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STANDPUNKT/172: Anstieg des Meeresspiegels bedroht 84 Länder - UNO zur "Gefahr für den Weltfrieden" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 30 vom 29. Juli 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Anstieg des Meeresspiegels bedroht 84 Länder
UNO: Nicht Klimawandel, nur die "Folgen" sind Gefahr für den Weltfrieden

Von Hans-Peter Brenner


"Spät, aber nicht zu spät!" mit diesem erleichterten Seufzer quittieren gemeinhin frustrierte Menschen Meldungen oder Ereignisse, die im allerletzten Moment doch noch eine Wende zum Guten bringen.

Dass man dies von dem Beschluss im UNO Sicherheitsrat sagen kann, in welchem die 15 Mitgliedsstaaten zum ersten Mal einräumen, die Erderwärmung "könne" eine Bedrohung des Weltfriedens sein, mag nur ein Illusionist behaupten.

Nach dem üblichen "zähen Ringen" - warum eigentlich, wenn es um eine "ernste Gefahr" für den Weltfrieden geht - wurde eine sogenannte "präsidentielle Erklärung" beschlossen, in der es hieß: "Der Weltsicherheitsrat ist besorgt, dass der Landverlust kleiner Inselstaaten durch einen Anstieg der Meeresspiegel sicherheitspolitische Konsequenzen haben könnte." Generalsekretär Ban Ki Moon wurde außerdem aufgefordert, "Klimaaspekte" - was immer das auch sei - in seinen künftigen Berichten zu "berücksichtigen".

Diese "präsidentielle Erklärung" ist keine kollektive Resolution, sondern lediglich eine Stellungnahme des Ratspräsidenten: Im Moment ist das der deutsche UNO-Botschafter. Deshalb feierten deutsche Medien - wenn sie denn überhaupt darüber berichteten - diese "Nicht-Resolution" auch als einen Erfolg für die deutsche Diplomatie. Die Erklärung gewinnt lediglich deshalb diplomatisches Gewicht, weil ihr alle 15 Staaten zugestimmt haben.

Wie von den fürchterlich blamablen UNO-Klimakonferenzen der letzten Jahre hinlänglich bekannt ist, wurde um die einzelne Formulierung bis zuletzt gefeilscht. Russland und China äußerten die meisten Einwände, stimmten aber schließlich einer weicheren Formulierung zu. Der russische Botschafter Alexander Pankin sagte laut Bericht einiger Beobachter, der Klimawandel sei "kein Thema" für den Sicherheitsrat.

Überraschend deutlich hatten sich die USA für eine Erklärung ausgesprochen. Der Sicherheitsrat habe die Verantwortung, sich mit den sicherheitspolitischen Folgen der Erderwärmung zu beschäftigen, sagte US-Botschafterin Susan Rice. Die USA, die bei den internationalen Klimaverhandlungen konsequent jeden Fortschritt bremsen oder aktiv sabotieren, überraschten jetzt mit einer von Rice referierten Einschätzung von Sicherheitsexperten des US-Verteidigungsministeriums. Diese hätten schon seit Jahren davor gewarnt, dass der Klimawandel ein "Verstärker" für bestehende Konfliktlagen sein kann. Dass sich davon die offen klimafeindliche Politik der USA kein bisschen beeinflussen ließ, ist bekannt.

In der Erklärung heißt es nun: "Die negativen Folgen des Klimawandels könnten langfristig bestehende Bedrohungen für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit verschärfen." Im Entwurf war ursprünglich ein engerer Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und dem internationalen Frieden hergestellt worden.

Selbst bürgerliche Medien wie der Berliner Tagesspiegel stuften die Erklärung als "schwach" ein. Aus UN-Kreisen hieß es, erst direkte Gespräche zwischen Berlin und Moskau hätten den Durchbruch für eine abgeschwächte Formulierung gebracht, nach der nicht der Klimawandel, sondern lediglich dessen negative Auswirkungen ein Sicherheitsrisiko darstellten.

In einer engagierten Rede hatte der deutsche Leiter des UN-Umweltprogramms UNEP, Achim Steiner, vor den Folgen des Klimawandels gewarnt. Die Existenz ganzer Staaten ist nach seiner Einschätzung durch den Klimawandel gefährdet. Naturkatastrophen wie Hochwasser, Wirbelstürme und Dürren würden in Entwicklungsländern alles zerstören, was diese erreicht hätten, und zu sozialer Instabilität führen, erklärte er. Steiner verwies in diesem Zusammenhang auch auf die akute Hungerkatastrophe in Somalia und zitierte eine Weltbank-Studie, nach der 84 Entwicklungsländer betroffen seien, wenn der Meeresspiegel wie erwartet um mindestens einen Meter ansteigt.

Allein 2010 sind weltweit 42 Millionen Menschen wegen "plötzlicher Naturkatastrophen" vertrieben worden.

90 Prozent dieser Naturkatastrophen waren Wetterkatastrophen wie Überschwemmungen, Stürme oder Dürren. Zehn UN-Blauhelmmissionen mit Kosten von rund 35 Milliarden Dollar fänden in Ländern statt, in denen natürliche Ressourcen eine Schlüsselrolle bei den zugrunde liegenden Konflikten gespielt haben, betonte Steiner.

Das sei bereits die Hälfte der Kosten, die weltweit für UN-Blauhelmeinsätze ausgegeben worden sind. Der Energiemangel im Flüchtlingslager Dadaab im Norden Kenias an der Grenze zu Somalia führt laut Steiner dazu, dass auch noch die letzten Bäume gefällt werden, damit gekocht werden kann. Dadurch fällt noch weniger Regen, noch weniger Nahrungsmittel können angebaut werden. Der Präsident des pazifischen Inselstaats Nauru kritisierte in der Debatte, dass der Sicherheitsrat sich bisher nicht für die sicherheitsrelevanten Folgen des Klimawandels zuständig sah. Die "New York Times" zitiert Marcus mit dem Vorwurf: "Was wäre, wenn die Verschmutzung, die von unserer Inselnation ausginge, die Existenz der größten Emittenden bedrohen würde?" Die Inselstaaten, die innerhalb der kommenden 30 Jahre von der Landkarte verschwinden könnten, seien es leid, nur Sympathie für ihr Anliegen zu bekommen. Es sei an der Zeit, den Klimawandel als solchen auch formell als Gefahr für den internationalen Frieden anzuerkennen.

Dann müssten aber auch die verursachenden Faktoren endlich beim Namen genannt werden: kapitalistische Profitgier und sträfliche Kurzsichtigkeit.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, Nr. 30 vom 29. Juli
2011, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. August 2011