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LAIRE/195: Energie-Revolution - mit Radikalem schmücken, um es zu umschiffen (SB)


Die Revolution findet nicht statt

Wind- und Solarenergie statt Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken - was hat das mit "revolutionär" zu tun?


Von einer Energiewende oder gar Energierevolution wird gegenwärtig landauf, landab gesprochen. Dabei ist es schon längst kein Alleinstellungsmerkmal der Partei der Grünen, Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke abschaffen und die Versorgung des Industriestandorts Deutschland allein durch sogenannte erneuerbare Energien sichern zu wollen. Selbst der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU), der die Bundesregierung berät, spricht von einer "großen Transformation" der Gesellschaft, an der den erneuerbaren Energien ein wesentlicher Anteil zukommen soll. [1]

Die Urheber solcher Konzepte wissen schon, warum sie der die Voraussetzungen ihrer gesellschaftlichen Existenz in Frage stellenden Revolution das Wort "Energie-" voranstellen, wird doch damit die propagierte Umwälzung eingeschränkt, entschärft und verdaulich gemacht. Auf keinen Fall fordern die selbsterklärten Energie-Revolutionäre einen generellen Bruch mit der Gesellschaft, der dann konsequenterweise sämtliche Lebensbereiche betreffen müßte. Die Energiesysteme und die damit zusammenhängende Infrastruktur sollen einen Wandel erfahren, mehr nicht.

Aber natürlich auch nicht weniger. Im Zuge der technologischen Entwicklung der Menschheit stellten regenerative Energiesysteme, sollten sie jemals die Energiebereitstellung dominieren, eine weitreichende Innovation dar. Doch die übergreifende Gesellschaftsordnung, also die Art, wie die Arbeit organisiert wird und wer davon in welchem Ausmaß profitiert, verändert sich durch die Energiewende absehbar nicht. Beispielsweise bliebe die Kernvoraussetzung der Produktion und Inbetriebnahme von Solarzellen, Windkraftanlagen, Blockheizkraftwerken, Hybridautos, etc. erhalten: Menschen verrichten Arbeit, die einen Mehrwert abwirft, der nicht ihnen, den eigentlichen Produzenten, sondern dem Eigner der Produktionsmittel zugute kommt.

Die Produktionsstätten in der Branche der erneuerbaren Energien unterscheiden sich faktisch nicht von denen anderer industrieller Branchen. Im Gegenteil, verglichen mit den in Deutschland üblichen Arbeitsverhältnissen gab es schon manche Kritik an den Erneuerbaren. "Warum ist es um den Gesundheitsschutz beim Windkraftanlagenhersteller Bard so schlecht bestellt?", fragten vor zwei Jahren laut einem Bericht der IG Metall die Mitarbeiter der genannten Firma. Unter anderem setzte ihnen das verwendete Epoxydharz schwer zu. Ursache war anscheinend ein neuer Härter. [2] In anderen der etwa 3500 Unternehmen mit ihren rund 84.000 Mitarbeiterinnern und Mitarbeitern aus der Windenergiebranche in Deutschland (Zahlen aus dem Jahr 2007) werden ähnliche Fragen gestellt [3].

Dirk Seifert, Energiereferent der Organisation Robin Wood in Hamburg, und Wolfgang Rohde, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, bekannten sich im Robin Wood-Magazin Nr. 106/3.10 in jeweils eigenen Beiträgen klar zur Energiewende, machten aber zugleich auf die unzureichenden Arbeitsbedingungen in der Branche aufmerksam. [4] Erneuerbare Energie-Unternehmen zahlen tendenziell geringere Löhne, binden sich oftmals nicht an Tarifverträge und greifen auf einen hohen Anteil von Leiharbeitern zurück. In einem Beitrag der Nordsee-Zeitung werden als Negativbeispiele namentlich die Unternehmen Repower und Powerblades genannt. [5] Auch das in Frankfurt an der Oder ansässige US-Unternehmen Conergy war wegen eines hohen Anteils an Leiharbeitern und seiner 12-Stunden-Schichten in die Kritik geraten. [6]

Man kann davon ausgehen, daß die genannten Unternehmen nicht die einzigen sind, die hinsichtlich der Arbeitsbedingungen "Nachholbedarf" haben. Auch muß bedacht werden, daß solche Angaben schnell veralten, sollten die in Verruf geratenen Unternehmen entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Aber hier geht es sowieso nicht darum, einzelne Unternehmen herauszupicken und zu bezichtigen, sondern darum aufzuzeigen, daß die gesellschaftlichen Produktionsvoraussetzungen von der verheißenen Energiewende unberührt bleiben. Der insbesondere von den Grünen propagierte Green New Deal stellt sich nicht gegen die kapitalistische Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, sondern es soll damit der Kapitalismus als zukunftsfähiges Verwertungsmodell gerettet werden - und ganz nebenbei fällt durch die "Energierevolution" der eine oder andere hochbezahlte Posten in der Öko-Industrie oder an der Regierungsspitze ab. Da sollte es nicht wundern, wenn die fossil-nukleare Energiewirtschaft zurückschlägt oder aber sich an die Spitze der alternativen Energieproduktion setzt.

Wie wir an früherer Stelle beispielhaft anhand der Energiebilanz von Windkraftanlagen problematisierten [7], sind diese hinsichtlich des Umgangs mit Energie weniger revolutionär, als man auf den ersten Blick glauben könnte. Bei der Frage, ob Windkraftanlagen mehr Energie erzeugen, als zu ihrem Bau, Betrieb und Rückbau verbraucht wurde, ging es zunächst nicht darum, sie mit anderen Technologien der Energieproduktion zu vergleichen. Das wäre sicherlich eine Anschlußfrage, die sich eine menschliche Gemeinschaft stellen könnte. Die reine Energiebilanz hingegen beschränkt sich auf die Frage, ob bei dieser Technologie die Gewinne die Verluste überwiegen oder nicht.

In den Publikationen, die wir in dieser Hinsicht überprüft haben [7], werden in Energiebilanzen allgemein zwei Faktorenkomplexe zu gering geschätzt bzw. gar nicht berücksichtigt. Zum einen gewisse infrastrukturellen Voraussetzungen, die zum Bau einer Windkraftanlage erforderlich sind, aber vernachlässigt werden, zum anderen der menschliche Faktor. Ohne die menschliche Arbeit entstünde niemals eine Windkraftanlage und ohne eine regelmäßige Energiezufuhr könnte kein Mensch existieren. Diese beiden und weitere Faktoren lassen die in der Literatur anzutreffenden Angaben, daß Windkraftanlagen einen Erntefaktor von 40 oder gar 70 haben, als realitätsferne Phantasmen erscheinen.

Das Ausblenden des menschlichen Faktors aus Energiebilanzen korrespondiert wiederum mit der Vernachlässigung des menschlichen Faktors sowohl bei der Herstellung der Energiesysteme als auch allgemein beim angestrebten Umbau der Gesellschaft. Wenn dessen Apologeten hin und wieder die Notwendigkeit zur Sozialverträglichkeit betonen, dann ist das zunächst einmal nur eine Forderung, und die wird im Rahmen bestehender Produktionsverhältnisse aufgestellt und nicht etwa als ihr Gegenmodell entworfen. "Sozialverträglich" kann vieles bedeuten, aber sicherlich keine entschiedene gesellschaftliche Umverteilung von unten nach oben, geschweige denn, daß dadurch die Eigentumsfrage aufgeworfen würde. Wer sich "energierevolutionär" auf die Fahne schreibt, braucht sich bequemerweise um die Anlässe, weswegen jemand revolutionär werden könnte, keine Gedanken zu machen, denn er ist ja mit Energiefragen beschäftigt.



Fußnoten:

[1] "Welt im Wandel - Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation", WBGU, Redaktionsschluß: 17. März 2011
http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/jg2011/wbgu_jg2011.pdf

[2] "Saubere Branche, schmutzige Arbeitsbedingungen", IG Metall, 8. Juni 2010
http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-0A456501-95130578/internet/style.xsl/beschaeftigte-beim-windkraftanlagenhersteller-bard-fordern-4765.htm

[3] "Berufswelt Windenergie",Gate4Renewables, aus dem Internet abgerufen am 15. Februar 2012
http://www.gate4renewables.de/berufswelten/windkraft.html

[4] "Ökologisch hui - sozial pfui? Soziale und gesundheitliche Aspekte der erneuerbaren Energien", Robin Wood, Nr. 106/3.10
http://robinwood.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Magazin/2010-3/106-28-31-ene-arbeit.pdf

[5] "Flecken auf der grünen Weste", Nordsee-Zeitung, 19. März 2011
http://www.nordsee-zeitung.de/region/bremerhaven_artikel,-Flecken-auf-der-gruenen-Weste-_arid,533603.html

[6] "Dunkler Schatten über Solar City", Zeit online, 11. Oktober 2011
http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2011-10/solarwirtschaft-arbeitsbedingungen/komplettansicht

[7] "LAIRE/192: Über die unvollständige Energiebilanz von Windkraftanlagen (SB)", 25. Januar 2012
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/meinunge/umme-192.html

16. Februar 2012