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ATOM/306: Nukleararbeiter - verstrahlt, verbraucht und lästig (SB)


Zehntausende Arbeiter aus der Atombombenproduktion verstrahlt

US-Regierung will sich vor zugesagten Entschädigungszahlungen drücken


Jahrzehntelang wurde den Beschäftigten in der US-amerikanischen Nuklearindustrie vorgegaukelt, daß ihre Tätigkeit, so bescheiden sie auch sei, dazu beitrage, das Böse in der Welt zu bekämpfen und an seiner statt Freiheit und Demokratie zu verbreiten. Ob das die Arbeiter geglaubt haben oder nicht, spielte keine Rolle: alle, die in engeren Kontakt mit dem radioaktiv strahlenden Material kamen oder gar Radionukleotide inkorporiert hatten, setzten sich einem erhöhten Krankheitsrisiko aus. Viel zu spät mußten die Betroffenen, deren Organe versagten, Erinnerungsvermögen schwand oder die von Tumoren heimgesucht wurden, erkennen, daß das Gute nicht ohne das Böse existieren kann und ihre eigene Gutgläubigkeit böse endete. Siechtum hielt unter den Arbeitern und Angestellten der Atombombenproduktion der USA breiten Einzug.

Jahre später hatte die US-Regierung zugesagt, daß die Betroffenen zumindest entschädigt werden sollten. Die finanzielle Unterstützung würde den betroffenen Nukleararbeitern und ihren Familien zumindest eine gewisse Erleichterung verschaffen.

Dem US-Arbeitsministerium scheinen allerdings die Kompensationszahlungen für die rund 60.000 erkrankten Arbeiter zu hoch zu sein. Seit dem Jahr 2000 gibt es immer wieder Verzögerungen. Man spielt auf Zeit, behindert die längst beschlossenen Auszahlungen und bemüht sich, die Abwicklung so weit wie möglich hinauszuzögern. "Irgendwie" löst sich das Problem dann schon.

Betroffen sind unter anderem auch mehrere tausend ehemalige Arbeiter der inzwischen offiziell dekontaminierten Atombombenfabrik Rocky Flats außerhalb von Denver. Wie Ann Imse und Laura Frank für die "Rocky Mountains News" (10.3.2007) berichteten, liegen der Zeitung verschiedene, einem Kongreßausschuß übergebene Dokumente vor, die belegten, daß die Bush-Administration versucht, die Entschädigungszahlungen gezielt zu behindern. Unter anderem sollte der Beraterausschuß, dem das Programm zur Abwicklung der Auszahlungen obliegt, mit Personen besetzt werden, die weniger mit den Arbeiter sympathisieren. In der Konsequenz noch schwerwiegender ist das Bemühen, über wissenschaftliche Bewertungen hinwegzugehen.

Vertreter des in die Kritik geratenen und für diese Fragen zuständigen Arbeitsministeriums leugnen zwar nicht, daß es diese Vorhaben gegeben hat - der Schriftverkehr läßt daran sowieso keinen Zweifel -, aber sie behaupten, daß es niemals zur Umsetzung der Pläne gekommen sei.

Bislang haben erst 16.000 ehemalige Nukleararbeiter, die nachweislich aufgrund ihrer Tätigkeit mit Strahlenmaterial erkrankt sind, eine Entschädigungszahlung von bis zu 150.000 Dollar erhalten. Die dafür aufgewendete Gesamtsumme beträgt 2,6 Milliarden Dollar - verglichen mit den aktuellen Kriegskosten der USA sind das sowieso Peanuts. Aber selbst die zehn Jahre währende Dekontamination von Rocky Flats hat mit sieben Milliarden Dollar bereits das Mehrfache dessen gekostet, was für die Arbeiter aufgewendet wurde. Wie überhaupt die Aufräumarbeiten von 84 früheren Kernwaffenproduktionsstätten bereits 65 Milliarden Dollar verschlungen haben.

In einem der Schriftstücke beklagt sich der Staatssekretär im Arbeitsministerium, Shelby Hallmark, daß seiner Meinung nach ein Wettrennen unter den Kongreßmitgliedern stattfände, wer von ihnen die meisten Vergünstigungen für seine Wähler nach Hause hole. Solche Ansichten müssen als Ablenkungsmanöver gewertet werden. Inzwischen hat sich sogar der investigative Arm des Kongresses, das Government Accountability Office (GAO), das eine vergleichbare Funktion erfüllt wie hierzulande der Bundesrechnungshof, des Falls angenommen und prüft, ob das Arbeitsministerium seine Grenzen überschritten und ungesetzlich gehandelt hat.

Anstatt die Nukleararbeiter, jene Veteranen des Kalten Kriegs, zu entschädigen, werden sie bezichtigt, maßlose Forderungen zu stellen, und es wird eine Kultur geschaffen, in der sich der Staat nach und nach von der Verantwortung für die Verstrahlungen unter den Arbeitern zu befreien sucht. Die Abwicklung des menschlichen "Ausschusses" der Atombombenproduktion erinnert an den vor wenigen Tagen an die Öffentlichkeit gelangten Bericht über das Kriegsversehrtenkrankenhaus Walter Reed, in dem unsägliche hygienische Verhältnisse herrschten.

Ob der Krieg kalt oder heiß genannt wird, er richtet sich nicht gegen einen äußeren Feind, sondern er ist der Krieg einer kleinen privilegierten Schicht gegen den Rest, wozu auch die eigene Bevölkerung zählt. In diesem Fall hat er sich gegen die mit patriotischem Gewese bei Stange gehaltenen und nach Verbrauch als Müll behandelten Nukleararbeiter. Mit keinem Geld der Welt kann jemand entschädigt werden, der an Krebs erkrankt ist und fortan ein Leben auf der Kippe führen muß, bis er sich nicht mehr halten kann. Abgesehen von der "Entsorgung" der radioaktiv verstrahlten Atombombenfabriken findet auch eine Abwicklung des unbrauchbar gewordenen menschlichen Produktivfaktors statt.

13. März 2007