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STANDPUNKT/548: Wissenschaftler müssen lernen, Landkarten der Politikoptionen zu zeichnen... (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Februar 2014

"Wissenschaftler müssen lernen, Landkarten der Politikoptionen zu zeichnen; Politiker müssen lernen, diese zu lesen."

Interview mit Wirtschaftswissenschaftler Ottmar Edenhofer



Ob Klimawandel oder Energiewende - wenn politische Entscheidungen getroffen werden müssen, ist wissenschaftliche Politikberatung gefragt. Was verstehen Sie darunter?

Eine Definition wissenschaftlicher Politikberatung ist schwierig, da es so viele verschiedene Formen gibt. Dass Politiker in vielfacher Weise auf wissenschaftliche Expertise zurückgreifen und Wissenschaftler Politikberatung anbieten, ist ein Phänomen der Moderne - und äußerst problematisch, wie bereits der Soziologe und Ökonom Max Weber (1864-1920) erkannte. Er war der Auffassung, dass durch den Aufstieg der Experten ein Ungleichgewicht zwischen der Exekutive und dem Parlament entsteht. Experten haben mit ihren Ratschlägen großen Einfluss auf politische Entscheidungen und Implementierungsstrategien des Regierungsapparats. Dadurch hat jedoch das Parlament - und somit das Volk - keine echten Entscheidungsmöglichkeiten mehr. Max Weber sprach sogar von einer Herrschaft der Experten. Denn die Experten entscheiden mit ihren Politikvorschlägen, etwa zum großskaligen Einsatz neuer Technologien, teilweise auch über damit zusammenhängende, fundamentale Fragen der Lebensgestaltung von Gesellschaften. Diese Macht der Experten könne, so Weber, schnell in ein "stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit" und folglich in eine Bevormundung der Gesellschaft führen. Dabei sind Wissenschaftler gar keine Experten für solche fundamentalen Lebensfragen, sondern vielmehr für den Bau von Kernkraftwerken oder Windrädern, für Reproduktionsmedizin oder dafür, wie man Geldmengenpolitik macht. Es bedarf daher einer breiten gesellschaftlichen Debatte über diese fundamentalen, ethischen Lebensfragen, die mit so vielen politischen Problemstellungen verknüpft sind. Die meisten Wissenschaftler weisen zwar das technokratische Modell der Expertenherrschaft explizit zurück. Umso erstaunlicher ist aber, wie häufig es praktiziert wird und Wissenschaftler ihr gesellschaftliches Mandat durch ihre angeblich alternativlosen politischen Handlungsempfehlungen gehörig überschreiten. Wissenschaftler sind eben auch nur Menschen, die sich freuen, wenn ihnen zugehört wird - vor allem von politischen Entscheidungsträgern.

Was ist dann die Alternative?

Max Weber hat ein Modell vorgeschlagen, bei dem Werte und Fakten klar getrennt werden. Öffentlichkeit und Politik sind dabei für die Werte - also die gesellschaftlichen Ziele - zuständig, die Wissenschaft dafür, in werturteilsfreier Weise die besten Mittel zu identifizieren, um diese gegebenen Zwecke zu erreichen. Er nannte das die "Zweck-Mittel-Rationalität". Der Schwachpunkt an diesem dezisionistischen Modell ist, dass man Werturteile und Fakten nicht so einfach trennen kann. Zwar ist in unserer Kultur die Ansicht tief verankert, dass Werte etwas Subjektives und Fakten etwas Objektives seien. Aber ist das wirklich so? Was passiert denn beispielsweise, wenn man zwischen alternativen wissenschaftlichen Theorien wählen muss? Sind dann die Fakten alleine ausschlaggebend? Nein, denn Theorien sind durch die empirischen Fakten immer unterbestimmt; eine Entscheidung für eine bestimmte wissenschaftliche Theorie setzt zusätzlich die Annahme bestimmter epistemischer Werte wie etwa Kohärenz, Konsistenz oder die Einfachheit und Schönheit einer Theorie voraus. Diese Werte gelten aber zumeist als objektiv, keinesfalls als bloß subjektive Geschmacksurteile. Zudem impliziert Wissenschaft - selbst wenn es nur um die Beschreibung eines Sachverhaltes geht - oft auch ethische Werturteile. Man denke an ökonomische Begriffe wie "Wachstum", "Wohlfahrt" oder "Kosten". Der US-amerikanische Philosoph John Dewey (1859-1952) hat die Wissenschaftswelt daher mit der These provoziert: "Ohne Werte keine Fakten." Werturteile sind Voraussetzung für die Feststellung von Fakten. Dies hat fundamentale Konsequenzen. Erstens: Auch das dezisionistische Modell mit seiner scheinbaren Trennung von Fakten und Werten ist als Leitbild der Politikberatung daher nicht brauchbar. Zweitens: Damit verbunden ist, dass Ziele und Mittel nicht so einfach auseinandergerissen werden können. Ein Beispiel: Einige Wissenschaftler empfahlen als vernünftige Zielmarke für globalen Klimaschutz das 2-Grad-Ziel. Es folgten viele wissenschaftliche Untersuchungen, wie dieses Ziel kostengünstig erreicht werden kann - mit dem Ergebnis, dass wir hierzu sehr viel Bioenergie benötigen. Damit ist jedoch eine schwierige Güterabwägung verbunden. Wir schützen zwar, so das Argument der Kritiker, mit einer massiven Bioenergienutzung vielleicht das Klima, gehen damit aber zugleich das Risiko ein, die Biodiversität und die Ernährungssicherheit zu gefährden. Wir müssen also entweder die Risiken und Nebenwirkungen einer klimafreundlichen Energieversorgung in den Griff bekommen oder aber das ursprüngliche 2-Grad-Ziel modifizieren. Ziele und Mittel sind folglich miteinander verwoben. Entscheidend für die wissenschaftliche Politikberatung ist daher, dass verschiedene Ziel-Mittel-Kombinationen und deren praktische Konsequenzen untersucht werden. Zielkonflikte sollten dabei klar auf den Tisch gelegt werden. Diese Idee der Politikberatung verlangt jedoch einen ständigen Dialog und Lernprozess zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit.

Glauben Sie, dass dieser Prozess bereits funktioniert?

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, es besteht ein verhängnisvolles Missverständnis, wenn Politiker mit Wissenschaftlern reden. Politiker fragen Sachzwänge nach, weil sie entweder nachträglich (ex post) oder vorab (ex ante) Entscheidungen legitimieren wollen. Zum Beispiel haben manche Politiker das Bedürfnis, die politische Entscheidung zur deutschen Energiewende nachträglich durch wissenschaftliche Gutachten rechtfertigen zu lassen. Oder jemand, der aus industriepolitischen Gründen in Speichertechnologien investieren will, möchte vorab ein Gutachten, das darlegt, dass Speichertechnologien das Thema der Zukunft seien.

Wissenschaftler sind oft sehr gerne bereit, solchen Anfragen nachzukommen. Aus dieser verhängnisvollen Allianz resultieren dann die vielen angeblich alternativlosen Politikempfehlungen der Experten. Dem muss man sich als Wissenschaftler jedoch widersetzen - aus ethischen Gründen und aufgrund der Einsicht, dass Wissenschaftler eigentlich gar nicht gut dafür geeignet sind, den nachgefragten politischen Konsens durch angebliche wissenschaftliche Sachzwänge zu erzeugen. Leider neigen Politiker dazu, die politischen Konsensfindungsprozesse auf wissenschaftliche Gremien und den vorpolitischen Raum zu verlagern. Aber Mehrheitsbeschaffung und Konsensfindung sind das Geschäft der Politiker. Wissenschaft braucht vielmehr den Widerspruch, die Kritik und den Konflikt für wissenschaftlichen Fortschritt. Diese Fähigkeit zum konstruktiven Widerspruch müssen Wissenschaftler in den Politikberatungsgremien ausspielen können. Deshalb würde ich vorschlagen, dass Wissenschaftler die Rolle von Kartografen einnehmen, welche Landkarten zeichnen und gangbare Wege zu verschiedenen möglichen Zielen aufzeigen - inklusive der Chancen und Risiken, Kosten und Nutzen. Die Rolle der Politiker wäre dabei die der Navigatoren; sie müssen lernen, solche Landkarten des Wissens gewinnbringend zu lesen und zu nutzen. Die Kartografie von Politikalternativen wird die Politiker fürchterlich ärgern - sie werden schließlich einer Machtressource beraubt. Aber irgendwann wird vielleicht die Einsicht reifen, dass brauchbare Landkarten zu alternativen Wegen für die Navigation weitaus wichtiger sind als Ratgeber, die sich während des Navigierens als Einflüsterer des rechten Pfades betätigen, jedoch selbst oft genug keine Übersichtskarten zur Verfügung haben.

Wissenschaftler müssen also auch selbst lernen, dass "ihr" Weg nicht der einzig wahre ist?

Ja, in der Tat. Wir müssen lernen, dass sich solche Landkarten verändern können durch neue Einsichten. Unser Wissen ist unvollständig und fehlbar. Wir haben alle unsere Lieblingsideen und Vorurteile. Deshalb müssen wir uns in aufwendigen Lernprozessen darüber verständigen, wohin wir wollen und was die vermuteten Hindernisse, Unsicherheiten, Risiken und Zielkonflikte oder auch Synergien auf dem Weg dorthin sind.

Ist wissenschaftliche Politikberatung eine neue "Währung" im Ranking von Wissenschaftlern und Instituten?

Genau ein solches Ranking wurde kürzlich von der FAZ veröffentlicht. Die deutschen Ökonomen wurden darin zunächst nach dem sogenannten H-Index, ein üblicher Indikator für die wissenschaftliche Forschungsleistung, bewertet. Neben diesem Kriterium zählte für das Ranking jedoch auch die Anzahl der Nennungen in Medienberichten sowie bei Umfragen in Ministerien und unter Parlamentariern. Aus meiner Sicht ist aber der bloße Bekanntheitsgrad auf dieser Ebene noch lange kein Hinweis für gute wissenschaftliche Politikberatung. Viel wichtiger wäre die Messung und Bewertung einer Politikberatung, in welcher Wissen vermittelt wird, das im Peer Review-Verfahren geprüft und dann veröffentlicht wurde - also Wissen, das höchsten wissenschaftlichen Qualitätsstandards entspricht und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft verankert ist. Die Präsenz in einer Talkshow oder die Häufigkeit in den Medien ist kein Gütekriterium für wissenschaftliche Politikberatung. Das schließt umgekehrt natürlich nicht aus, dass in Talkshows auch gute Politikberater sitzen.

Einverstanden. Aber Nature und Science werden ja wohl kaum die Lektüre der Politiker sein.

Nein, aber die sogenannten wissenschaftlichen Assessment-Berichte könnten diese Aufgabe erfüllen. Denn diese Berichte sollten nicht nur auf hochqualitativen Veröffentlichungen beruhen, sondern auch selbst fachwissenschaftlich begutachtet werden. Allerdings muss dabei das Hauptprüfkriterium sein, wie gut es diese Berichte geschafft haben, nützliche und verlässliche Landkarten von alternativen Politikpfaden zu erstellen. Genau hier liegt jedoch das Problem: Hochklassige Wissenschaft, veröffentlicht in hochklassigen Journalen, muss noch lange nicht zu guten Landkarten führen. Im Bild gesprochen: Die Politik möchte für den Bau eines komplexen Domes Rat von der Wissenschaft, diese kippt den Politikern jedoch mit der bestehenden Fachliteratur bloß einen Haufen einzelner Ziegelsteine vor die Füße. Es fehlen damit noch Holz und Mörtel sowie ein guter Plan, um den Dom tatsächlich bauen zu können. Leider wird die Arbeit an Assessments bisher von vielen nicht als eine wissenschaftliche Aufgabe angesehen, sondern eher als Feierabendbeschäftigung hoch reputierter Wissenschaftler. Hier brauchen wir dringend eine Professionalisierung, auch in Bezug auf die Rahmenbedingungen im Wissenschaftssystem; das Zeichnen von Landkarten für die Politik und die Produktion des dafür notwendigen wissenschaftlichen Wissens ist alles andere als trivial.

Wo ist aus Ihrer Sicht Politikberatung gelungen?

Ein gelungenes Beispiel ist der Geoengineering-Bericht der Royal Society. Außerdem halte ich - auch wenn es etwas nach Eigenlob stinkt - den IPCC für ein einzigartiges Beispiel gelungener Politikberatung auf globaler Ebene. Gerade die enorme Kritik, die man ihm hat angedeihen lassen, zeigt, welche Bedeutung letztlich den Wissenschaftlern beigemessen wurde. In diesen Assessments wird vermehrt der Versuch unternommen, Alternativen zu explorieren - statt politikvorschreibend zu sein. Es muss selbstverständlich noch einiges verbessert werden; der IPCC entwächst gerade den Kinderkrankheiten.

Das Interview führte Doris Wolst


Der Wirtschaftswissenschaftler Ottmar Edenhofer ist Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin sowie stellvertretender Direktor und Chef-Ökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). An der Technischen Universität Berlin ist er Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels. Bekannt wurde Ottmar Edenhofer u. a. durch seine Tätigkeit im Weltklimarat IPCC.

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Quelle:
UFZ-Newsletter Februar 2014, Seite 8 - 9
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2014