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ATOM/339: Exorbitante Kosten der Mox-Fabrik in Sellafield (SB)


Die britische Regierung versuchte die wahren Kosten einer nutzlosen Wiederaufbereitungsanlage zu verschweigen


Der britische Nuklearkomplex Sellafield benötigt offensichtlich mal wieder einen neuen Namen. Als Windscale, so die ursprüngliche Bezeichnung des Kernkraftwerkgeländes an der Irischen See, wegen einer Serie von teils folgenschweren Unfällen mit Freisetzung radioaktiver Partikel - zu nennen ist hier vor allem der Kernbrand vom Oktober 1957 - allzu sehr in Verruf geraten war, wurde ab 1981 der Name Sellafield etabliert. Längst ist auch dieser Name "verdorben" und wird mit einer unendlichen Geschichte von Pannen assoziiert.

Eine der eher wirtschaftspolitischen Pannen betrifft die Entscheidung, auf dem Gelände eine Wiederaufbereitungsanlage zur Herstellung von Mischoxid-Brennelementen (Mox) zu bauen. Bis heute hat sie nur Kosten verursacht, gewaltige Kosten, die dem britischen Steuerzahler zusätzlich auf der Tasche liegen und die die britische Regierung bewogen haben, den Mantel des Schweigens darüber auszubreiten. Beim jüngsten G20-Gipfel in London kam jedoch die Peinlichkeit ans Licht. Wie die britische Zeitung "The Independent" (7.4.2009, online) exklusiv berichtete, haben die Kosten die Marke von eine Milliarde brit. Pfund (1,1 Mrd. Euro) überschritten. Jährlich kommen 200 Mio. brit. Pfund hinzu.

Es war ja nicht so, daß die Regierung nicht frühzeitig gewarnt worden wäre. Experten hatten noch vor der Entscheidung zum Bau der Fabrik und später auch bei bestimmten Gelegenheiten, an denen durch eine Streichung der Pläne oder ein Abbruch der Bauarbeiten der Schaden hätte begrenzt werden können, sogar äußerst eindringlich vor einer sturen Haltung in dieser Frage gewarnt. Genutzt hat es nichts, und daß die Kritiker jetzt als diejenigen dastehen, die es schon immer gewußt haben, nutzt insofern wenig, als daß dadurch die Kosten nicht wieder rückgängig werden können.

Korrumpierbarkeit auf Regierungsebene hat viele Gesichter, eine besteht darin, eine Branche bzw. Industrie durch Steuererleichterungen, Subventionen, Nicht-Verhängung von Sicherheitsauflagen, Freistellung von Versicherungskosten, etc. zu fördern. Denn die Verluste von über eine Milliarde Pfund bedeuten, daß irgend jemand davon profitiert hat. Das Geld wurde nicht vernichtet, sondern es floß denjenigen zu, die die Anlage gebaut und betrieben haben ... gibt es eigentlich nicht eine effektiveren Weg der Arbeitsplatzbeschaffung, als das Geld einer Handvoll von Begünstigten in den Rachen zu werfen?

Die Befürworter der Anlage hatten behauptet, mit ihr einen Profit von über 216 Millionen Pfund machen zu können (allerdings durfte man die Baukosten der Mox-Fabrik nicht mitrechnen). Darüber hinaus sollten auf diese Weise jährlich 120 Tonnen wiederaufbereitete Brennelemente hergestellt und im In- und Ausland verkauft werden. Die Idee war so abstrus wie vieles, das unter Premierminister Tony Blair ausgeheckt wurde. Der Zeitung "Independent" zufolge mußte die Regierung "technische Probleme" sowie einen Rückgang der Aufträge einräumen. In den rund acht Jahren seit der Inbetriebnahme der Anlage wurden nicht 920 Millionen Tonnen Brennelemente produziert, sondern 6,3 Tonnen!

Da die Baukosten bereits 600 Millionen brit. Pfund (nach damaligem Wert über eine Milliarde Euro) überstiegen, belaufen sich die Gesamtkosten einschließlich des Unterhalts auf über 1,2 Milliarden brit. Pfund. Der "Independent" spricht treffenderweise von einem "white elephant" der Nuklearindustrie, also einer Fehlinvestition, die sich als ein Faß ohne Boden erweist, solange die Anlage nicht stillgelegt wird. Und selbst dann wird sie noch Kosten in Millionenhöhe verursachen.

Als in den neunziger Jahren Blair und die industriefreundlichen Mitglieder seines Kabinetts die Entscheidung für die Mox-Anlage trafen, übergingen sie die Einwände von Experten unter anderem der Nichtregierungsorganisationen Greenpeace und Friends of the Earth. Aber auch auf den damaligen Umweltminister Michael Meacher, der dem linken Spektrum der regierenden Labour Party zugesprochen wird, wurde nicht gehört. Jetzt fordert er eine öffentliche Untersuchung des Skandals und verlangt, daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Möglicherweise wird der heutige Minister für Klimawandel Ed Miliband in den sauren Apfel beißen und die Mox-Fabrik schließen. Jedenfalls teilte die Nuclear Decommission Authority (NDA), welche mit ihrer Gründung 2004 die Verantwortung der Dekontamination von Anlagen der zivilen Nuklearindustrie trägt, mit, daß die Fabrik "überprüft" wird.

Zu keinen Zeitpunkt war nachzuvollziehen, wieso die britische Regierung auf die Mox-Fabrik bestand. Erst unter der Annahme, daß es hier um versteckte Korruption ging, wird das Beharren Blairs erklärbar. Bis heute hat sich an der Wohlgesonnenheit der Labour-Regierung gegenüber der Nuklearindustrie nichts geändert. Ungeachtet der enorm hohen Kosten, die der Neubau von Kernkraftwerken erfordert, erwägt Downing Street, eine Reihe neuer Kernkraftwerke zu errichten. Um sie der Bevölkerung schmackhaft zu machen, wird das Märchen verbreitet, daß Kernkraftwerke klimafreundlich sind. Mit solch infamen Verdrehungen der Verhältnisse wird die Bevölkerung über das Ausmaß der Treibhausgasemissionen, die mit dem Betrieb von Kernkraftwerken, einhergehen, getäuscht. Die Mox-Fabrik steht dafür beispielhaft. Sie repräsentiert ja nur einen winzigen Ausschnitt aus der weitverzweigten nuklearen Infrastruktur.

Lobbyisten der Nukleartechnologie verweisen gern darauf, daß abgebrannte Brennelemente wieder aufbereitet und erneut in den Nuklearkreislauf geschickt werden können. Sie versprechen eine niemals versiegende Energiequelle ...

Soviel zu den Träumen. Die Realität der Nuklearwirtschaft sieht anders aus. Die Errichtung der Mox-Fabrik, die selbst aus der Sicht derjenigen, die Kernenergie befürworten, ein Fehlschlag war, hat eben nicht nur hohe Kosten verursacht, die von den Steuerzahlern übernommen werden müssen, sondern auch große Mengen an Kohlendioxid produziert. Das wird von den Lobbyisten gern unterschlagen, wenn sie Märchen von der Klimafreundlichkeit der Nukleartechnologie zum besten geben.

Die Mox-Fabrik von Sellafield symbolisiert das technologische, ökologische und wirtschaftliche Scheitern der zivilen Nukleartechnologie. Von den verheerenden militärischen Aspekten der Kernspaltung ganz zu schweigen.

7. April 2009