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LAIRE/199: Umweltstudie der US-Navy - Wale stärker durch Manöver geschädigt als angenommen (SB)


Zerstörte Hörorgane - tote Meeressäuger

"Kollateralschäden" in den Übungs- und Manövergebieten der US-Navy



Bei Manövern und Übungen der US-Navy in den Meeresgebieten vor Kalifornien und Hawaii werden vermutlich deutlich mehr Wale und Delphine geschädigt oder getötet als in früheren Studien angenommen. Zu dieser Einschätzung gelangen Navy-Experten in ihrer jüngsten, 1800 Seiten umfassenden Evaluation, die Bestandteil einer umfassenden Umweltfolgenabschätzung der für den Zeitraum 2014 bis 2018 vorgesehenen Trainings und Übungen der Navy ist [1]. Am 10. Mai stellten John Van Dame, Umweltplaner der U.S. Pacific Fleet, und Roy Sokolowski, Sonar-Experte der U.S. Pacific Fleet, die Untersuchungsergebnisse der neuen Studie in Honolulu vor.

In der Navy-Studie heißt es, daß der Einsatz von Sprengstoffen und Sonar innerhalb eines Jahres unabsichtlich zu mehr als 1600 Fällen von Hörverlust und anderen Verletzungen von Meeressäugern führt und daß wegen der Aktivitäten schätzungsweise mehr als 200 Tiere ums Leben kommen. In der gegenwärtig geltenden Navy-Analyse, die den Zeitraum 2009 bis 2013 abdeckt, wurde noch von potentiell rund 100 toten Meeressäugern ausgegangen. Die Diskrepanz wird mit neueren Erkenntnissen zum Verhalten der Wale und Delphine und verbesserten Computermodellen zur Vorhersage der Folgen eines Sonareinsatzes auf die Meeresbewohner erklärt. Zudem floß erstmals auch die Sonarbenutzung innerhalb des Hafens in die Bewertung ein.

Jedesmal, wenn wir den Prozeß durchlaufen, werden wir besser, sehen genauer hin, berücksichtigen mehr Dinge, erklärte John Van Name laut AP [1]. Was sich aus seinem Munde sehr vielversprechend anhört, klingt schon längst nicht mehr so überzeugend, wenn man bedenkt, daß Umwelt- und Tierschützer jene Faktoren, die erst in die nächste Umweltfolgenabschätzung Eingang finden sollen, schon vor vielen Jahren angemahnt hatten. Darüber hinaus steht weder fest, inwiefern die Navy die Anregungen aus dem Gutachten übernimmt, noch ob später die Vorschriften eingehalten und Verletzungen der Bestimmungen tatsächlich verfolgt werden.

Formal muß die US-Navy wegen der Meeressäuger einige Einschränkungen bei der Durchführung ihrer Übungen hinnehmen. Beispielsweise benötigt sie die Freigabe durch das National Marine Fisheries Service. Wenn Meeressäuger in der Nähe der Manöver- und Übungsgebiete beobachtet werden, sind keine lautstarken Tests zulässig.

Wie eingangs erwähnt, gelten diese Regelungen für Hawaii und Kalifornien, nicht jedoch für den herkömmlichen Betrieb der US-amerikanischen Seestreitkräfte. Die größte Kriegsmarine der Welt verfügt laut ihrer offiziellen Website navy.mil über 285 Schiffe [2], die teilweise Sonargeräte verwenden, die scharfe Explosionsgeräusche verursachen, die für die empfindlichen Ohren der Wale und Delphine womöglich äußerst schmerzhaft sind. Es kann sogar zu Verletzungen kommen, am ehesten vergleichbar mit der Verletzung des Trommelfels beim Menschen, wenn ein Schuß direkt neben dem Ohr abgefeuert wird. Angeblich hat die Navy bereits die Intensität des Sonars gesenkt, nachdem Forschungen ergaben, daß sich Buckelwale fortbewegen, wenn sie einem geringerem Geräuschpegel ausgesetzt sind.

Bedeutet das umgekehrt, daß sie bei lauteren Geräuschen es nicht mehr rechtzeitig schaffen zu fliehen? Das Verhalten der Meeressäuger ist oftmals schwer erklärlich. So werden für ihr regelmäßig und in vielen Regionen der Welt zu beobachtendes Massenstranden mehrere mögliche Ursachen genannt. Eine Erklärung lautet, daß sie durch die mannigfaltigen Geräusche menschlicher Aktivitäten, unter anderem durch Seemanöver, desorientiert sind. Zwar liegt diese Annahme nahe, aber was wäre, wenn die Tiere genau wüßten, was sie tun? Wenn sie sich also absichtlich umbrächten? Zugestanden, das ist eine spekulative Frage. Aber erstens ist suizidales Verhalten von Tieren, die beispielsweise einen Lebenspartner verloren haben oder in Gefangenschaft geraten sind, durchaus bekannt. Außerdem könnte der Lärm vom Standpunkt eines Meeressäugers aus eine Art Gefangenschaft, der sie zu entfliehen trachten, darstellen. Auch wenn zu den meisten Strandungsvorfällen kein unmittelbarer menschlicher Lärmeinfluß wie beispielsweise ein Seemanöver in der Nähe nachgewiesen werden kann, so nimmt ohne jeden Zweifel die allgemeine Lärmbelastung der Ozeane zu.

Abgesehen von dem im Zuge der Globalisierung enorm gewachsenen Transportaufkommen und dem damit einhergehenden, lautstarken Schiffsverkehr, schwillt die "akustische Verschmutzung" der Meere auch durch den Abbau von Rohstoffen in flachen, küstennahen ebenso wie in tieferen Gebieten immer weiter an. Falls die Tiere tatsächlich stranden, weil sie desorientiert sind, dann muß die Desorientierung sehr stark sein. Denn man kann davon ausgehen, daß die Meeresbewohner sehr genau wissen, wieviel Wasser sie noch "unterm Kiel", also unter ihrem Bauch haben. Es dürfte einen instinktiven Überlebensreflex geben, allzu seichte Stellen zu meiden. (Ausnahmen bestätigen die Regel: Orcas treiben ihre Beute ins seichte Gewässer, um sie besser fangen zu können, und scheuen sich nicht einmal, dafür auf den Strand zu schießen.)

In den USA gibt es keine Wehrpflicht, was zur Folge hat, daß die Streitkräftegattungen um Rekrutinnen und Rekruten werben. Das Erstellen eines seitenlangen Umweltgutachtens stellt ein solches Werbeversprechen für eine Entgegenkommen der Öffentlichkeit dar und könnte als Bestandteil von Maßnahmen zur tieferen Verankerung des Militärs in der Gesellschaft angesehen werden. Jedenfalls stehlt der partiellen Rücksichtnahme auf Meeressäuger eine gewaltige Destruktivität des Militärapparats in Friedens- wie in Kriegszeiten den Sphären von Luft, Boden und Wasser samt deren Bewohner gegenüber.


Fußnoten:

[1]‍ ‍"Navy Study: US Training, Testing Affects Oceans", The Associated Press, 11. Mai 2012
http://www.mintpress.net/navy-study-us-training-testing-affects-oceans/

[2]‍ ‍http://www.navy.mil/navydata/navy_legacy_hr.asp?id=146

15.‍ ‍Mai 2012