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LAIRE/269: Anthropogenes Weltraumwetter (SB)


Folgenreiche Kernwaffentests im All


Die Kernwaffenstaaten haben so viele Atombomben angehäuft, daß deren Einsatz im Kriegsfall weite Teile der Planetenoberfläche zerstören könnte. Die menschliche Zivilisation, vielleicht sogar das gesamte menschliche Leben, und sicherlich ein großer Teil der tierischen und pflanzlichen Mitwelt würde unter Umständen ebenfalls eliminiert. Das ist Bestandteil des militärischen Kalküls im Ringen um Hegemonie.

Doch bereits am Beginn des Aufbaus der sogenannten Overkill-Kapazitäten sind die Verantwortlichen in Militär, Politik und Wissenschaft unkalkulierbar hohe Risiken eingegangen - um des eigenen Vorteils willen. Es dauerte nicht einmal ein Jahr, nachdem überhaupt erstmals ein künstliches Objekt mit einer Rakete in den Weltraum geschossen werden konnte (Sputnik, 4. Oktober 1957), da wurde dort schon eine erste Kernwaffe gezündet. Niemand vermochte damals zuverlässig vorauszusagen, welche Folgen eine solche Explosion auf den erdnahen Weltraum und die obere Erdatmosphäre haben würde. Man hoffte lediglich, daß es schon irgendwie gutgehen würde, nachdem sich zuvor herausgestellt hatte, daß die oberirdischen Kernwaffenversuche nicht den gesamten Sauerstoff der Erdatmosphäre verbrannt hatten und ähnliche denkbare Schadensfolgen mehr.

Diese Zeilen wären nie geschrieben und nie gelesen worden, wenn durch die Kernwaffenzündungen im All das Worst-case-scenario einer wie auch immer gearteten Zerstörung überlebenswichtiger Voraussetzungen eingetreten wäre. Das bedeutet jedoch nicht, daß die teils in mehreren hundert Kilometer Höhe durchgeführten Versuche folgenlos geblieben wären. Zwischen 1958 und 1962 haben die USA und die Sowjetunion mit Kernwaffentests, die Namen trugen wie Starfish, Argus und Teak, das Erdmagnetfeld massiv gestört, auf der Höhe des Äquators ein Nordlicht produziert, neue Strahlengürtel geladener Teilchen um die Erde gelegt, die noch Monate, in einem Fall sogar Jahre Bestand hatten, den Kurzwellenfunk abgewürgt, Satelliten außer Betrieb gesetzt und ähnliches mehr.

Zusammengefaßt kann man sagen, daß der Mensch Vorgänge ausgelöst hat, die dem Weltraumwetter zugeordnet werden. Das ist auch der aktuelle Ansatz der NASA, die früheren militärischen Aufzeichnungen zu erforschen, um mehr darüber herauszufinden, wie sich natürliches Weltraumwetter verhält. Wie die NASA kürzlich berichtete, hat der Kalte Krieg der Wissenschaft die Gelegenheit verschafft, das komplexe, erdnahe Weltraumgeschehen genauer zu verstehen. Die Informationen will die NASA nutzen, um den Schutz von Satelliten und Raumfahrern zu verbessern. [1]

Normalerweise wird das Weltraumwetter vom Sonnenwind beeinflußt. Die Sonne schickt ständig hochenergetische Partikel aus, von denen unter anderem auch die Erde getroffen wird. Manchmal kommt es zu sehr kräftigen Sonneneruptionen. Das irdische Magnetfeld verhindert, daß die elektrisch geladenen Teilchen die Erde treffen, und lenkt sie um die Erde herum. Dabei verformt sich das Magnetfeld. Auf der sonnenzugewandten Seite wird es zusammengedrückt und auf der sonnenabgewandten Seite sehr weit hinaus ins All gedehnt. Bei besonders kräftigen Ausbrüchen kann der Betrieb von Satelliten und Stromnetzen gestört werden.

Bei einer Kernwaffenexplosion im All entsteht zunächst ein riesiger Feuerball aus heißem Plasma, der sich rasend ausbreitet. "Plasma" bedeutet, daß die negativ geladenen Elektronen von den positiv geladenen Atomkernen getrennt sind. Die Elektronen lösen geomagnetische Störungen aus und können auf der Erdoberfläche ein elektrisches Feld erzeugen. Obwohl die künstlichen Strahlengürtel Ähnlichkeiten mit dem natürlichen Strahlengürtel, dem Van-Allen-Gürtel, aufweisen, haben die künstlich erzeugten Elektronen einen anderen Energiegehalt. Daher kann die Wissenschaft unterscheiden, welche Strahlenpartikel natürlichen und welche künstlichen Ursprungs sind.

Am 1. August 1958 zündeten die USA weit oberhalb der Johnston-Insel im Pazifik eine Atombombe. Dieser Kernwaffentest "Teak" erzeugte eine Aurora, die am selben Tag vom Apia-Observatorium in West-Samoa beobachtet wurde. Noch im selben Jahr führten die USA Kernwaffenversuche im Projekt "Argus" aus. [2]

Hierbei wurden die Atombomben in noch größerer Höhe gezündet; die Folgen waren weitreichender. Bei einer Gelegenheit wurden geomagnetische Stürme von Schweden bis Arizona registriert. In der ersten Welle besaßen die Partikel eine Geschwindigkeit von rund 3000 Stundenkilometern, in einer nachfolgenden Welle weniger als ein Viertel davon. Es entstanden Strahlengürtel, die sich nach wenigen Sekunden auflösten. Hintergrund dieser Versuche: Die Militärs hatten die Vorstellung, sie könnten gegnerische Satelliten und Raketen zerstören, indem sie eine Wasserstoffbombe im Van-Allen-Gürtel zünden, um dessen natürliche Strahlungswerte noch durch künstliche Strahlenpartikel hochzutreiben.

1962 zündeten die USA im Rahmen des "Fishball-Tests" der "Operation Dominic" mehrere Kernwaffen im erdnahen Weltraum. [3] Bei einem der vielen Tests wurde ein elektromagnetischer Impuls erzeugt, durch den die Elektronik des Flughafens Honolulu so sehr gestört wurde, daß keine Flugzeuge starten oder landen konnten. Der Test "Starfish Prime" im selben Jahr wiederum sorgte für den Ausfall eines britischen Forschungssatelliten sowie eines Navigations- und eines Forschungssatelliten der US-Navy. Der einen Tag nach "Starfish Prime" gestartete Kommunikationssatellit Telstar 1 mußte sowohl von diesem amerikanischen als auch mehreren sowjetischen Kernwaffentests so kräftige Hiebe einstecken, daß er schließlich k.o. ging. [4]

Ähnlich wie die beiden Kernwaffen, die am 6. und 9. August 1945 über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki gezündet wurden und Hunderttausende Strahlenopfer forderten, anschließend intensive medizinische Forschungen an den menschlichen "Versuchsobjekten" und militärwissenschaftlich-physikalische Ermittlungen der Schadensfolgen ermöglichten, dient nun das mittels Kernwaffentests erzeugte Weltraumwetter dazu, mehr über die Auswirkungen solcher Phänomene auf Mensch und Technik zu erforschen.

Viele dieser Forschungen sind selbstreferentiell. Das heißt, daß sie gebraucht werden, um die Kernspaltung weiterhin militärisch und - ein historischer Nebeneffekt -, zivil nutzen zu können. Hinsichtlich des Weltraumwetters könnte man argumentieren, daß dies ein natürliches Phänomen ist, das zu erkunden der Menschheit im allgemeinen und nicht nur dem Militär dient. Allerdings zeigt die Fülle an wissenschaftlichen Forschungen hierzu, daß es kein nennenswerter Verlust wäre, hätte man auf die Kernwaffenexplosionen im All verzichtet und heute keine Daten dazu vorliegen. Im übrigen stellt das Weltraumwetter eine Gefahr dar, die sich selbstverständlich nicht auf den zivilen Bereich beschränkt, sondern wesentlich auch die Interessen des Militärs berührt, wie einer Executive Order des früheren US-Präsidenten Barack Obama zu entnehmen ist. [5]

Die Umweltschäden in Folge des anthropogenen Weltraumwetters sind längst abgeklungen. Doch die Radioaktivität, die zwischen 1945 und 1991 bei rund 420 Kernwaffenexplosionen in der Atmosphäre und im Weltraum freigesetzt wurde, klingt zwar ab, ist aber bis heute nicht vollständig aus der Umwelt verschwunden.


Fußnoten:

[1] https://www.nasa.gov/feature/goddard/2017/space-weather-events-linked-to-human-activity
Eine Studie zu diesem Thema wurde im April im Journal "Space Science Reviews" veröffentlicht: https://link.springer.com/article/10.1007/s11214-017-0357-5

[2] http://nuclearweaponarchive.org/Usa/Tests/Argus.html

[3] http://nuclearweaponarchive.org/Usa/Tests/Dominic.html

[4] https://www.heise.de/tp/features/Atombomben-im-Weltall-3434215.html

[5] https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2016/10/13/executive-order-coordinating-efforts-prepare-nation-space-weather-events

22. Mai 2017


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