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ATOM/300: "Kleinerer" Nuklearkrieg würde Weltklima verändern (SB)


Gefahr eines Atomkriegs wächst

Neue US-Studie zum "nuklearen Winter"


In den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kam der Begriff "nuklearer Winter" auf. Mit diesem Stichwort sollte das menschheitsgefährdende Potential einer nuklearen Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Machtblöcken NATO und Warschauer Pakt veranschaulicht werden. Bei einem Atombombenbeschuß würden so viel Ruß, Staub und sonstige Partikel in die Atmosphäre geblasen werden, daß dies wie ein Schutzschild gegen Sonnenstrahlen wirkte, so daß sich die Erde abkühlte. Auf ihr herrschte fortan ein durch Nuklearsprengköpfe ausgelöster dauerhafter Winter.

Mittlerweile wurde die Sowjetunion zerschlagen und der Warschauer Pakt aufgelöst. Ehemalige Mitglieder dieses Pakts haben die Seiten gewechselt und sich der NATO angeschlossen. Die Nuklearwaffenarsenale wurden teilweise abgebaut, andere modifiziert, und man hat mit der Entwicklung von taktischen Atomwaffen begonnen. Bislang galten Atomwaffen hauptsächlich als strategische Systeme. Sie sollten in erster Linie abschrecken - eine Vorstellung, die insofern inkonsequent war, als daß die USA bereits zweimal Atombomben gegen ein anderes Land eingesetzt haben. Im August 1945 über Hiroshima und Nagasaki. Weltweit gab es keine einzige Waffe, die auch nur annähernd ein ähnliches Zerstörungspotential besaß.

Daraus, daß die USA damals keinen gleichwertigen Gegner auf dem Nukleargebiet besaßen, könnte der Schluß gezogen werden, daß solch eine Situation niemals wieder eintreten sollte, weil dann erneut mit einem Angriff zu rechnen wäre. Diese Gefahr ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. Zwar besitzen mehrere Staaten der Erde Atomwaffen, aber gegen die richtet sich das gegenwärtige Aufgebot der größten Militärmacht der Welt nicht. Die mutmaßliche Pattsituation ist nicht die eigentliche Gefahr, vielmehr haben die USA und ihre Verbündeten Länder wie Nordkorea und Iran ins Visier genommen. Ersteres ist allem Anschein nach im Besitz einer Atombombe, letzterem wird unterstellt, er trage die Absicht, sich nuklear zu bewaffnen. Großbritannien, Frankreich, Rußland und nicht zuletzt die USA modifizieren gegenwärtig ihre nuklearen Arsenale, um, wie es gern kolportiert wird, gegen "neue Bedrohungen" geschützt zu sein.

Atomwaffen gegen diese "neuen Bedrohungen" einzusetzen, könnte bedeuten, daß Staaten attackiert werden, die selber gar keine Atomwaffen besitzen. Diese Konstellation entspräche dem Verhältnis zwischen den USA und Japan im Jahr 1945. Beispielsweise hält sich US- Präsident George W. Bush im Konflikt mit dem Iran ausdrücklich "alle Optionen" offen, somit auch den Einsatz von Atomwaffen. Einige politische Analysten spekulieren, daß Bush im Jahr 2008 das Kriegsrecht ausrufen und einen Angriff auf Iran - möglicherweise mit nuklearen Elementen - befehlen könnte. Das wäre eine Möglichkeit für ihn, wie er im Amt bliebe.

15 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die Gefahr eines Kriegs unter Einsatz von Atomwaffen enorm angewachsen. Zumal auch Pakistan und Indien im Kaschmir-Konflikt, ungeachtet jüngster Einigungsbemühungen, noch immer mit dem Säbel rasseln und ebenfalls "keine Optionen" ausschließen wollen. Beide Staaten verfügen seit einigen Jahren über eigene Atomwaffen und haben bereits zweimal um die Kaschmir-Provinz Krieg geführt.

Vor diesem weltpolitischen Hintergrund haben US-Wissenschaftler eine neue Studie über die Folgen eines "nuklearen Winters" veröffentlicht. Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan diente den US-Forschern als potentielles Beispiel für ihre Computersimulation. Angenommen wurde, daß zwei verfeindete Staaten aus subtropischen Breiten jeweils 50 Atombomben von der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe (15 kt) auf urbane Zentren des Gegners abschießen.

Professor Richard Turco von der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA), Professor Alan Robock von der Rutgers Universität in New Jersey und Professor Owen Toon von der Universität von Colorado in Boulder stellten die Ergebnisse ihrer umfangreichen Berechnungen, die auf einem Supercomputer der NASA durchgeführt wurden, diese Woche auf dem Jahrestreffen der American Geophysical Union in San Francisco vor. Zudem wurde die Untersuchung, auf zwei Studien aufgeteilt, im Journal "Atmospheric Chemistry and Physics Discussions" veröffentlicht.

Demnach wird sich nach dem atomaren Schlagabtausch die Atmosphäre über mindestens zehn Jahre verdunkeln. Die Städte würden lichterloh brennen, laufend befeuert mit Holz, Plastik, Öl und Gas. Es würden neue Windsysteme entstehen, die Ozonschicht würde beschädigt und die Ernten gingen zurück. In Folge dessen käme es global zur Ausbreitung von Krankheiten und Hunger.

Die Schmutzpartikel würden bis in die Stratosphäre (ab ca. 20 Kilometer Höhe) aufgewirbelt und dort durch die Strahlung der Sonne noch höher hinaus getrieben. Aufgrund der Verdunkelung würden sich weite Teile Nordamerikas und Eurasiens um durchschnittlich 1,25 Grad Celsius abkühlen. Europa erlebte erneut eine "kleine Eiszeit" mit besonders harten Wintern, wie sie im Mittelalter auftrat. Die Niederschlagsmenge sänke um zehn Prozent, und die Vegetationsperiode der Pflanzen verkürzte sich um bis zu 30 Tage.

Alles in allem hielten die Folgewirkungen einer nuklearen Auseinandersetzung länger an, als man bisher geglaubt habe, berichteten die Forscher. Denn in früheren Berechnungen sei der Mechanismus, der das Material bis hoch hinauf in die Stratosphäre befördere, nicht angemessen berücksichtigt worden. Neuere Berechnungsgrundlagen für die Folgen eines Atomkriegs lieferte der Ausbruch des philippinischen Vulkans Pinatubo im Jahr 1991. Während die Eruptionen an sich nach einem Jahr nachgelassen hatten, wurde der schwarze Rauch, der bis in die Stratosphäre aufgestiegen war, noch nach zehn Jahren gemessen.

Die Ozonschicht, die zwischen 25 und 40 Kilometer Höhe innerhalb der Stratosphäre liegt, reagiert sehr empfindlich auf chemophysikalische Einflüsse. Den Berechnungen zufolge würde die Ozonschicht über vielen bewohnten Gebieten um 40 Prozent ausdünnen, über den Polen sogar um 70 bis 80 Prozent.

Desweiteren haben sich die Forscher bemüht, die direkten und indirekten Folgen des "kleineren" nuklearen Schlagabtauschs zu berechnen und sind auf Todesraten gekommen, die je nach Größe und Lage eines Landes sowie weiterer Faktoren zwischen 2,6 Millionen und 16,7 Millionen Menschen liegen.

Kein Bestandteil der Berechnungen waren hingegen die politischen Konsequenzen des Szenarios vom nuklearen Winter. Ein nuklearer Schlagabtausch oder der asymmetrische Nuklearangriff gegen ein atomwaffenfreies Land könnte weitere Staaten auf den Plan rufen, die sich nun ebenfalls ultimativer militärischer Mittel bedienen, um ihre Interessen durchzusetzen. Zu dieser Gefahr der Ausweitung des Kriegs kommt hinzu, daß der nukleare Winter zu Ernteverlusten führen würde - einerseits wegen der flächendeckenden Kontamination mit Radionukleotiden, andererseits wegen der reduzierten Photosyntheseleistung der Pflanzen sowie der Zerstörung von Pflanzenzellen durch die harte UV-Strahlung, welche bislang von der Ozonschicht abgehalten wird.

Die Sicherung der Nahrungsversorgung ist zweifelsohne ein Kriegsgrund. So heißt es in den neuen Bundeswehr-Richtlinien, daß das Militär auch zur Sicherung von Ressourcen eingesetzt werden sollte. Anders gesagt: Deutschland wird nicht nur am Hindukusch verteidigt, sondern auch an den Weidegründen und Ackerflächen Lateinamerikas, Afrikas und Asiens. Und was für Deutschland gilt, trifft selbstverständlich auch auf andere Industriestaaten und deren Bündnispartner zu. Auch sie sind bereit, sich militärischer Mittel zu bedienen, um möglichst vollständige Kontrolle über andere Bevölkerungen und somit der von ihnen genutzten Regionen zu erlangen.

14. Dezember 2006