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LAIRE/188: US-Militärrecht in Zukunft gegen Tierbefreier und Klimaschützer? (SB)


Gesetzentwurf macht das gesamte US-Territorium zum
Kriegsgebiet

Als "Terroristen" gebrandmarkte Personen rücken noch stärker ins Visier des US-Militärs


Militärrecht gegen Tierbefreier und Klimaschützer? Diese Frage ist provokant gemeint und klingt übertrieben. Das ist sie aber viel weniger, als man meinen sollte, denn gegenwärtig werden die Weichen dafür gestellt, daß vom Staat als "Terroristen" oder "Extremisten" eingestufte Personen radikal aus dem Verkehr gezogen werden können. In den Vereinigten Staaten durchläuft gegenwärtig der Gesetzesentwurf "National Defense Authorization Act for Fiscal Year 2012" die Institutionen und wird aktuell im Senat diskutiert. Mit dem Gesetz würden grundlegende Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt. So ist vorgesehen, daß alle sogenannten Terroristen von Militärtribunalen zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt werden können. Das schließt US-Bürger auf US-Territorium ein. [1]

Die Militärgerichtsbarkeit ersetzt die zivilen Gerichte. Damit wäre die Gewaltenteilung partiell aufgehoben. Mit der extralegalen Liquidation von Anwar al-Awlaki am 30. September 2011 durch eine von der CIA gesteuerte, bewaffnete Drohne im nördlichen Jemen hat der Militärapparat gezeigt, daß er das Zivilrecht mißachtet und selbst US-Staatsbürger dem Militärrecht unterwirft. Dieses Recht würde nun in Marmor gemeißelt. Die Chancen, daß der Gesetzentwurf durchgewunken wird, sind groß, da er von Mitgliedern beider Fraktionen des Senats eingebracht wurde. Die beiden Senatoren Carl Levin und John McCain, der eine von den Demokraten, der andere von den Republikanern, behaupten zwar in einem gemeinsamen Meinungsbeitrag in der "Washington Post" [2], der als Reaktion auf heftige Proteste seitens der Zivilbevölkerung gegen das Gesetz geschrieben wurde, daß es Militärgefängnisse nur für "eine eng definierte Gruppe", nämlich "Al-Qaida-Terroristen, die an Angriffsplanungen oder -durchführungen gegen uns beteiligt sind", vorsieht, aber gleichzeitig wird der Administration eingeräumt, darüber zu entscheiden, welche Personen von dem Gesetz erfaßt werden. Diese Möglichkeit interpretieren die beiden Senatoren so, als würde dadurch der Kreis der Personen, auf die das Gesetz zur Anwendung gelangt, eingeschränkt. Das ist eine bloße Behauptung, die jedenfalls nicht durch den Gesetzesvorschlag gedeckt wird. Der unterstellte Gegensatz zwischen Militär und Zivilregierung trifft nicht zu. Der Oberbefehlshaber über die Streitkräfte ist zugleich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Umgekehrt würde der Gesetzentwurf darauf hinauslaufen, daß in den USA eine Form von generellem Feindstrafrecht etabliert wird, die es dem militärisch-administrativen Komplex erlaubt, seine Repressionsapparate weiter auszubauen. Die USA und die ganze Welt würden gesetzlich abgesegnet als Kriegsschauplatz gelten, was bedeuten könnte, daß das US-Militär auch im Landesinnern Drohnen einsetzt und Verdachtspersonen und alle, die sich in ihrer Nähe aufhalten, ohne Gerichtsverhandlung liquidiert. So wie Anwar al-Awlaki und die, die bei ihm waren, als die Rakete einschlug. Oder sein 16-jähriger Sohn Abdulrahman al-Awlaki, der zwei Wochen nach seinem Vater auf gleiche Weise liquidiert wurde.

McCain und Levin argumentieren, daß sie der Administration keine Fesseln anlegen, sondern ihr im Gegenteil die Entscheidungsbefugnis überlassen, ob eine Person der Militärgerichtsbarkeit unterstellt werden soll oder nicht. Solche als Beruhigung gedachten Erklärungen sind Blendwerk, denn wie der auch von der CIA betriebene Drohnenkrieg zeigt, stehen die zivilen Behörden dem Militär an Grausamkeit in nichts nach.

Die Frage, ob das nach dem vorliegenden Gesetzentwurf geltende Recht nicht allein auf Mitglieder von Al Qaida, Taliban oder verbündete Gruppen, sondern auf sämtliche als "terroristisch" definierte Gruppen angewandt werden würde, läßt sich zum jetzigen Zeitpunkt nur deshalb nicht abschließend sagen, als daß es sich "nur" um einen Entwurf handelt. Dennoch, läßt man die Terrorgesetzgebung der letzten zehn Jahre Revue passieren - hier ist insbesondere das Military Commissions Act vom 17. Oktober 2006 zu nennen, das den rechtlichen Status "ungesetzlicher feindlicher Kombattanten" regelt -, so ist ein eklatanter Trend zu immer mehr Repressionen und Gewaltmitteln des Staates und einem rapiden Demokratieabbau zu erkennen.

Beispielsweise wurde ab dem 1. Oktober 2008 die Erste Kampfbrigade der Dritten Division (First Brigade Combat Team - 1. BCT) als erste aktive, reguläre Armee-Einheit dauerhaft auf dem Territorium der Vereinigten Staaten stationiert. [3] Die "Raiders" genannte, 4000 Mann starke Kampftruppe war im Jahr 2003 an der Eroberung Bagdads beteiligt und verfügt über reichlich Erfahrung im Häuserkampf. Die US-Soldaten sollen "den Feind" im Innern bekämpfen. Die USA sind bereits heute eine stark militarisierte Gesellschaft, man könnte von einer Militärdemokratur sprechen. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden die politischen Verhältnisse ein weiteres Stück in Richtung Militärdiktatur verschoben.

Deshalb ist die Frage zulässig und diskutierenswert, ob das oben geschilderte Feindstrafrecht eines Tages nicht auf alle Personen, die das unsichtbare Brandmal "Terrorist" tragen, angewendet werden wird. Das beträfe dann auch Aktivistinnen und Aktivisten der Organisationen ELF (Earth Liberation Front) und ALF (Animal Liberation Front), werden sie doch von der US-amerikanischen Bundespolizei FBI als die gefährlichsten heimischen Terrorgruppen bezeichnet. Auf das Konto der Tierbefreier, Klima- und Umweltschützer von ELF und ALF sollen diverse Brandanschläge auf Einrichtungen der Tierverbrauchsforschung, spritfressende Autos, Neubauten in Naturschutzgebieten und ähnliches gehen. In den letzten Jahren ist es zwar etwas stiller um die beiden Organisationen geworden, was wohl auch mit Ermittlungserfolgen der Sicherheitsbehörden und Verurteilungen von Aktivistinnen und Aktivisten zu Freiheitsstrafen zurückgehen dürfte, aber weder haben sich die beiden netzwerkartigen Initiativen aufgelöst noch hat sich der Zorn der Beteiligten über die bestehenden Verhältnisse gelegt.

Mit der Occupy-Bewegung hat der Zorn einen neuen Namen erhalten. Diese Bewegung zielt nicht in erster Linie auf die Befreiung der Tiere oder den Schutz des Klimas, sondern die Entmachtung des Finanzkapitals der Wallstreet ab. Noch sind die Protestformen weitgehend friedlich, sieht man von einigen Auseinandersetzungen mit der Polizei ab, die auf Biegen und Brechen versucht hat, die Staatsgewalt durchzusetzen. Jedoch birgt die Occupy-Bewegung ein enormes Potential, mit ihren Widerstandsformen irgendwann an die Radikalität von ALF und ELF anzuknüpfen oder sogar darüber hinausgehen.

Viele US-Analysten konstatieren, daß al-Qaida durch die Elimination seiner Führung deutlich geschwächt wurde. In der Medienberichterstattung taucht dieses Gespenst der Geheimdienste immer seltener auf. Warum also ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt ein angeblich eng auf al-Qaida zugeschnittenes Gesetz auf den Weg bringen? Warum werden dem Militär mehr Möglichkeiten eingeräumt, auf heimischem Territorium tätig zu werden?

Vielleicht, um eines Tages mit militärischer Härte gegen ALF, ELF, die Occupy-Bewegung oder irgendeine andere Initiative, die gegen das Establishment gerichtet ist, vorgehen zu können. Beispielsweise in Zeiten, in denen aus kriegerischen, wirtschaftlichen oder auch klimatischen Gründen die Versorgung mit Energie und anderen Ressourcen beeinträchtigt wird. Mögen die Senatoren Levin und McCain auch beschwichtigen: Inhalt und Erscheinungszeitpunkt ihres Entwurfs lassen ahnen, daß es sich um ein Gesetz handelt, das dazu beitragen soll, den Sozialkampf zu Gunsten der herrschenden Klasse zu entscheiden.

In gesellschaftlich hochgradig angespannten Zeiten, wie sie mit der Finanz- und Wirtschaftskrise heraufgezogen sind und sich nun weiter ausbauen, wird das Aufbegehren gegen die Repressionen als Gefährdung der Nationalen Sicherheit angesehen und entsprechend schwer geahndet. Wer dann als "Terrorist" gebrandmarkt ist, weil er gefangene Tiere befreit oder sich im radikalen Klimaschutz engagiert, muß damit rechnen, für immer seiner Freiheit beraubt zu werden. Die war im übrigen schon immer ein Lehen des Staates.

Die Klimaschutzverhandlungen von Durban können getrost als weitgehend gescheitert angesehen werden. Die Vereinbarung, zu einem späteren Zeitpunkt vereinbaren zu wollen, was eventuell, vielleicht, womöglich irgendwann gegen die globale Erwärmung unternommen werden soll, wird nicht im mindesten dem Anspruch des gebotenen Klimaschutzes gerecht. Das wissen die Regierungen sehr genau. Wenn sie dennoch so tun, als bestünde mit den Vereinbarungen noch die Chance, das Klima "zu retten", so versuchen sie den Menschen eine heile Welt vorzugaukeln, während sie hinter dem Rücken Gesetze auf den Weg bringen, durch die alle Bürgerinnen und Bürger wie Staatsfeinde behandelt werden, um sie auch in Zeiten steigenden existentiellen Drucks kontrollieren zu können.

Es könnte also sein, daß sich die US-Regierung mit dem Gesetzesentwurf auf Zeiten vorbereitet, in denen zur Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung US-amerikanisches Militär auf US-amerikanischem Territorium Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durchführt, wie sie bislang nur den Menschen in anderen Ländern angetan werden. Wer meint, daß das nur gerecht sei, da ja die US-Bürger keine wertvolleren Menschen sind als beispielsweise die Afghanen, täuscht sich über die Konsequenzen dieser potentiellen Entwicklung. Denn wenn das US-Militär so mit der eigenen Bevölkerung umspringt, bedeutete das, daß es auf Leben und Gesundheit der Bewohner anderer Länder noch sehr viel weniger Rücksicht nehmen wird als heute.



Anmerkungen:

[1] "Congress endorsing military detention, a new AUMF", Glenn Greenwald, 1. Dezember 2011
http://www.salon.com/2011/12/01/congress_endorsing_military_detention_a_new_aumf/singleton/

[2] "Defense bill offers balance in dealing with detainees", Carl Levin und John McCain, The Washington Post, 28. November 2011
http://www.washingtonpost.com/opinions/defense-bill-offers-balance-in-dealing-with-detainees/2011/11/27/gIQAf2Qn2N_story.html

[3] "Armee stationiert Kampftruppen in den USA gegen zivile Unruhen", Bill Van Auken, World Socialist Website, 30. September 2008
http://www.wsws.org/de/2008/sep2008/arm-s30.shtml

19. Dezember 2011