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LAIRE/250: Die Evolution frißt ihre Kinder ... im "Anthropo-Zähn" mit Heißhunger (SB)


Darwinfinken auf Galapagos vom Aussterben bedroht


Zur Zeit findet das erdgeschichtlich sechste und bislang schnellste Massensterben unter den Tier- und Pflanzenarten statt, in diesem Fall ausgelöst durch die globale Ausbreitung einer einzigen Spezies: des Menschen. [1]

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen bereits vom Zeitalter des Anthropozäns, weil sich der Einfluß des Menschen geologisch niederschlägt. Unter anderem durch das von ihm direkt oder indirekt zu verantwortende Artensterben. Großsäuger wie Elefanten und Löwen drohen ebenso auszusterben wie Süßwasserdelphine.

Oder wie die Darwinfinken auf den Galapagos-Inseln. Die Finken (und andere, teils endemische Vogelarten) dieses ecuadorianischen Archipels werden nicht durch eingeschleppte Spechte bedroht, wie der Botschafter Ecuadors in Deutschland, S. E. Jorge Jurado, auf Frage des Schattenblicks versicherte [2], sondern durch die Larven einer Fliege. Es wird vermutet, daß sie vor rund 25 Jahren durch Menschen bzw. den Import von Waren eingeschleppt wurde.

"Spechte" erwähnen wir in diesem Zusammenhang, weil die Finken auf den Galapagos-Inseln gelernt haben, mit ihren Schnäbeln kleine Stöckchen oder Dornen von Kakteen zu benutzen, um Larven, die sich unter den Baumrinden verstecken, aufzupieken. Für Evolutionsbiologen ein hochinteressantes Forschungsgebiet. Würden auf Galapagos Spechte leben, die allein mit ihren langen, spitzen Schnäbeln (und Zungen) die Larven erwischen, hätten die Finken den Werkzeuggebrauch wahrscheinlich nicht gelernt, lautet eine evolutionsbiologische These.

Dann hätten sich die Finken wahrscheinlich nicht so stark vermehrt und wären möglicherweise noch anfälliger für Gefährdungen gewesen, wie sie ihnen durch die parasitäre Fliege Philornis downsi erwachsen ist, könnte man hieraus ableiten. Diese Fliege legt ihre Eier in Vogelnester. Die Larven schlüpfen ungefähr zur gleichen Zeit aus dem Ei wie die Vögel und ernähren sich von dem Blut der nur murmelkleinen Nestlinge. Die verkraften den parasitären Befall nicht und sterben oder sind aufgrund von Blutarmut oder auch Degeneration der Schnäbel zeit ihres Lebens geschädigt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich teilweise seit vielen Jahren mit den Galapagos-Finken befassen, schreiben im "Journal of Applied Ecology", daß hier ganze Populationen aussterben könnten. [3]

Die Forschergruppe hat die Ergebnisse fünfjähriger Untersuchungen ausgewertet und dazu drei verschiedene mathematische Modelle angewendet. Zwei von drei Szenarien ergaben, daß die Bodenfinken Geospiza fortis auf der Galapagos-Insel Santa Cruz im Laufe dieses Jahrhunderts aussterben könnten.

Dazu müsse es nicht kommen, es gebe verschiedene Methoden, die Parasiten zu bekämpfen, doch mit keiner könne garantiert werden, daß die Finken überleben, heißt es. Und manche der potentiellen Rettungsmethoden bergen ihrerseits Risiken. So könnte man gezielt Wespen einführen, die sich von den Larven ernähren. Aber die Wespen könnten auch andere Insekten, die eigentlich nicht beseitigt werden sollen, fressen, so der an der Forschung beteiligte Parasitologe Dr. Dale Clayton von der Universität von Utah.

Eine weitere Methode besteht darin, mit Insektiziden versehene Baumwollbällchen zu verteilen, die dann von den Finken für ihren Nestbau verwendet werden. Schon ein Gramm des Mittels, mit dem ein einziges Bällchen versetzt ist, genügt, daß die Fliegenlarven nach dem Schlüpfen verenden. Das Verfahren hat sich in Versuchen als wirksam erwiesen. Bei einer weiteren Methode wurden sterile Fliegenmännchen ausgesetzt. Sie haben sich mit den Weibchen gepaart, die sich dann nicht vermehren konnten.

Laut Clayton sind all diese Methoden zeitaufwendig und erfordern viel Laborarbeit. Aber immerhin könnten damit rund 40 Prozent der Finken gerettet werden. Wobei solche Zahlen, da sie allein auf einem mathematischen Modell beruhten, ungenau sein könnten, gibt er zu bedenken.

Weniger interessant für die vom Aussterben bedrohten Finken denn für die Forscher ist es, die ko-evolutionäre Entwicklung von Wirt und Parasit zu beobachten. "Wir möchten wissen, wie schnell die Vögel Abwehrmaßnahmen gegen den Parasiten entwickeln", sagte Clayton, der damit die durchaus übliche wissenschaftliche Distanz zum Forschungs"gegenstand" zum Ausdruck bringt. [4]

Das drohende Aussterben der Darwinfinken, von denen es vierzehn Arten gibt, ist besonders symbolträchtig, weil sie ein wesentlicher Stützpfeiler sind, auf dem Charles Darwin (1809 - 1882) seine Evolutionstheorie aufgebaut hat. Der Naturforscher hatte festgestellt, daß auf jeder der Galapagos-Inseln Vögel leben, die zwar miteinander verwandt sind, sich jedoch in der Form ihrer Schnäbel unterscheiden.

Auch ohne menschliches Zutun sterben Arten aus. Allerdings ist der Mensch inzwischen zum dominanten Faktor geworden, das heißt, durch die erdumspannende Verwertung seiner Um- und Mitwelt übt er Einfluß auf sämtliche Ökosysteme aus - nicht zuletzt durch die Versauerung der Meere und globale Erwärmung in Folge der Verbrennung fossiler Energieträger - und verändert sie so, daß immer mehr Arten in Überlebensnot geraten. So unspektakulär das Einschleppen von parasitären Fliegen auf den Galapagos-Inseln durch den Warentransport auch erscheinen mag, es genügt bereits, um die Population der Darwinfinken zu gefährden.


Fußnoten:

[1] http://advances.sciencemag.org/content/1/5/e1400253

[2] Anläßlich des 75. Geburtstags von Ernst Ulrich von Weizsäcker wurde am 25. Juni 2014 im Auditorium Maximum der Humboldt Universität zu Berlin ein Symposium abgehalten, auf dem das "Geburtstagskind" bei einem Podiumsgespräch auf jenes Specht-Beispiel und den Stöckchengebrauch der Darwinfinken rekurrierte. Am Rande der Feierlichkeiten stellte sich Botschafter Jurado dem Schattenblick für ein Interview zur Verfügung.
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0147.html

[3] Jennifer A. H. Koop, Peter S. Kim, Sarah A. Knutie, Fred Adler und Dale H. Clayton: "An introduced parasitic fly may lead to local extinction of Darwin's finch populations", Journal of Applied Ecology 2015.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2664.12575/epdf

[4] http://www.csmonitor.com/Science/2015/1218/How-scientists-may-save-Darwin-s-Galapagos-finches-from-extinction

23. Dezember 2015


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