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LAIRE/246: Marktmacht des Konzernsaatguts ungebrochen (SB)


EU-Kommission zieht Entwurf für eine Verordnung zur Vermarktung von Saatgut zurück


Die EU-Kommission hat vor kurzem ihren Entwurf für eine neue Saatgutverordnung formell zurückgezogen. Bereits vor einem Jahr war dieser vom EU-Parlament mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Damit scheint eine breite Kampagne von Nichtregierungsorganisationen und Verbänden gegen das Vorhaben nun endlich von Erfolg gekrönt. [1]

Allerdings dürften die Gründe, weswegen die EU-Kommission die Verordnung zurückzieht und NGOs diese ablehnen, nicht die gleichen sein. Indem nun die EU-Kommission unter ihrem neuen Vorsitzenden Jean-Claude Juncker entschieden hat, keine überarbeitete Version der Verordnung vorzulegen, sondern es sich vorbehält, noch in dieser Legislaturperiode einen neuen Entwurf zu präsentieren, hat dies zwar zur Folge, daß dann auch NGOs angehört werden müssen; das könnte man als einen ersten Erfolg der Zivilgesellschaft deuten. Doch erstens birgt so eine Partizipation die Gefahr, daß kritische Positionen verwässert und schließlich vereinnahmt werden, und zweitens könnte die unter anderem vom EU-Parlament vorgebrachte Kritik, der Entwurf sei zu bürokratisch und würde die Kommission mit allzu weitgehenden Befugnissen ausstatten [2], eine Straffung der Gesetze auslösen, durch die letztlich das Konzernsaatgut gestärkt wird.

Anfang der 1980er Jahre existierten weltweit noch etwa 1000 Saatzuchtunternehmen, von denen jedes einen Weltmarktanteil von nicht mehr als ein Prozent besaß. Heute entfallen auf die drei größten Konzerne über 50 Prozent der Saatgutproduktion, auf die größten zehn sogar 70 bis 80 Prozent. In den letzten 100 Jahren sind in den EU-Ländern 90 Prozent der Saatgutsorten verschwunden. Der alte Entwurf hätte sowohl die Monopolisierung als auch den Verlust an Biodiversität verstärkt, was vermuten läßt, daß der neue Entwurf von seiner Grundausrichtung her nicht anders aussehen wird als der alte. Jedenfalls ist nicht erkennbar, was in der Zwischenzeit bei der EU-Kommission einen historischen Kurswechsel bzw. eine radikale Trendumkehr hätte auslösen können. Nach wie vor gilt, daß die Brüsseler Behörden die ab dem Jahr 1966 beschlossenen zwölf Richtlinien zum Saatgutrecht zusammenfassen wollen.

Damit ist kein Sortenschutz gemeint, mit dem patentrechtliche Fragen behandelt werden, sondern eine Saatgut-Normierung für die Marktzulassung. Jede Sorte wird nach DUS-Richtlinien bewertet. Das Akronym steht für englisch "distinct" (unterscheidbar), "uniform" (einheitlich) und "stable" (beständig) und bedeutet, daß sich eine neue Sorte von anderen unterscheiden muß, die Pflanzen einer Sorte weitgehend einheitlich sind und auch von einer Generation zur nächsten keine größeren Abweichungen auftreten. Selbst die NGOs und kleinen Saatgutzüchter verschließen sich einer Vereinheitlichung der Gesetzgebung nicht - wenngleich nicht um den Preis des Verlusts an Biodiversität.

In dieser gesellschaftlichen Auseinandersetzung stehen sich zwei grundverschiedene Interessen, die unterschiedliche Herangehensweisen hervorgebracht haben, gegenüber. Auf der einen Seite die großen Agrokonzerne, gut vernetzt mit der EU-Administration, denen es aus verschiedenen Gründen relativ leicht fällt, die DUS-Richtlinien zu erfüllen. Dieser Seite wären auch die Saatgutbanken zuzuschlagen, wie sie beispielsweise auf Spitzbergen zur Bewahrung von Samen aus der ganzen Welt eingerichtet wurden. Die Betreiber machen dies durchaus in dem Selbstverständnis, daß sie damit die Biodiversität schützen.

Doch gegen solche Saatgutbanken spricht, daß die Verfügungsgewalt über dieses "Erbe" der Menschheit in den Händen weniger Personen oder Institutionen liegt. Das Recht auf Nahrung ist ein Menschenrecht, was bedeutet, daß die Kontrolle über das Saatgut Menschenrechtsfragen berührt.

Einen anderen Einwand brachte der Saatgutexperte Andreas Riekeberg von der "Kampagne für Saatgut-Souveränität" im Gespräch mit dem Schattenblick vor: "Das so konservierte Saatgut kann nicht mit den aktuellen klimatischen Entwicklungen oder Pflanzenkrankheiten, Schädlingen oder Parasiten beispielsweise, Schritt halten." [3]

Bei einem anderen Modell zur Bewahrung der Biodiversität wird nämlich das getan, was Landwirte traditionell von jeher machen: Sie nutzen das Saatgut - jedoch nicht als "Bankguthaben". Riekeberg: "Die Nutzung hat unendlich viele Vorteile gegenüber der Genbank-Erhaltung. Sie kann an vielen verschiedenen Plätzen gleichzeitig erfolgen, und unter den vielen unterschiedlichen Bedingungen entwickelt sich das Saatgut in verschiedene Richtungen, weil es sich immer wieder neu anpassen muß."

Riekeberg, Pastor aus Wolfenbüttel, macht auf einen weiteren Vorteil dieses Produktionsmodells aufmerksam: "Es geht auch nicht allein um Saatgut. Ganz wichtig ist auch, daß es bei der Nutzung durch vieler Leute Hände geht. Um Saatgut zu erhalten, muß es Menschen geben, die wissen, wie man damit umgeht, wie man es anbaut, verwendet und vermehrt. Dieses Wissen und diese Fertigkeiten muß man pflegen, sonst wird es vergessen, und man muß sie an andere weitergeben."

Der von den Agrounternehmen verbreiteten Vorstellung, daß die industriell hergestellten Sorten eine höhere Produktivität aufweisen, hält Dr. Susanne Gura, Vorsitzende des bundesweiten Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), entgegen:

"Produktivität ist hier eine Frage der Definition. Beim traditionellen Reisanbau in Asien ist es noch üblich, alles mögliche in einem Reisfeld zu kultivieren, nicht nur Reis. Reis ist überwiegend Naßreis, das heißt er wächst die ersten Monate unter einem Wasserspiegel. In diesem Wasser werden aber auch Fische und Enten gehalten, darüber hinaus gibt es darin Wassergemüse. Eine Untersuchung aus Japan hat ergeben, daß etwa 3.000 verschiedene Arten in so einem Reisfeld existieren. Und davon wird ein großer Teil ebenfalls für die Ernährung genutzt. (...) Es wird überhaupt nicht mehr über die tausend anderen Dinge gesprochen, die auch in Reisfeldern wachsen. Bei der industriellen Landwirtschaft wächst das nicht mehr. Von der damit verbundenen Chemie-Anwendung gehen die Fische ein. Die Enten dürfen gar nicht in die Nähe der Felder kommen, solange dort Pestizide angewendet werden." [3]

Sollte die EU-Kommission demnächst Konsultationen anberaumen und auch die Interessen der NGOs und kleineren Saatzüchter berücksichtigen, dann bedeutet das nicht, daß sich diese gegen die Agrokonzerne durchsetzen. Bestenfalls wird die EU-Kommission einen Kompromiß anstreben. Die Grundsatzfrage wird höchstwahrscheinlich gar nicht mehr gestellt: Wozu überhaupt eine Marktzulassung?

Bei der Aufstellung der DUS-Richtlinien geht es vordergründig um den Schutz der Pflanzengesundheit, der sichergestellt werden soll. Das Argument sticht jedoch nicht, bietet doch genau die Saatvielfalt die größten Chancen, Pflanzenkrankheiten eindämmen zu können. Und das ganz ohne Chemiecocktail von oben. Umgekehrt können auch industrielle Hochertragssorten anfällig gegenüber Krankheiten sein, was die Züchter zwänge, neue Sorten zu erschaffen, also auf die Vielfalt zurückzugreifen.

Vor allem wird mit den DUS-Richtlinien der Patentierbarkeit von Pflanzen zugearbeitet. Das ist das Gegenmodell zur Praxis von kleinen Saatgutzüchtern, die Saatgut tauschen und weiterzüchten. Ein Agrokonzern jedoch kann sich sein Saatgut nur dann patentieren lassen und behält nur dann die Verfügungsgewalt darüber, wenn die Sorte stabil bleibt. Wegen des Rückziehers der EU-Kommission müssen die Konzerne nicht um ihre Marktmacht bangen, da zunächst alles beim alten bleibt. Eine radikale Trendumkehr durch die Politik ist nicht zu erwarten.


Fußnoten:

[1] http://www.eu-koordination.de/umweltnews/news/landwirtschaft-gentechnik/3063-eu-saatgut-verordnung-vom-tisch

[2] http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/content/20140307IPR38202/html/Parlament-lehnt-Saatgutverordnung-ab

[3] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0054.html

13. März 2015


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