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LAIRE/182: Bergkuppentagebau in den Appalachen ruiniert Umwelt und Gesundheit (SB)


Studie - 60.000 zusätzliche Krebserkrankungen als Folge des Kohlebergbaus in den Appalachen


In der Berichterstattung über den Streit zwischen Republikanern und Demokraten um die Anhebung der Schuldenobergrenze bleibt häufig unbeachtet, daß die US-Regierung gewaltige Einschnitte in den Sozial- und Umweltbereich vornimmt und vornehmen wird. Mit jedem Tag, an dem das politische Establishment weiter um die Ausgestaltung des Schuldentopfs gepokert hat, stieg die Chance, daß der eingeschlagene Kurs forciert wird. So dürfte bereits jetzt feststehen, daß die Umweltschutzbehörde EPA beträchtliche Mitteleinsparungen und Kompetenzbeschneidungen erleben wird. [1] Insofern wäre davon auszugehen, daß in Zukunft aktuelle Studien wie die, daß der umstrittene Kohleabbau in den Appalachen mit zahlreichen zusätzlichen Krebsfällen unter den Anwohnern einhergeht, noch weniger Beachtung finden werden als bereits in der Vergangenheit, geschweige denn, daß entsprechende Untersuchungen konkrete politische Maßnahmen nach sich zögen.

Unter den 1,2 Millionen US-Bürgern, die in dem Bergbaugebiet der Zentralappalachen leben, traten zusätzlich 60.000 Krebsfälle, die nach Einschätzung eines Forscherteams eindeutig auf die Kohlegewinnung zurückgehen, auf. Das berichtete die Website CommonDreams [2] unter Berufung auf eine Studie im Journal of Community Health: The Publication for Health Promotion and Disease Prevention. [3] Der Kohletagebergbau in den Zentralappalachen hat einen Anteil an der US-Kohleförderung von fünf bis acht Prozent. Täglich werden in Bundestaaten wie West-Virginia mehr als 1000 Tonnen Sprengstoff gezündet, um unter anderem die bis zu 120 Meter mächtigen Deckschichten über den Kohleflözen zu beseitigen.

Die Forscher hatten Gesundheitsangaben aus Gebieten mit und ohne Kohletagebergbau ausgewertet. Bei einer Tür-zu-Tür-Befragung unter 769 Erwachsenen wurde festgestellt, daß die Krebsrate in den Bergbauregionen doppelt so hoch liegt wie in den bergbaufreien Regionen. Wobei die Forscher bei der Bewertung des Krebsrisikos Faktoren wie Alter, Geschlecht, Rauchen, Belastung mit Schadstoffen am Arbeitsplatz und Vererbung berücksichtigten.

Das Studienergebnis ist Wasser auf die Mühlen einer breiten Protestbewegung, die auf zahlreichen Wegen versucht, das weitere Absprengen ganzer Bergkuppen für die Kohlegewinnung und das Auffüllen der Täler [4] mit dem Abraum aufzuhalten. Beispielsweise sitzen Protestierer auf einem Baum im Coal River Valley, in dem auch die Umfrage durchgeführt wurde. Außerdem hatten mehr als 700 Personen aus der Stadt Rawl und Umgebung Klage gegen das Bergbauunternehmen Massey Energy, das in diesem Jahr von Alpha Natural Resources übernommen wurde, eingereicht. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, es habe Hunderte von Brunnen mit Schmutzwasser aus der Kohlegewinnung verunreinigt. [5] Der erste Verhandlungstag war für den 1. August 2011 angesetzt, doch kurz zuvor kam es laut AP zu einer ausgerichtlichen Einigung, über deren Inhalt Stillschweigen vereinbart wurde. [6]

Unter anderem hatte das Bergbauunternehmen ausgeschöpfte Minenschächte mit einer Schlemme, die bei der Aufbereitung der Kohle anfällt, gefüllt und offenbar gedacht, das Problem damit behoben zu haben. Aber die schwermetallhaltige Kohleschlemme gelangte ins Grundwasser und hat die Brunnen der Einheimischen verseucht. Krebs, wie er der jüngsten Studie zufolge in der Region vermehrt auftritt, ist eine typische Folge solch einer Schwermetallkontamination. Darüber hinaus gibt es in den Appalachen mehr als 600 sogenannte "coal slurry ponds", also Becken mit der giftigen Kohleschlemme.

Das politische Establishment scheint die Umweltfolgen der "Enthauptung" der Appalachenberge nicht zu kümmern. Ende Juli berichtete die New York Times [7], daß Senator Joe Manchin, der West-Virginia für die Demokraten im Kongreß vertritt und den Kohletagebergbau kräftig unterstützt, allein in den Jahren 2009, 2010 von den Kohlelobbyunternehmen Enersystems Inc. 1.363.916 Dollar erhalten hat. Vor kurzem auf diesen "Neben-"Verdienst angesprochen, habe Manchin erwidert, daß dies "absolut nicht" seine politischen Entscheidungen beeinflußt habe.

Womöglich glaubt Manchin ernsthaft, was er da behauptet, denn tatsächlich hat er sich nicht erst als Senator für den Kohleabbau eingesetzt. Bereits 1998, als er noch Präsident von Enersystems Inc. war, sprach er sich als Mitglied eines örtlichen Wirtschaftsentwicklungskomitees für eine Stärkung des Kohleabbaus aus. Somit hätte er seine politische Einstellung beibehalten. Es bleibt der Vermutung überlassen, ob Manchin auch dann noch seit Votum für das Absprengen ganzer Bergkuppen abgegeben hätte, wenn er kein Geld aus der von dieser umwelt- und gesundheitsgefährdenden Branche erhielte.

Im Juni war eine hochrangige Delegation aus den Appalachen nach Washington gereist, um Präsident Barack Obama, EPA-Administratorin Lisa Jackson, Generalstaatsanwalt Eric Holder und der Leiterin des Department of Health and Human Services, Kathleen Sebelius, eine Studie zu überreichen, derzufolge es einen Zusammenhang zwischen dem Kohletagebergbau und dem vermehrten Auftreten von Geburtsfehlern gibt. Zugleich wurde ein sofortiges Moratorium des Bergbaus in West Virginia, Kentucky, Tennessee und Virginia gefordert, bis daß das Seuchenkontrollzentrum (Center for Disease Control) oder andere Bundesbehörden eine umfangreiche Untersuchung durchgeführt hätten.

Zu dem Moratorium ist es bis heute nicht gekommen und wird es wohl auch nicht. In den USA wird gegenwärtig eine beispiellose Schuldumlastung von oben nach unten eingeleitet, was bedeutet, daß der Staat, bzw. die verschiedenen administrativen Ebenen - Bundesbehörden, Staatsbehörden, Städte und Gemeinden - das Gewicht nach unten abschieben. Das geht damit einher, daß sich der Staat von vielen Versorgungsleistungen verabschiedet. [8] Umweltfragen zu berücksichtigen könnte einem Politiker vor diesem Hintergrund die Karriere kosten.

Vor die Wahl gestellt, einem Bergbaukonzern die Lizenzrechte zu entziehen und Regressansprüche begleichen zu müssen oder aber eine Fortsetzung des destruktiven Kohletagebergbaus zu gestatten, wird ein Regierungsvertreter aufgrund der allgemeinen Schuldenlast noch eher als bisher geneigt sein, sich für die vermeintlich kostengünstigere Option zu entscheiden.

Ob diese dann tatsächlich geringere Kosten verursacht, hängt allerdings vom Bewertungsmaßstab ab. Da aber die Aufwendungen für eine nach bestem medizinischen Kenntnisstand durchgeführte Krebstherapie in vielen Fällen privat geleistet werden, bleibt der Staat davon frei und kann dermaßen dramatische Studienergebnisse, wie sie hier beispielhaft aus dem Kohletagebergbau der Appalachen berichtet werden, schlicht ignorieren. Und solange die destruktiven Umweltfolgen des Bergbaus niemandem in Rechnung gestellt werden, haben die Stadtkämmerer und alle anderen Pfennigfuchser kein Problem damit, daß das Grundwasser und die Oberflächengewässer im Bergbaugebiet höhere Konzentrationen an Schwefel, Eisen, Mangan, Arsen, Selen, Schwefelwasserstoff, Blei, Magnesium, Kalzium und Aluminium aufweisen, die heimische Flora und Fauna schädigen und sich mitunter jahrzehntelang halten. Oder daß darüber hinaus auch die Luft in der Bergbauregion erhöhte Werte von Partikel auf wie Ammoniumnitrat, Silizium, Schwefelverbindungen, Metalle, Benzol, Kohlenmonoxid, Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Stickoxide aufweisen.

Wurde Präsident Barack Obama vor seiner Wahl zum US-Präsidenten im Jahr 2008 noch als Hoffnungsträger der sozial Benachteiligten und Klimaschützer gehandelt, so signalisiert die US-Regierung gegenwärtig grünes Licht für die Wirtschaft und rotes Licht für den Umweltschutz.

Fußnoten:

[1] "House Republicans Massively Chop Funding for Wildlife, Clean Water and Air" Environment News Service über AlterNet, abgerufen am 31. Juli 2011
http://www.alternet.org/story/151654/house_republicans_massively_chop_funding_for_wildlife%2C_clean_water_and_air

[2] "Breaking: New Study Links Mountaintop Removal to 60,000 Additional Cancer Cases", 27. Juli 2011
http://www.commondreams.org/headline/2011/07/27-2

[3] "Self-Reported Cancer Rates in Two Rural Areas of West Virginia with and Without Mountaintop Coal Mining", Michael Hendryx, Leah Wolfe, Juhua Luo, Bo Webb, Journal of Community Health, DOI: 10.1007/s10900-011-9448-5
http://www.springerlink.com/content/3h175p782691j628/

[4] Näheres im UMWELT-Pool des Schattenblick unter dem Index:
RESSOURCEN/122: Kohleabbau USA - Schutz für Täler, nicht für Bergkuppen (SB)

[5] "Why Does Massey Energy Get Away With Murder While Environmentalists Are Sent to Prison?" AlterNet, 29. Juli 2011
http://www.alternet.org/environment/151841/why_does_massey_energy_get_away_with_murder_while_environmentalists_are_sent_to_prison_?page=entire

[6] "Massey Energy Settles West Virginia Coal Slurry Case", Huffington Post, 27. Juli 2011
http://www.huffingtonpost.com/2011/07/27/massey-energy-west-virginia-coal-case_n_910798.html

[7] "Sen. Manchin Maintains Lucrative Ties to Family-Owned Coal Company", The New York Times, Greenwire, 26. Juli 2011
http://www.nytimes.com/gwire/2011/07/26/26greenwire-sen-manchin-maintains-lucrative-ties-to-family-64717.html?pagewanted=print

[8] "US-Kommunen. Die Invasion der Schulden-Sheriffs", manager magazin, 19. Juli 2011
http://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/0,2828,775129,00.html

1. August 2011