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LAIRE/331: Mikroplastik - Kunststoffgräber selbstgemacht ... (SB)



Jedes Jahr setzen sich 1000 Tonnen Mikroplastik in US-Nationalparks ab, lautet das Ergebnis einer aktuellen Hochrechnung der Universität von Utah. [1] Ungeachtet solcher und ähnlicher Befunde aus inzwischen allen Weltregionen, von der Arktis [2] bis zur Antarktis [3], der Tiefsee [4] bis zum Hochgebirge [5], produziert die Industrie unverdrossen weiter Plastik. Auch in der Europäischen Union werden neue Produktionsstätten errichtet, in denen aus per Fracking gefördertem und verflüssigtem Erdgas der USA Plastikpellets hergestellt werden. Einer WWF-Studie zufolge nimmt ein Mensch pro Woche bis zu fünf Gramm Mikroplastik zu sich; das entspricht etwa dem Volumen einer Kreditkarte. [6] Mikroplastik wird sogar im Stuhl nachgewiesen. [7] Unklar ist, wieviel von der "Kreditkarte" wieder ausgeschieden wird und was das Mikroplastik zwischenzeitlich bewirkt.

Es besteht mehr als nur ein Anfangsverdacht, daß es der menschlichen Gesundheit schadet, da es entzündungsverstärkend wirkt, sich in den Blutgefäßen ansammeln und zu Herz-Kreislauf-Problemen führen kann. Als Mikroplastik gelten bis zu fünf Millimeter große Partikel. Noch weniger erforscht sind die Folgen, wenn sich das Plastik noch weiter zerlegt und Nanometergröße annimmt. [8] Möglicherweise wäre mit kognitiven Beeinträchtigungen zu rechnen, sollte es die Blut-Hirn-Schranke überwinden und sich im Nervengewebe akkumulieren.

Eine Forschungsgruppe um Janice Brahney von der Utah State University berichtet im Fachmagazin "Science" über ihre Ergebnisse von Proben, die über einen Zeitraum von 14 Monaten aus vierzehn Nationalparks im Westen der USA wie Rocky Mountains, Grand Canyon und Joshua Tree genommen wurden. Das Untersuchungsgebiet umfaßt eine Fläche von 496.350 Quadratkilometern bzw. knapp einem Zwanzigstel der Landfläche der USA. Im Durchschnitt lag der Mikroplastikeintrag pro Tag und pro Quadratmeter bei 132 Partikeln.

Das Gesamtvolumen von 1000 Tonnen jährlich entspricht 123 Millionen Plastikflaschen, zog die Forschungsgruppe einen eindrücklichen Vergleich. Da die weißen und durchsichtigen Mikroplastikanteile nicht gezählt wurden, dürfte die reale Müllmenge noch deutlich über den angegebenen Mengen liegen, und gewiß sind Nationalparks keine Gebiete, die sich durch besonders hohe Plastikeintragungsraten auszeichnen. In den übrigen USA sieht es vermutlich noch schlimmer aus.

Mikroplastik wandert über Flüsse, Seen und über die Luft von den hauptsächlichen Verbrauchsregionen, den Städten und Siedlungen, bis in den letzten Winkel der riesigen Naturparks Nordamerikas. Das Plastik zersetzt sich meist nur sehr langsam, doch wird es mechanisch zerkleinert. Dadurch sehen es die Besucherinnen und Besucher der Parks nicht und wähnen sich in der unberührten Natur. Im Unterschied dazu sicherlich, wenn in den Nationalparks 132 Millionen Plastikflaschen verteilt worden wären - womit nicht deren übliches Vermüllungsproblem kleingeredet werden soll.

Die Erde erlebt zur Zeit eine schleichende Plastifizierung. So wird in der Chemie das Beschichten eines Gegenstands mit einem Kunststoff bezeichnet. Wobei der Begriff deshalb ungenau ist, weil das Mikroplastik nicht an der Oberfläche bleibt, sondern in den Boden eindringt, von Pflanzen aufgenommen wird, sich im menschlichen Verdauungstrakt breitmacht und von der Meeresfauna verschluckt wird. Vielleicht sollte man treffender von der Plastination des Planeten sprechen, auch wenn das die Konservierung eines bereits verstorbenen Körpers bezeichnet. Ganz so weit ist es wohl noch nicht ...

Die globale Erwärmung aufgrund der steigenden anthropogenen Treibhausgasemissionen und das Durchdringen der Lebenssphäre des Planeten mit Plastik haben einen gemeinsamen Ursprung, die fossilen "Energieträger" wie Erdöl, Erdgas und Kohle. Sie werden teils aus großer Tiefe ans Tageslicht geholt und in Nutzung genommen, also verbraucht. Man nennt die fatale Abhängigkeit, in die sich die Menschen begeben haben, auch Fossilismus. Dessen desaströsen Folgen sind hinlänglich bekannt, und es wurden schon umfangreiche Vorschläge präsentiert, wie der Mensch davon loskommen kann. Beispielsweise seitens der Initiative Break free from Plastic, eines Zusammenschlusses von Nichtregierungsorganisationen, die teilweise seit langem auf die umwelt- und gesundheitsschädlichen Folgen der Frackingindustrie aufmerksam machen. [9]

Auch wird die plastikindustriefreundliche Politik der Europäischen Union und einzelner Mitgliedstaaten, die Plastik nur als Problem der Entsorgung und nicht als das seiner Produktion ansehen, sowie die Versenkung von Steuergeldern in Milliardenhöhe als Subventionierung der EU von "Projekten gemeinsamen Interesses" der fossilen Energiewirtschaft kritisiert. Ob Grangemouth in Schottland, Rafnes in Norwegen, Antwerpen in Belgien oder die deutsche Rheinstadt Köln, diese Orte zählen zu der im Aufbau begriffenen europäischen Infrastruktur zur Verarbeitung von Flüssiggas aus den Frackinggebieten Nordamerikas zu Plastik. [10]

Hier könnte der Hebel angesetzt werden, um eine weitere Plastination des Planeten zu verhindern. Wohingegen Umweltministerin Svenja Schulze mit ihrem Plastiktütenverbot hauptsächlich Symbolpolitik betreibt und den Schwarzen Plastikpeter den Verbraucherinnen und Verbrauchern zuschanzt. Denn bei ihnen kommt über die Hälfte des in Deutschland produzierten Plastikmülls gar nicht erst an, weil er bei der Warenproduktion und auf den Handelswegen an- beziehungsweise abfällt. Mit der einflußreichen chemischen Industrie, der ein erheblicher Einfluß auf die EU-Plastikstrategie 2030 nachgesagt wird, legt sich die Ministerin offensichtlich nicht an.

So unterschiedlich die gesetzlichen Umweltbestimmungen in den USA und Europa auch sein mögen, die Gemeinsamkeiten überwiegen: die Bedingungen, mit denen menschliche Arbeit zu Lasten ihrer Subjekte verwertet wird, werden nicht angetastet. Sollen die Arbeiterinnen und Arbeiter doch Plastik fressen, solange sie funktionieren und es genügend Nachschub an Menschenmaterial gibt, wird das Plastikproblem auch nicht an der Wurzel gepackt. Der Mensch schaufelt sich sein eigenes Kunststoffgrab.


Fußnoten:

[1] https://science.sciencemag.org/content/368/6496/1257

[2] https://idw-online.de/en/news692856

[3] https://www.tagesschau.de/ausland/mikroplastik-antarktis-101.html

[4] https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rsos.180667

[5] https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acs.est.7b06003

[6] newcastle.edu.au/newsroom/featured/plastic-ingestion-by-people-could-be-equating-to-a-credit-card-a-week

[7] https://medicalxpress.com/news/2018-10-microplastics-human-stools-globe-kind.html

[8] https://www.plasticsoupfoundation.org/en/2019/10/the-first-evidence-of-health-risks-from-micro-and-nano-plastics/

[9] breakfreefromplastic.org/

[10] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/chemie/chemie_plastikatlas_2019.pdf

12. Juni 2020


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