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STANDPUNKT/722: Ergebnisse des Berliner Energiepfels ein Desaster für den Klimaschutz (BN)


Bund Naturschutz in Bayern e.V. - München, 7. Juli 2015

BUND Naturschutz kritisiert massiv die Ergebnisse des Energiegipfels in Berlin - ein Desaster für den Klimaschutz

Dezentrale Bürgerenergiewende in der Region bleibt auf der Strecke


"Wenn wir analysieren, was in Berlin letzte Woche im Energiegipfel zwischen der bayerischen CSU und den Koalitionspartnern CDU und SPD ausgehandelt wurde - dann müssen wir feststellen: Das Ergebnis ist ein Desaster. Die grundsätzliche Frage einer Strategischen Umweltprüfung des "Energiekonzept Deutschland", Alternativenprüfungen, insbesondere die erforderliche und wünschenswerte dezentrale Umsetzung der Energiewende in Bayern, wurden nicht diskutiert. Die Notwendigkeit der HGÜ Leitung SuedLink wird nicht dem Ausbau dezentraler Potenziale gegenübergestellt, sondern die HGÜ Leitung wird nur verlegt. Die Infrastruktur für SuedLink bleibt in Unterfranken. Naturräume werden weiterhin bedroht - wenn nicht die Rhön, dann der Spessart. Für diese Zerschlagung der dezentralen Energiewende hat die Spitze der CSU in Bayern den Klimaschutz geopfert - die Braunkohlekraftwerke im Osten und Westen laufen ungebremst weiter", kritisiert Edo Günther, Vorsitzender der Kreisgruppe Schweinfurt im BUND Naturschutz und Sprecher des bundesweiten BUND Arbeitskreises Atomenergie und Strahlenschutz.

"Wir können der CSU nicht zustimmen, dass hier ein Erfolg für Unterfranken oder Oberfranken zu vermelden wäre! Erdkabel führen ebenfalls zu schweren Eingriffen in die Natur. Erdkabel benötigen alle 800 Meter Zwischenstationen. Die Leitungen werden länger und es werden längere Strecken erdverkabelt. Dies beschreiben die Ergebnisse des Energiegipfels für die HGÜ SuedLink, ebenso wie für die HGÜ Gleichstrom Süd-Ost. Das erhöht die Investitionsvolumina, dies wird vor allem die Übertragungsnetzbetreiber und die internationalen Investoren freuen - denn dies bedeutet mehr Umsätze und mehr Rendite. Gezahlt wird dies von den Stromkunden. Aber den Schaden hat der Klimaschutz und den Schaden haben die Akteure der dezentralen Energiewende vor Ort. Für den Raum Schweinfurt sind viele Fragen ungeklärt. Die geplanten Konverterstationen der HGÜ SuedLink bleiben im Raum Schweinfurt, wenn nicht in Grafenrheinfeld, dann in Bergrheinfeld. HGÜ SuedLink soll gemäß Plan schlussendlich 4 Gigawatt elektrischer Leistung transportieren - der Raumbedarf bei einer Erdverkabelung ist ungeklärt. Viele Kommunen lehnen diese Planungen ab - geht es dann in Enteignungsverfahren?" fragt Günther.

"Der Mittwoch letzter Woche war ein Schwarzer Tag für den Klimaschutz in Deutschland und ein Schwarzer Tag für die dezentrale Energiewende in Bayern! Es war im vergangenen Jahr bereits klar abzusehen, dass die Spitze der bayerischen CSU gegen die dezentrale Energiewende in Bayern arbeitet. Aber dass zwischen den verbalen Versprechen hier in Bayern und der Tat in der großen Politik Berlins derartige Unterschiede klaffen, schockiert uns dann dennoch", so Dr. Herbert Barthel, Referent für Energie und Klimaschutz des BUND Naturschutz in Bayern.

Seit 2011 fordert der BUND Naturschutz die Potenziale der Dezentralität für und in der Energiewende transparent und öffentlich zu analysieren, zu quantifizieren und zu nutzen: für den Bereich Strom bedeutet dies die Analyse und Aktionen für Stromsparen, für den Ausbau der dezentralen Kraftwärmekopplung, für den dynamischen Ausbau der Erneuerbaren Energien, auch in Bayern. Die EU bietet hierzu hinreichend rechtliche Instrumente an. Eine Alternativenprüfung des deutschen Energiekonzepts in einer Strategischen Umweltprüfung - eine öffentliche Abwägung, die die Auswirkungen trans-europäischer Stromnetze und Stromvermarktung mit Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen (HGÜ) den Potenzialen dezentraler Produktion von Strom und Wärme, sowie deren regionale Vermarktung mit Optimierung der lokalen Stabilisierung des Stromnetzes vor Ort, gegenüberstellt.

"Nach einem guten Start in die Energiewende in Bayern in 2011 blockiert heute die Spitze der CSU die dezentrale Energiewende an wesentlichen Punkten. Eigenstromnutzungs-Konzepte hatten sich seit 2009 zur wesentlichen Stütze der dezentralen Vermarktung und Finanzierung von neuen Fotovoltaik-Anlagen und Blockheizkraftwerken entwickelt. Mit ihrer Zustimmung zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz 2014 hat die Bayerische Staatsregierung mit für das Ausbremsen der Eigenstromnutzung als Vermarktungsmodell gestimmt. Zusätzlich behindert die Bayerische Staatsregierung den Ausbau der dezentralen Windenergie in Bayern durch eine Abstandsregelung von Windenergieanlagen zur Wohnbebauung, die 10 Mal der Höhe der Windenergieanlage entspricht. Man kann auch sagen, die CSU bekämpft hier die dezentrale Energiewende - denn bis 2014 gab es eine gut funktionierende Regionalplanung Windenergie", so Barthel weiter.

Ursprünglich war das Bundeswirtschaftsministerium mit einer Ansage von minus 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid als Maßnahme für den Klimaschutz gestartet - mit Blick auf die Internationale Klimaschutzkonferenz im Dezember in Paris. Hier sollten 10 Gigawatt elektrischer Leistung Kohleverstromung aus dem Netz genommen werden.

Letzte Woche nun wurde aus Sicht des BUND Naturschutz der Klimaschutz ad acta gelegt, nicht 10 Gigawatt elektrische Leistung Kohlestrom werden sofort abgeschaltet, sondern nur 2,7 Gigawatt werden in einen Kapazitätsmarkt verschoben - den die Stromkunden auch noch bezahlen müssen. Der Rest der Reduktion des Treibhausgases Kohlendioxid soll aus Stromsparen und aus der Kraftwärmekopplung kommen. Aber - das Bayerische Wirtschaftsministerium befand im Energiedialog Bayern: Stromsparen geht nicht! Und - die Bayerische Staatsregierung setzt nun auf neue fossile Kraftwerke auf Erdgas-Basis - aber ohne Kraftwärmekopplung. Klimaschutz ohne Kraftwärmekopplung, auch für Erdgaskraftwerke, geht gar nicht. Der BUND Naturschutz fordert daher den Ausbau der dezentralen Kraftwärmekopplung mit Doppelnutzung von Strom und Wärme!

Die Spitze der Bayerischen CSU hat aus Sicht des BUND Naturschutz beim Energiegipfel nichts für die dezentrale Energiewende in Bayern erreicht, und hierfür den Klimaschutz geopfert. Der drohende Klimawandel wird Bayern langfristig treffen: In Unterfranken vor allem mit einer Zunahme von Dürre-Ereignissen und zunehmender Heftigkeit von Gewittern, Unwettern und Überschwemmungen.

Die Kohlekraftwerke im Nordosten und Nordwesten Deutschlands laufen weiter und überschwemmen auch Bayern mit Strom. Dies schadet direkt und mittelfristig der Umsetzung der dezentralen Energiewende in Bayern, in Franken, in allen Regionen. Der billige Kohlestrom drängt das bestehende Gaskraftwerk in Irsching aus dem Markt. Der billige Kohlestrom bedroht kommunale Gaskraftwerke mit Kraftwärmekopplung in Würzburg. Die Bayerische Staatsregierung plant ein neues Gaskraftwerk in Oberbayern, Standort Haiming, aber ohne Kraftwärmekopplung. In wenigen Kilometern Abstand von diesem Standort Haiming sieht sich die Wacker-Chemie AG in Burghausen dem Druck der aktuellen Energie-Gesetzgebung ausgesetzt - die eine Modernisierung des werkseigenen Gaskraftwerkes mit Kraftwärmekopplung wirtschaftlich erschwert. Bereits 2013 hatte ein Vorstandssprecher der Siemens AG in einer Veranstaltung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft öffentlich gefordert, dass Bayern mehr Siemens-Erdgas-Kraftwerke bauen sollte. War dies das Ziel des Energiegipfels letzte Woche? fragt man sich nun beim BUND Naturschutz.

Dezentralität fehlt im Energiekonzept Deutschland. Der BUND Naturschutz fordert, dass die Potenziale der Versorgungssicherheit Strom mit Windstrom, Sonnenstrom und Kraft-Wärme-Kopplung transparent und offen untersucht werden. Ein zukunftsfähiges Energiekonzept für Deutschland und Bayern muss dezentrale, regionale lokale Potenziale wie Energiesparen, Energieeffizienz und die Nutzung von Erneuerbaren Energien berücksichtigen.

Aus Sicht BUND Naturschutz ist Dezentralität ein Kernelement der Energiewende und sowohl für den Atomausstieg als auch für den Klimaschutz von großer Bedeutung. Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und bringt tiefgreifende Veränderungen für unsere Gesellschaft mit sich. Um diese historische Aufgabe zu stemmen sind folgende Elemente wesentlich:

  • eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz,
  • Finanzierbarkeit,
  • weiterhin hohe Versorgungsqualität
  • politische und wirtschaftliche Teilhabe, möglichst vor Ort.

Das aktuelle Energiekonzept der Bundesregierung, inklusive der aktuellen Netzentwicklungspläne und der geplanten HGÜ-Leitungen, scheint jedoch weiterhin auf zentralistische Großstrukturen zu setzen und positioniert Deutschland als Kernstück eines großen trans-europäischen Stromverteilnetzes. Dieses Konzept führt langfristig direkt zu einer Gefahr für die Energiewende, weil es die Zukunft der Refinanzierbarkeit von Wind- und Sonnenstrom aber auch dezentrale Optionen, z.B. zur Flexibilität durch Kundenlastmanagement oder Speicherlösungen, in Frage stellt.

Die Wirkung von dezentralen Lösungsoptionen gegenüber den großen trans-europäischen Ansätzen wurde bislang weder im deutschen Energiekonzept noch in der europäischen Planung zur angestrebten Energieunion hinreichend untersucht. Der BUND Naturschutz fordert eine Überprüfung der HGÜ-Leitungen, der aktuellen Netzplanung und des deutschen Energiekonzepts im Hinblick auf möglichst umfassende dezentrale Ausrichtung. Daran anknüpfend erwartet der BUND Naturschutz, dass das deutsche Energiekonzept von 2010/2011 überarbeitet und einer öffentlichen strategischen Umweltprüfung nach EU-Richtlinien unterzogen wird. Diese muss eine Alternativenprüfung beinhalten, die im Detail und transparent analysiert, welchen Beitrag Energiesparen, Energieeffizienz, dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung und ein dynamischer Ausbau der Erneuerbaren Energien auch in Süddeutschland zur Versorgungssicherheit mit Strom und Wärme beitragen kann. Diese Analyse fehlt bisher.

Erforderlich ist eine volkswirtschaftliche Abwägung, die mögliche Risiken für den dezentralen Ausbau von Wind- und Sonnenstrom erfasst und alle Teilaspekte prüft, unter anderem auch Fragen der Refinanzierbarkeit. Außerdem ist zu überprüfen, welche Risiken von den HGÜ-Leitungen auf die lokale und regionale Wirtschaftlichkeit von Windenergie und Sonnenstrom ausgehen. Und es ist zu prüfen wie hierbei auch vor Ort an den jeweiligen Last- und Verbrauchsschwerpunkten Flexibilitätsoptionen, Speicher- und Residualkapazitätsbereitstellungen genutzt werden könnten.

Dezentralität muss als Ansatz untersucht werden, der Lasten und Leistungen, also Bedarfe der Verbraucher und Angebote der Produzenten und Händler regional für die Güter Strom und Wärme erfasst, gegenüberstellt und ausgleicht. Dezentralität wird daher für urbane Zentren wie Nürnberg anders beschrieben als für Landkommunen und für industrielle Produktionen anders als für lokales Gewerbe oder Wohnsiedlungen.

Das Energiewirtschaftsgesetz in Deutschland definiert dezentrale Energieanlagen als an das Verteilernetz angeschlossene Verbrauchs- und Last-nahe Erzeugung. Die dezentrale Energiewende hat also sowohl eine politische und gesetzliche Basis als auch - mit Sonnenstrom, Windenergie und dezentraler Kraft-Wärme-Kopplung - eine solide technische Basis.

Der BUND fordert das Bundeswirtschaftsministerium, aber auch das Bayerische Wirtschaftsministerium, auf, im Jahr 2015 die dezentrale Energiewende fortzuführen und hierfür das Strommarktdesign in Deutschland neu auszurichten. Die Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes im Jahr 2015 und die Novellierung des Energiewirtschafts-Gesetzes müssen zum Ziel haben, die Weichen für eine zukunftsfähige Wirtschaftlichkeit der dezentralen Erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung zu stellen.

Die Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes muss Energieeffizienz im Gesamtsystem zum Ziel haben. Bei der Stromproduktion für die Versorgungssicherheit dürfen nicht mehr wie bislang zum Teil über die Hälfte der Energie im Brennstoff als Abwärme in Flüssen oder in der Luft vergeudet werden. Die Abwärme sollte stattdessen in Zukunft für Heizung und Prozesswärme genutzt werden. Das novellierte Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz muss den Ausbau der Wärmenutzung aus der Kraft-Wärme-Kopplung deutlich unterstützen. Nur unter Einbeziehung dieser Nutzungsoption und deren Ausbaupotenzial ist eine effiziente Energiewende auch im Wärmemarkt sozialverträglich darstellbar.

Auch die Novellierung des Energiewirtschafts-Gesetzes für das künftige Energiemarktdesign muss darauf abzielen, die effiziente Kraft-Wärme-Kopplung dezentral zur Versorgungssicherheit zu nutzen. Die Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung darf kein wirtschaftliches Abenteuer sein, sondern benötigt Anreize und klare unterstützende Rahmenbedingungen.

Die heutigen Marktstrukturen lassen diesen Zukunftstechnologien keinen Zugang zu den langfristigen Märkten, aber nur in diesen ist eine Refinanzierung von Neuanlagen der Stromproduktion möglich. Das zukunftsfähige Modell sind regionale Strom- und Wärmemärkte, in denen die Akteure vor Ort ihre Produkte Energie und Leistung von Wärme und Strom vermarkten. Akteure in diesem Markt sind kommunale Stadtwerke, regionale Bürgerenergiegesellschaften und auch überregionale Unternehmen.

Der BUND Naturschutz lehnt einen von der Bundesnetzagentur regulierten zentralen Kapazitätsmarkt ab. Ein solcher Kapazitätsmarkt würde Großkonzerne mit ineffizienten Kohlekraftwerken genauso bevorteilen, ähnlich wie heute schon die Übertragungsnetzbetreiber durch ihre Oligopol-Position bevorteilt werden.

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Quelle:
Presseinformation, 07.07.2015
Herausgeber:
Bund Naturschutz in Bayern e.V.
Landesgeschäftsstelle
Dr.-Johann-Maier-Str. 4, 93049 Regensburg
Tel. 0 941/ 2 97 20-0, Fax 0 941/ 2 97 20-30
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Internet: www.bund-naturschutz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2015

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