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LAIRE/244: Wem gehört der Nordpol? (SB)


Dänemark erhebt nun offiziell Anspruch auf den Nordpol



Dänemark werde am heutigen Montag bei einem UN-Gremium in New York seinen Anspruch auf den Nordpol vorbringen, sagte dessen Außenminister Martin Lidegaard Anfang dieser Woche. Er hoffe, "das [sic] sich andere Nationen mit Ansprüchen auf den Nordpol 'an die Spielregeln' halten werden", zitiert Zeit online den Minister unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AP. [1]

Eigentlich handelt es sich um einen unspektakulären, administrativen Vorgang, wenn ein Staat bei der Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels (Commission on the Limits of the Continental Shelf, CLCS), die ein Organ des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen ist, einen Antrag einreicht. Alle Signatarstaaten haben sich damit einverstanden erklärt, daß ungeklärte Grenzfragen von der CLCS geregelt werden, und im Laufe der Zeit ihre Ansprüche eingereicht. Daß sich Dänemark dem nun anschließt, weil es mit dem semiautonomen Grönland theoretisch über eine Verbindung zum Nordpol verfügt, sollte eigentlich kein Aufreger sein. Auch Rußland erhebt Anspruch auf den Nordpol und begründet dies damit, daß der russische Kontinentalsockel via Lomonossow-Rücken bis zum Nordpol reicht. Es ist kein Einzelfall, daß zwei Staaten Anspruch auf das gleiche Gebiet erheben und dies dann von der CLCS klären lassen. Die Kommission kann dann einen Vorschlag unterbreiten, auf dessen Basis die Staaten, die Anspruch auf das gleiche Gebiet erheben, in Verhandlungen treten. In diesem Fall überschneiden sich die Ansprüche mit denen Norwegens und potentiell Kanadas, Rußlands und der USA, teilte das dänische Außenministerium mit. [2]

Die Kommission scheint die Einreichung des dänischen Antrags mit der gleichen Gelassenheit aufzunehmen wie die entsprechenden Dokumente der übrigen Antragsteller. Jedenfalls hat der Vorgang zu keinem Update ihrer Internetpräsenz geführt, die den Angaben zufolge zum letzten Mal am 18. September 2013 erneuert wurde. [3]

Es darf vermutet werden, daß der dänische Außenminister nicht ohne Hintergedanken so viel Aufhebens um den Gebietsanspruch - "dieses große Projekt" - macht. Er will damit womöglich den Mitstreiter Rußland vors Schienbein treten, indem er so tut, als würde sich das Land nicht an die Spielregeln halten. Zwar ist Rußland dem Seerechtsübereinkommen beigetreten und hat wiederholt erklärt, daß es die Kompetenz der CLCS anerkennt, aber inzwischen scheint es üblich zu sein, das Land in einem schlechten Licht darzustellen, auf welchem Gebiet auch immer. So wird nach und nach ein Feindbild konstruiert, um damit vermeintlich zwangsläufige Entwicklungen einzuleiten und zu legitimieren, die sich eigentlich niemand wünschen sollte.

Im Jahr 2007 erreichte erstmals eine Forschungsexpedition den in 4087 Meter Tiefe gelegenen Meeresboden am Nordpol, was normalerweise ein Grund zur Freude wäre, denn immerhin ist der Mensch in bislang nahezu unerschlossene Bereiche des Planeten vorgedrungen. Das Tauchboot stammte jedoch aus Rußland, was hier im Westen schon mal gar nicht gut ankam, und als die Besatzung dann auch noch eine russische Fahne aus Titan in den Meeresboden versenkte, wurde - hauptsächlich von den Medien - vom Wettlauf der Staaten um die Arktis gesprochen.

Die russische Regierung hatte allerdings nie ernsthaft ihren Gebietsanspruch an diesen Akt gebunden, sondern an geologische Erkenntnisse. Oder gehört der Mond nun den USA, nur weil dort im Jahr 1969 Astronauten die amerikanische Flagge aufgestellt haben? Hat daraufhin Dänemark gefordert, daß sich die Amerikaner "an die Spielregeln" halten sollen? Und was ist mit der kleinen Hans-Insel in der Nares-Straße zwischen dem zu Dänemark gehörenden Grönland und Kanada? Beide Staaten erheben Anspruch auf die kleine Insel, der Streit ist bis heute nicht beigelegt. Es war der dänische Minister Tom Hoeyem, der dort 1984 eine Flagge seines Landes aufstellte und zusammen mit einer Flasche Brandy die Botschaft hinterließ: "Velkommen til den danske ö" (Willkommen auf der dänischen Insel). Die Kanadier sollen sich revanchiert und eine kanadische Flagge mitsamt einer Flasche Whiskey auf der Insel hinterlassen haben.

Wenn nun die Medien als Reaktion auf die Ankündigung Lidegaards Formulierungen verwenden wie, "das Rennen um die Vormacht am Pol hat längst begonnen" (Deutsche Welle [4]) oder gar "auch andere Anrainerstaaten wie Russland und Kanada beanspruchen die Arktis wegen der dort vermuteten Bodenschätze für sich" (Die Welt [5]), dann ist das völlig überzogen, weil die Souveränitätsrechte eines großen Teils der Arktis eindeutig geklärt sind, da er von der 200-Seemeilen-Zone abgedeckt wird. In diesem Gebiet liegen mehr als 90 Prozent der vermuteten Erdgas- und Erdölvorkommen! Ähnliches gilt für andere Rohstoffe. Über die 200-Seemeilen-Zone hinaus können Staaten Anspruch auf eine bis zu 350 Seemeilen ins Meer ragende Zone erheben, wenn ihr Kontinentalsockel so weit reicht, müssen dies aber bei der CLCS begründen. Auch diese Zone ist in der Arktis zum allergrößten Teil unter den Staaten geklärt. Zur hoheitsrechtlich noch ungeklärten Fläche gehören jene nun von Dänemark offiziell beanspruchten rund 895.000 Quadratkilometer, in denen auch der geographische Nordpol liegt - bei einer Gesamtfläche des Arktischen Ozeans von 14,09 Mio. Quadratkilometern.

Es wäre wünschenswert im Sinne eines konfliktarmen Miteinanders der Staatengemeinschaft, wenn das Aufstellen der russischen Flagge am Nordpol nicht als ernsthafte Inbesitznahme aufgefaßt würde und wenn ein Staat nicht den anderen warnte, er solle sich an die Spielregeln halten. Rußland erhebt einen Anspruch auf das Gebiet am Nordpol, Dänemark ebenfalls, beide begründen dies mit der Ausdehnung ihres Festlandsockels, und geklärt wird es von der Festlandsockelkommission. Punkt. Die könnte sogar zu dem Schluß gelangen, daß das Gebiet niemandem gehört, sondern wie die Hohe See zum gemeinsamen Erbe der Menschheit zählt.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-12/nordpol-daenemark-russland-kanada

[2] http://um.dk/en/news/newsdisplaypage/?newsID=71574E42-6115-4D16-9C8A-4C056F8603F3

[3] http://www.un.org/depts/los/clcs_new/clcs_home.htm

[4] http://dw.de/p/1E4Ba

[5] http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article135375262/Daenemark-erhebt-Anspruch-auf-Nordpol.html

16. Dezember 2014