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LAIRE/324: Golf von Mexiko - Ablenkung Deepwater Horizon ... (SB)



Vor zehn Jahren ist die Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko explodiert und untergegangen. Elf Arbeiter starben, Dutzende wurden verletzt, einige von ihnen schwer. 87 Tage lang war ein Gemisch aus Öl und Gas ins Meer geströmt, insgesamt Hunderte von Millionen Litern. Das sei die größte Ölkatastrophe der Geschichte, heißt es anläßlich des Gedenktags zum Blowout und anschließenden Feuer am 20. April 2010. Als hauptsächliche, technische Ursachen des Unfalls gelten ein mangelhafter Zement, mit dem ein provisorischer Deckel gebaut wurde, der die Ölquelle vorübergehend verschließen sollte, aber nicht gehalten hat, und sogenannte Pretender, die jedoch dabei versagten, in Höhe des Meeresbodens zu verhindern, daß sich überhaupt ein starker Öldruck in der Rohrleitung aufbaut.

Bei der Erinnerung an den Unfall in den Medien bleibt jedoch häufig unerwähnt, daß auch aus anderen Ölplattformen im Golf von Mexiko permanent Öl ins Meer strömt. Zusammengenommen übertrifft die Menge an ausgetretenem Rohöl jene, die im Sommer 2010 aus dem Macondo-Ölfeld, in das Deepwater Horizon seinen "Rüssel" versenkt hatte, ausgetreten war. Die Bevölkerung an den Küsten von Mexiko bis zum US-Bundesstaat Florida berichten bis heute von kontaminierten Fischen und Krebstieren, angeschwemmten Ölklumpen und Strandungen von Meeressäugern.

Schätzungen zufolge sind bei der spektakulären Havarie von Deepwater Horizon rund 672.000 Tonnen Rohöl ins Meer geflossen. Die Toxizität der umweltschädlichen Ölkontamination wurde noch durch das Ausbringen riesiger Mengen an Dispersionsmitteln wie Corexit gesteigert. Diese Mittel haben das Ölproblem sprichwörtlich nur oberflächlich beseitigt. Um zu vermeiden, daß das sowieso schon riesige Ausmaß der Ölteppiche noch größer wurde, hatte das verantwortliche Unternehmen BP das Rohöl mittels chemischer Substanzen in kleine Teilchen zerlegt, die zugleich etwas schwerer als Wasser wurden und absanken. Erst Jahre später war festgestellt worden, daß ursprünglich die Größe des Ölteppichs anhand der Satellitenaufnahmen um rund 30 Prozent zu gering eingeschätzt worden war. Und längst nicht die gesamte Menge an Dispersionsmittel ging Verbindungen mit dem Öl ein. Vermutlich aufgrund der hohen äußeren Druckverhältnisse in 1500 Meter Meerestiefe haben die unmittelbar am havarierten Bohrloch ausgebrachten Mittel gar nichts gebracht. Das Meer wurde zusätzlich vergiftet.

Ähnlich große Rohölmengen wie durch die Deepwater-Horizon-Havarie waren vom 3. Juni 1979 bis zum 23. März 1980 beim Blowout der Ixtoc-I-Bohreinrichtung im südlichen Golf von Mexiko ausgetreten; die Schätzungen schwanken zwischen 440.000 und 1.400.000 Tonnen. Wie bei Deepwater Horizon handelte es sich auch in diesem Fall um keine Plattform zur Förderung von Erdöl, sondern zunächst zur Erkundung. Das Betreiberunternehmen Sedco ging später in Transocean ein, das die Ölplattform Deepwater Horizon an BP verpachtet hatte.

Eine der folgenschwersten, wenngleich wenig bekannten Ölkatastrophen im Golf von Mexiko hält seit September 2004 bis heute an. In Folge eines Unfalls fließt aus der Bohrinsel MC-20 des Unternehmens Taylor Energy permanent Erdöl ins Meer. Zu dem Unfall war es gekommen, nachdem durch den Hurrikan "Ivan" die Kante eines Tiefseegrabens abgebrochen war und eine Schlammlawine die Plattform mit sich gerissen hatte. 28 Bohrleitungen wurden abgerissen und anschließend von Sedimenten bedeckt. Hinsichtlich der Menge an ausgetretenem Erdöl liegen unterschiedliche Schätzungen vor. Möglicherweise drangen vierzehn Jahre lang täglich 300 bis 700 Barrel Rohöl (1 Barrel = rund 159 Liter) aus den Bohrlöchern. Neun der 25 Bohrlöcher vermochte Taylor Energy nach und nach zu schließen.

Im Mai 2019 hatte die US-Küstenwache ein System installiert, durch das täglich 30 Barrel Öl aufgefangen werden. Nach Einschätzung des Nationalen Zentrums für Ozeanküstenforschung vom Juni 2019 treten inzwischen "nur" noch zwischen 9 und 108 Barrel Öl pro Tag aus, also bis zu 17.000 Liter. Durch die bis heute anhaltende Ölleckage sind laut der "Washington Post" bis zu 3,5 Millionen Barrel Erdöl ins Meer geflossen. [1]

Das sind weitere herausragende Beispiele, die zeigen, daß die Havarie der Deepwater Horizon zwar gravierend, aber nicht einzigartig war. Dem noch nicht genug wird der Golf von Mexiko permanent von kleineren Ölaustritten kontaminiert. So hat die Organisation SkyTruth Daten der US-Küstenwache ausgewertet und herausgefunden, daß zwischen 2010 und 2015 fast 10.000 Leckagen von Erdöleinrichtungen im Golf von Mexiko gemeldet worden waren. [2]

Typisch hierfür sind Vorfälle wie der vom 2. September 2010. Damals hatte sich auf der Ölförderplattform Vermilion Oilrig 380 eine Explosion ereignet. Die Betreibermannschaft konnte gerettet werden, aber auf der Meeresoberfläche vor der Küste Louisianas wurde anschließend ein 1,5 Kilometer langer Ölteppich entdeckt.

Bis heute ist das Gebiet um das havarierte Bohrloch der Deepwater Horizon eine ökologische Wüste. Bakterien, die Öl verstoffwechseln, sind die Gewinner dieser Katastrophe. Ihnen mangelt es nicht an Nahrung. Andere Lebewesen zählen zu den Verlierern. Allein durch den Ölunfall der Deepwater Horizon verendeten rund 600.000 Vögel [3]. Delphine starben zu Dutzenden, und in die Zehntausende geht die Zahl der übrigen Meeresbewohner, die letztlich ihr Leben lassen mußten, weil Erdöl Schmiermittel und Betriebsstoff einer auf Zerstörung beruhenden Produktivität des Menschen ist. Dabei spielt es keine Rolle, daß zusätzlich zu den künstlichen Leckagen auch natürlicherseits an etlichen Stellen im Golf von Mexiko Erdöl aus dem Untergrund dringt und das Meerwasser verseucht. Was das Ausmaß der Umweltbelastung angeht, sollte beides nicht gegeneinander gerechnet, sondern addiert werden.

Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump hat sogar die Bestimmungen zur Erdölförderung in Küstengewässern gelockert und die Erdölindustrie von Umweltschutzauflagen befreit. Anscheinend fühlt er sich "dem großen Ganzen" verpflichtet. Sprich: höhere Profite für die heimische Erdölindustrie, darauf aufbauend Ende der Importabhängigkeit seines Landes und dadurch wiederum geopolitische Vorteile, um Druck auf andere Länder auszuüben.

Man sollte sich allerdings hüten, den sich mit jedem widersprüchlichen Tweet, den er absondert, als Zielscheibe für Kritik geradezu aufdrängenden Donald Trump für etwas alleinverantwortlich zu machen, das auch frühere Regierungen auf gleiche Weise praktiziert haben, auf Bundes- wie auf Staatsebene: Ressourcenausbeutung zu Lasten von Leben und Lebensqualität der Menschen und ihrer Mitwelt. Erdöllobbyismus ist keine Erfindung Trumps. Deepwater Horizon war während der Präsidentschaft des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama untergegangen.

Ein meist vernachlässigter Aspekt der Ölkatastrophe betrifft die sozialen und gesundheitlichen Folgen. Beispielsweise war es BP gestattet, im US-Bundesstaat Louisiana Gefängnisinsassen für die Reinigung von Strandabschnitten anzuheuern. Darüber berichtete seinerzeit die Zeitung "Nation". [4]

Weil die klebrige Masse, die Dispersionsmittel und die Luft toxisch waren, mußte die Arbeit in geschlossenen Plastikanzügen verrichtet werden. Das war nicht zuletzt wegen der sommerlich hohen Temperaturen dermaßen anstrengend, daß die Gefangenen von jeder Stunde nur 20 Minuten gearbeitet haben. Die restlichen 40 Minuten dienten der Erholung. Andere Insassen mußten Barrikaden aus Sandsäcken gegen die Erdölflug bauen, was nicht weniger schweißtreibend war.

Gefängnisinsassen für Arbeiten auszuleihen ist in Louisiana nicht unüblich. Der Stundenlohn liegt meist zwischen 0,00 und 0,40 Dollar. Die Arbeiter sind sehr willig, weil sie dadurch ihre Haftzeit verkürzen können. Allerdings dürfen sie nicht mit der Öffentlichkeit über ihre Arbeit sprechen und sollten sie sich über gesundheitlich schädliche Tätigkeiten beschweren, wandern sie wieder in den Bau. Selbstverständlich wird ihnen dann ihr vorheriges Wohlverhalten nicht angerechnet.

Die Gefängnisinsassen machen sicherlich nur einen winzigen Teil der mehr als 100.000 Personen aus, die meist für acht bis zehn Dollar die Stunde zur Beseitigung der toxischen Erdölklumpen und Chemikalien eingesetzt worden waren. Zahlreiche Personen sind anschließend erkrankt. Berichtet wird von Symptomen wie zum Beispiel Atemwegs- und Herz-Kreislaufproblemen, die teils noch Jahre später nicht nachgelassen hatten.

Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2016 gibt es im Golf von Mexiko 2165 Erdölplattformen und mehr als 40.000 Kilometer Pipelines. Mit der anläßlich des zehnten Jahrestags des Untergangs der Deepwater Horizon vielfach zu lesenden Aussage, daß die nächste schwere Ölkatastrophe wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, wird allerdings von der Dauerkontamination des Golfs von Mexiko durch menschliche Aktivitäten abgelenkt.


Fußnoten:

[1] https://www.washingtonpost.com/climate-environment/2019/03/02/us-is-trying-end-longest-oil-spill-history-this-company-is-trying-stop-it

[2] https://skytruth.org/2015/04/the-other-gulf-oil-disaster/

[3] https://www.deutschlandfunk.de/deep-water-horizon-600-000-voegel-starben-durch-oelunfall.676.de.html?dram:article_id=283103

[4] https://www.thenation.com/article/archive/bp-hires-prison-labor-clean-spill-while-coastal-residents-struggle/

20. April 2020


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