Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN


STANDPUNKT/867: 30 Jahre Sandoz-Unfall 1986 in Basel am Rhein - Fortschritt und Rückschritt (BUND RVSO)


BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein - An die Medien, 25. Oktober 2016

30 Jahre Sandoz-Unfall 1986 in Basel am Rhein - Fortschritt und Rückschritt

von Axel Mayer


Als vor 30 Jahren, am 1. November 1986, in Schweizerhalle bei Basel die Chemiefabrik von Sandoz brannte und das Ökosystem des Rheins vom Löschwasser "chemisch gereinigt" wurde, war der Oberrhein besonders stark betroffen. Tonnenweise tote Fische trieben den Rhein hinunter, auf einer Länge von 400 km wurde die gesamte Aalpopulation ausgelöscht.

Am Oberrhein gab es vielfältige Protestaktionen, vom "Rheintribunal" in Auggen bis zu einer Menschenkette entlang des Flusses. Der Unfall geschah in einer Phase hoher politischer Sensibilisierung und Mobilisierung. Vorausgegangen war die Katastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986 und die Debatte um das Waldsterben.

30 Jahre nach dem Sandoz-Unfall gibt es Fortschritte und Rückschritte am Rhein. Der Fluss ist tatsächlich in manchen Bereichen sauberer geworden und die Wasserqualität hat sich verbessert. Der erfolgreiche Streit um die letzte Papierfabrik ohne Kläranlage, die "Usine Kaysersberg" vor genau 20 Jahren schloss das Kapitel der heftigsten chemischen Rheinverschmutzung ab.

Doch die Konzentration von schwer abbaubaren Verbindungen im Rhein ist immer noch zu hoch. Dazu gehören Tausende von Industriechemikalien, aber auch Medikamente, Korrosionsverhinderer in Maschinengeschirrspülmitteln oder Bestandteile in Sonnenschutzmitteln. Obwohl diese Substanzen nur in Konzentrationen von Millionstel Gramm pro Liter Rheinwasser vorkommen, entfalten sie als "Pseudohormone" hormonähnliche oder andere schädliche Wirkungen in Gewässerorganismen. Dazu kommt verstärkt Mikroplastik.

Nachdem im Jahr 2005, nach 50 Jahren, erstmals wieder Lachslaich in der Kinzig gefunden wurde, gab es 2006 nach über 100 Jahren den ersten Lachslaich in der Murg. Wenn das Symboltier Lachs in seine alten Heimatgewässer zurückkehrt, wenn Menschen wieder in Bächen und Flüssen baden können, dann hat das auch mit den Lehren (und Geld) aus dem Sandoz-Unfall zu tun. Es ist aber auch ein Ergebnis der grenzüberschreitenden Arbeit der Umweltverbände und ihres politischen Drucks in den letzten Jahrzehnten.

Der Streit um den "immer noch" Umwelt- und Naturschutzskandal, die Tatsache, dass die EDF an vier großen französischen Wasserkraftwerken keine Fischtreppen gebaut hat, beschäftigt uns auch im Jahr 2016 noch.

Die Chemieanlagen am Rhein sind tatsächlich sicherer geworden. Ob sie tatsächlich "sicher" sind, ist eine andere Frage.
Das Problem der Chemie- und Atomindustrie ist zumeist nicht eine Wiederholung vergangener Unfälle. Das Problem sind neue, unbekannte Unfallszenarien, mit denen im Vorfeld weder die Betreiber noch die Kritiker gerechnet haben.
Der aktuelle schwere Unfall bei der BASF in Ludwigshafen war da eine erneute Warnung. Ähnliches gilt auch für die Katastrophe an der Jagst im Jahr 2015, bei der die grob fahrlässige Lagerung großer Mengen Stickstoffdünger in unmittelbarer Gewässernähe und eine nicht vorbereitete Feuerwehr zu einem riesigen Fischsterben führte.

Auch die Schweizer und deutschen Atomkraftwerke am Rhein und seinen Zuflüssen sind seit der Sandoz-Katastrophe durch Alterung, Materialverschleiß und Versprödung der Reaktordruckgefäße nicht sicherer, sondern unsicherer geworden.

Eine zukünftige Gefahr für den Rhein ist das vermutlich in Benken (CH) geplante Atommülllager. Nahe am Rhein, in einer viel zu dünnen Schicht Opalinuston, sollen die gefährlichsten Gifte für eine Million Jahre gelagert werden.

Die Öffentlichkeitsarbeit und die Katastrophenkommunikation der Konzerne hat sich durch die Unfälle und Katastrophen bei Sandoz, in Tschernobyl, Bhopal und Fukushima verändert. Nicht mehr die Katastrophe und der große Unfall sind das Problem der Konzerne, sondern die auf den Unfall folgende, "Krisenkommunikation". Spezialisierte PR-Unternehmen stehen bei Katastrophen aller Art als mediale Kriseninterventionskräfte bereit und arbeiten äußerst wirksam.

Nach dem Sandoz-Unfall hat die Umweltbewegung die chemische Vergiftung unserer Gewässer und des Rheins erfolgreich bekämpft, die Gesetze wurden verschärft und die Gifteinleitungen in vielen Bereichen verringert.

Dabei wurde die thermische und radiologische Belastung der Flüsse ein wenig aus den Augen verloren. Das französische AKW Fessenheim und das schweizer AKW Beznau haben keine Kühltürme und setzen zu hundert Prozent auf die profitable, für den Rhein im Sommer aber verheerende Flusswasserkühlung. Wenn alle Kraftwerke am Rhein auf Kühltürme verzichtet hätten, dann wäre der Rhein biologisch tot. Zusätzlich zur Erwärmung des Rheins kommt noch die radioaktive Verschmutzung. Alle Atomkraftwerke belasten auch im so genannten "Normalbetrieb" die Flüsse mit radioaktivem Tritium.

Sandoz und andere Katastrophen haben auch einen sehr makaberen "Erfolg" gebracht. Im Rahmen der Globalisierung sind einige besonders umweltbelastende und gefährliche Industrie- und Chemieanlagen in arme Länder mit geringeren Umweltauflagen exportiert worden.

Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer
(als Demonstrant bei den Sandoz-Protesten aktiv)



http://www.bund-rvso.de/sandoz-unfall.html

*

Quelle:
Mitteilung an die Medien vom 25.10.2016
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Axel Mayer, BUND Regionalgeschäftsführer
Herausgeber:
Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
Wilhelmstr. 24a, 79098 Freiburg
Tel.: 0761/30383, Fax: 0761/23582
E-Mail: bund.freiburg@bund.net
Internet: www.bund-rvso.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang