik führen wird, dürfen nun doch wieder neue Kohlekraftwerke gebaut werden, ohne daß dafür ältere Anlagen abgeschaltet werden müssen. Die Braunkohleverstromung wird ebenfalls gefördert. Das wird von der Regierung dennoch als klimafreundlich verkauft, weil die neuen Anlagen mit der CCS-Technologie verknüpft werden sollen. CCS steht für "carbon capture and storage" und meint das Abfangen und Lagern des Treibhausgases Kohlendioxid, das bei der Verbrennung von Kohle entsteht. Nun verhält es sich aber so, daß dieses Konzept gar nicht erprobt ist. Es existiert kein überprüftes Verfahren, wie das verflüssigte Gas zuverlässig endgelagert werden kann. Ähnlich wie beim Beginn der Nutzung von Atomstrom die Frage der Endlagerung des Strahlenmülls schlicht ausgeklammert und eine Lösung in die Zukunft verlegt wurde - mittlerweile ist darüber ein halbes Jahrhundert verstrichen - wird mit dem CCS-Konzept auf eine unausgereifte Technologie gesetzt.

Man weiß allerdings, daß es großer Energiemengen bedarf, um das Kohlendioxid abzufangen, zu verflüssigen und in den Untergrund zu pressen oder auf andere Weise zu verbringen. Das bedeutet, daß entsprechend dem hierfür erforderlichen energetischen Aufwand wiederum große Mengen Kohlendioxid produziert werden, die ebenfalls abgefangen, verflüssigt und gelagert werden müßten, und so weiter und so fort. In Schleswig-Holstein hat sich eine breite Bürgerbewegung gegen die CCS-Technologie stark gemacht und bislang verhindert, daß die Landesregierung sie genehmigt.

Die Extragewinne aus der Laufzeitverlängerung der Akws fließen nun nicht uneingeschränkt in die Förderung der erneuerbaren Energien, wie es im ursprünglichen Entwurf vorgesehen war. Laut Spiegel online [1], das sich auf die "Financial Times Deutschland" beruft, werden im gleichen Umfang Gelder aus den Umweltbudgets anderer Ministerien gestrichen.

Die verkehrspolitischen Maßnahmen wurden in dem überarbeiteten Entwurf zum Vorteil der deutschen Automobilbranche, die vor allem im oberen Preissegment stark ist, deutlich entschärft. Hatte es ursprünglich geheißen, daß die deutschen Pkw bis 2040 im Durchschnitt nur noch 35 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen - heute sind es 160 Gramm -, wurde diese konkrete Verpflichtung aus dem Entwurf herausgenommen und lediglich die unverbindliche Absichtserklärung eingefügt, daß sich die Regierung für "eine ambitionierte Ausgestaltung" der Grenzwerte starkmacht. Mit anderen Worten: Wenn die CO2-Reduktionsziele nicht erreicht werden, macht das nichts, solange die Autohersteller nur den Eindruck erwecken, sie hätten ihr möglichstes getan.

Angesichts der verhärteten, geradezu bürgerfeindlichen Haltung der schwarz-gelben Bundesregierung in vielen Bereichen, angefangen von der lächerlich geringen Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um fünf Euro pro Monat, womit nicht einmal der allgemeine Preisanstieg kompensiert werden kann, bis zur Unterstützung von wirtschaftsfreundlichen Großprojekten wie Stuttgart 21, zeigt auch das überarbeitete Energiekonzept die Bereitschaft der Regierung, ihre Interessen gegebenenfalls konfrontativ durchzusetzen.

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einiger Zeit unter dem Eindruck der Finanz- und Wirtschaftskrise und der exorbitant hohen Milliardenspende für die Banken harte Zeiten für Deutschland ankündigte, war klar, daß davon nicht die Profiteure der Krise betroffen sein würden. Das vorgestellte Energiekonzept bestätigt dies vollauf. Die Regierung gibt vor, sie wolle erneuerbare Energien fördern. Das klingt gut, doch versteht sie darunter riesige Offshore-Windparks, die sich wiederum in den Händen von Konzernen befinden. Die streichen die Fördermittel in Höhe von fünf Milliarden Euro ein und dürfen laut Energiekonzept mit erleichterten Genehmigungsverfahren rechnen. [2 ]

Letzteres zielt direkt auf ökologische Bedenken gegenüber den nicht unumstrittenen Großwindanlagen in Nord- und Ostsee. Auf diese Weise wird eine klassische "alternative" Technologie sprichwörtlich ins Abseits geführt. Die Alternative beispielsweise von Windenergieanlagen bestand von jeher darin, daß die Betreiber sich damit ein klein wenig unabhängig von der zentralistischen Versorgung machen wollten. Das hätte jedoch die Einkünfte der Konzerne geschmälert und zumindest punktuell die administrative Verfügungsgewalt geschwächt. Deshalb haben die Energiekonzerne die alternativen Technologien okkupiert und an sich gezogen. Das Erneuerbare-Energiengesetz mit der Einspeisevergütung ist den Konzernen schon lange ein Dorn im Auge.

Dennoch, Regierung und Konzerne beherrschen unvermindert die Energieversorgung und damit die Bevölkerung. Einen allgemein der administrativen Kontrolle entzogenen und korporativen Verwertungslogik enthobenen Energiekonsum darf es nicht geben, könnte das doch die Bürgerinnen und Bürger auf den Gedanken bringen, sich auch von anderen vermeintlich unabänderlichen Abhängigkeiten zu befreien.

Die schwarz-gelbe Regierung will anscheinend nicht das historische Kapitel der gesundheits- und umweltschädlichen Atom- und Kohlekraftwerke schließen, sondern das relativ neue Kapitel der erneuerbaren Energien umschreiben, so daß weiterhin oligopole Strukturen erhalten bleiben. Das Energiekonzept sollte nicht mit "Neun Punkte für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung" getitelt werden, sondern mit "Neun Punkte für eine herrschaftsfreundliche, ausbeutungssichere und anti-emanzipatorische Energieversorgung".


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Anmerkungen:

[1] "Erfolg der Lobbyisten. Schwarz-Gelb verwässert Energiekonzept", Spiegel online, 27. September 2010
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,719704,00.html

[2] "Regierung mit Energie-Sofortprogramm", Greenpeace Magazin, 27. September 2010
http://www.greenpeace-magazin.de/index.php?id=55&tx_ttnews[tt_news]=88746&tx_ttnews[backPid]=23&cHash=a6137a512f

27. September 2010