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STANDPUNKT/969: Wie politisch ist Wissenschaft? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017

Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Wie politisch ist Wissenschaft?
Verbündete der Umweltbewegung oder Anwälte des Weiter-So?

von Kai Niebert



Zwischen wirtschaftlichem Einfluss und politischer Vereinnahmung leidet die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft als unabhängige und neutrale Instanz. Dabei kann Forschung für Unternehmen und Politik gut sein, da sie Innovation und wissenschaftsbasierte Entscheidungen stärkt. Sie muss jedoch transparent sein hinsichtlich finanzieller Zuwendungen und personeller Besetzung. Und vor allem muss sie für zivilgesellschaftliche AkteurInnen offenbleiben.


Der wirtschaftliche Einfluss auf die Wissenschaft ist deutlich angestiegen: Seit 2000 hat sich die Drittmittelfinanzierung nahezu verdoppelt. 1,4 Milliarden Euro(1) fließen jedes Jahr an Hochschulen und finanzieren Stiftungsprofessuren, Forschungsprojekte oder Stipendien. Dadurch erhöht sich die inhaltliche Einflussnahme auf die wissenschaftliche Arbeit, denn Unternehmen verfolgen profitorientierte Eigeninteressen, die Marktgesetzen entsprechen, und orientieren sich nicht am öffentlichen Gemeinwohl der Bevölkerung.

Der Kampf um Deutungshoheit

Die Brisanz liegt darin, dass sich die verdichtende Verflechtung von Wirtschaft und Forschung zu einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis verfestigt und zu einer Ökonomisierung wissenschaftlicher Standards führt, die die Freiheit der Wissenschaft bei der Auswahl ihrer Themen, Methoden oder des Personals stark beeinflusst oder gar bestimmt. Es besteht die Gefahr der Privatisierung eines öffentlich finanzierten Allgemeinguts.

Auch die Politik greift auf die Ressource "Wissen" zurück. Bereits bei der Entstehung demokratischer Strukturen in der Antike spielten Gelehrte eine entscheidende Rolle in politischen Entscheidungsprozessen. Heute ist die politische Beratung durch ExpertInnen und Gremien längst professionalisiert und fester Bestandteil des politischen Tagesgeschäfts. Grundsätzlich ist sie dann sinnvoll, wenn sie durch ihre Fachkenntnisse bei der Analyse und Lösung angesichts immer vielschichtiger werdender gesellschaftlicher Steuerungsaufgaben der reinen parteigefärbten Handlungslogik als Korrektiv entgegenwirkt. Doch auch hier zeigt sich nichts Neues: Regierungen, Ministerien und Parteien bedienen sich der Wissenschaft häufig aus strategischen Überlegungen heraus, eigene Positionen als faktisch unangreifbar darzustellen, dadurch zu legitimieren und den eigenen Machterhalt zu stärken. Ministerien vergeben Studienaufträge häufig so, dass die zu erwartenden Ergebnisse ihren Interessen nicht entgegenstehen und Parlamentsfraktionen laden zu Ausschussanhörungen bevorzugt ihnen inhaltlich nahestehende ExpertInnen ein. Wissenschaftliche Beratung lässt sich die Regierung nicht wenig kosten: 2016 wurden rund 100 Millionen Euro an externe BeraterInnen gezahlt, 165 Prozent mehr als im Jahr zuvor.(2)

Doch auch hier fehlen meistens ExpertInnen zivilgesellschaftlicher AkteurInnen, weil sie mit kritischen Ansichten - aber nicht weniger wissenschaftlich fundiert - die präferierte politische Position angreifen könnten. Beim sogenannten Diesel-Gipfel waren wieder nur VertreterInnen der Automobilindustrie und der Politik anwesend - Umweltverbände, Gewerkschaften, VerbraucherschützerInnen und GesundheitsexpertInnen waren nicht eingeladen. Stattdessen halten sich die beteiligten Ministerien gegenseitig die von ihnen selbst in Auftrag gegebenen Studien vor, die ihre Positionen entweder bekräftigen oder angreifen. Wissenschaft dient hier als wertvolle Ressource in der konkurrierenden Auseinandersetzung politischer Machtspiele - und wird dadurch selbst politisiert.

Wissenschaftsfeindliche Tendenzen

Durch die steigende Inanspruchnahme für wirtschaftliche und politische Zwecke wird die Wissenschaft hinsichtlich ihrer Transparenz und Unabhängigkeit leicht angreifbar seitens rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen. In Deutschland ist die AfD die prominenteste Kritikerin von Forschungsergebnissen, die den anthropogenen Klimawandel erfassen - und sie ist in 13 Landesparlamenten vertreten. Aber auch in der Regierungspartei gibt es GegnerInnen der Klimaforschung. Der konservative Berliner Kreis der CDU bestreitet die klimaschädlichen Folgen des Treibhausgases CO2 und forderte einen Kurswechsel der Klimaschutzpolitik, denn die Chancen des Klimawandels seien größer als die negativen ökologischen Folgen. Die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation wird politisch blockiert.

Nicht nur in Deutschland, auch in anderen Ländern sind solche wissenschaftsfeindlichen Tendenzen seitens der Politik zu beobachten, wie beispielsweise in Ungarn, Polen oder der Türkei. Prominentestes Negativ-Beispiel ist die USA. So bezeichnete Sam Clovis, Staatssekretär im US-Agrarministerium, die Klimaforschung als "junk science" - als Schrottwissenschaft und bringt damit die Einstellung des amerikanischen Präsidenten Donald Trump und seiner Politik zum Ausdruck. Dieser hält den Klimawandel bekanntlich für die Erfindung der Chinesen und benutzt diese "alternativen Fakten" als Argument zum Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und zur Förderung der Kohle- und Ölindustrie. Gleichzeitig kündigte er an, eine Vielzahl von Umweltschutzmaßnahmen abzuschaffen und starke Kürzungen für Forschungseinrichtungen wie die Umweltschutzbehörde EPA vorzunehmen. Der Hintergrund dieser wissenschaftsfeindlichen Politik ist offensichtlich: Die amerikanische Regierung will ihre auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft ungehindert durchsetzen und versucht, durch gezielte Wiederholung eigener Behauptungen eine breite Zustimmung in der Öffentlichkeit zu erlangen. Jegliche Auflagen zum Schutz von Natur und Menschen stehen dabei im Weg und müssen abgeschafft werden.

Zwischen Freiheit und Abhängigkeit

Und wie reagiert die Wissenschaft? In der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit versammelten sich im April 2017 weltweit hunderttausende WissenschaftlerInnen zum 'March for Science', um für den Wert freier Forschung und ihre gesellschaftliche Bedeutung zu demonstrieren. Die Botschaft des Marsches: Wissenschaftliche Erkenntnisse sind als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar.(3) Die Wirkung? Eher gering, das Geschäft geht weiter.

Das Ideal wertfreier und neutraler Wissenschaft ist erstrebenswert, angesichts mehrschichtiger Verflechtungen in pluralen Gesellschaften mit frei konkurrierenden AkteurInnen jedoch nicht realistisch.

Politik strebt nach Macht, Wirtschaft nach Profit. Die Wissenschaft befindet sich im Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Abhängigkeit, in der anhaltenden Auseinandersetzung der eigenen Standards mit politischem Missbrauch und wirtschaftlicher Käuflichkeit. Gleichzeitig ist sie dabei existentiell von politischen und ökonomischen Zuwendungen abhängig, um die eigenen Forschungsinteressen verfolgen zu können. An diesen Interessenkonstellationen und Verhältnissen wird sich zukünftig auch nicht viel ändern. Wissenschaft wird in ihrer gesellschaftlichen Anwendung weiterhin politisch aufgeladen sein und sich auch privatwirtschaftlichen Geldern nicht verweigern.

Aber die Tendenzen der Ökonomisierung und Politisierung können korrigiert werden. Zum einen muss ein solches Wissensmanagement etabliert werden, das vor allem die Mechanismen offenlegt, wie Politik und Wirtschaft Forschungsergebnisse in Auftrag geben und für ihre Interessen nutzen. Zum anderen muss die Beteiligung zivilgesellschaftlicher AkteurInnen gestärkt werden, um die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse abzubilden. UmweltaktivistInnen, Gewerkschaften oder Sozialverbände können in Gremien, Enquete-Kommissionen und Expertenrunden als Korrektiv und Kontrolle wirken und dadurch automatisch mehr Transparenz schaffen.

3 Schritte zu einem transparenten Wissenschaftssystem

Die Lösung der aufgezeigten Missstände wäre ebenso einfach wie unkompliziert: Wir brauchen erstens mehr Aufklärung über die Form, wie Wissenschaft betrieben wird: Erst wenn die Öffentlichkeit versteht, unter welchen Rahmenbedingungen neue Erkenntnisse gewonnen werden, kann sie sie auch kritisch hinterfragen.

Zweitens müssen Forschungsfragen und Auftraggeber zu jeder Zeit transparent sein. Nur so können mögliche Interessenbindungen kritisch hinterfragt werden.

Und drittens sollten die Gremien, die über die Verwendung öffentlicher Mittel entscheiden, nicht länger industriedominiert sein, sondern durch die Zivilgesellschaft mindestens paritätisch besetzt werden. Über öffentliche Forschungsgelder sollte auch die Öffentlichkeit entscheiden können.

Dadurch erlangt letztendlich auch die Wissenschaft als Institution wieder mehr Handlungsautonomie und Deutungshoheit gegenüber externer Einflussnahme, besonders gegenüber Angriffen rechtspopulistischer Bewegungen. Gerade jetzt, wo Überschwemmungen durch Wirbelstürme, Erdrutsche durch Erosionen oder Waldbrände durch extreme Hitze mehr als jemals zuvor die planetaren Belastungsgrenzen unserer Erde aufzeigen, brauchen wir eine unabhängige Wissenschaft, die weder für politische Ideologien noch für wirtschaftliche Wachstumsgier missbraucht wird. Wir brauchen eine Wissenschaft, die kritisch und transparent forscht, damit die notwendige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung gerecht gestaltet werden kann.


Der Autor Prof. Dr. Kai Niebert ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings und leitet den Lehrstuhl Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit an der Universität Zürich.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Wenn es um die Beziehungen zwischen der Regierung und der Automobilindustrie geht, spielen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz oder auch die Gewerkschaften keine Rolle.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.



Anmerkungen

(1) https://www.hochschulwatch.de/
(2) http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/mckinsey-bundesregierung-zahlt-deutlich-mehr-fuer-externe-berater-a-1154779.html
(3) Vgl. http://marchforscience.de/

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 2 - 3
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2017

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