Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

ATOM/326: Plutonium-Unfall in NIST-Labor in Boulder (SB)


Unfall in US-Forschungslabor - Plutonium freigesetzt

Auch geringste Spuren Plutonium sind potentiell lebensgefährlich


Am 9. Juni ist es in einem Forschungslabor der USA zu einem Unfall mit der Freisetzung von Plutonium innerhalb der Räumlichkeiten gekommen. Nach außen ist angeblich kein Strahlenstoff gelangt. Obgleich an dem Unfall nur 0,25 Gramm Plutoniumpulver beteiligt war, wurden die kontaminierten Räumlichkeiten zunächst versiegelt, sämtliche Mitarbeiter radiologisch untersucht, und es wurden umfangreiche Untersuchungen zum Hergang des Unfalls eingeleitet. Es mußte sogar schon ein NIST-Mitarbeiter vor einem Kongreßausschuß antreten und Bericht erstatten.

Warum so viel Aufhebens um eine Messerspitze Pulver? Zeichnen sich die Forschungseinrichtungen in den USA durch maßlos übertriebene Vorsicht aus? Das Gegenteil trifft zu, zumindest galt dies für die Mitarbeiter des Labors des National Institute of Standards and Technology (NIST) in Boulder, US-Bundesstaat Colorado, die sich auf erschreckende Weise laienhaft verhalten hatten. 250 Milligramm des gefährlichsten Strahlenstoffs der Welt sind alles andere als harmlos. Diese Menge an Plutonium würde allein aufgrund der chemischen Giftigkeitswirkung mehrere Menschen schwer erkranken lassen oder gar umbringen. Noch brisanter ist jedoch die Strahlenwirkung von Plutonium. Hierzulande dürfen Arbeiter innerhalb eines Jahres nicht mehr als 40 Nanogramm Plutonium-239 über die Inhalation aufnehmen. Die obige Menge übertrifft diesen Wert um das 6.250.000fache.

Dieser Zahlenvergleich soll lediglich verdeutlichen, daß 0,25 Gramm Plutonium extrem gefährlich sein können. In dem konkreten Fall des Unfalls in Boulder wurde nicht die gesamte Menge des Pulvers im Labor verteilt, dennoch handelt es sich um einen schwerwiegenden Vorfall.

In einer Presseerklärung des NIST vom 10. Juni hieß es, daß der betroffene Laborraum und ein angrenzendes Labor sofort nach dem Unfall versiegelt wurden. 22 Personen seien unter Quarantäne gestellt worden, bis daß sie untersucht werden konnten, ob sie Plutoniumpulver verschleppt haben. Bei fast allen wurden an den Schuhsohlen oder manchmal an der Kleidung entsprechende Spuren nachgewiesen. Diese wurden beseitigt, bis auf zwei Personen konnten alle nach Hause gehen.

Weitere Untersuchungen ergaben, daß auch ein Flur und ein Büro am Ende des Flurs verseucht waren. Die Spuren wurden beseitigt und die Räumlichkeiten wieder freigegeben. Es habe keine Hinweise darauf gegeben, daß Plutonium außerhalb des Notfallbereichs oder in den Ausgängen nach draußen gelangt ist, hieß es zu dem Zeitpunkt noch. [1]

Drei Tage nach der ersten Presseerklärung gab das NIST bekannt, daß weitere Plutoniumspuren entdeckt wurden. Betroffen war nun ein weiteres Büro und ein Treppenbereich, in denen sich ein Forscher aufgehalten hatte, der am 9. Juni kontaminiert worden war. Nun waren aber auf einmal auch die Schuhsohlen eines Kollegen, der lediglich in jenem Büro gearbeitet hatte, verseucht. Und dieses Büro liegt nicht am selben Flur wie das betroffene Labor. Innerhalb des Büros wurden Plutoniumspuren auf einem Tisch, einem Notebook und einem Bürostuhl, der von dem ursprünglich kontaminierten Forscher benutzt worden war, nachgewiesen. Auch dieses Büro wurde versiegelt. [2] Erst am 26. Juni wurden geringfügige Plutoniumspuren an drei Stellen in einem weiteren NIST-Gebäude, das eine Person aufgesucht hatte, noch bevor der Laborunfall gemeldet worden war, entdeckt. [3]

Die eigentliche Unfallstelle wurde erst mehrere Tage nach dem Vorfall aufgesucht, und es wurde festgestellt, daß das Plutoniumpulver mit Händen und Schuhen an verschiedenen Stellen im Raum verteilt worden war. Außerdem hatte ein Labormitarbeiter erst später gestanden, daß er sich während des Unfalls die Hände in einem Waschbecken gewaschen hatte. Daraufhin alarmierte das Institut die Stadt Boulder und die Mitarbeiter der Abwasserbehandlungsanlagen. Denn das Abwasser aus dem Labor ist in das normale Abwasserleitungsnetz geflossen. [4]

Nur weil etwas durch das dunkle Loch eines Waschbeckenabflusses läuft, bedeutet es nicht, daß es aus der Welt verschwindet. Das von den Händen abgewaschene Plutonium kann sich an einer beliebigen Stelle mit Feuchtigkeit absetzen, und wenn das Wasser verdunstet, kann der Strahlenstoff mit der Luft transportiert werden. Es war also ein schwerer Fehler, sich die Hände zu waschen, wobei zu fragen ist, wieso ein Forschungslabor, in dem mit Plutonium hantiert wird, nicht besser geschützt war. Das ist sicherlich nur eine von vielen brennenden Fragen, die von der zu den Ermittlungen hinzugezogenen Nuclear Regulatory Commission (NRC) gestellt wird.

Später wurde bekanntgegeben, daß die über das Abwasser nach draußen gelangte Plutoniummenge so gering war, daß keine erhöhte Strahlengefahr besteht. Das ist pures Wunschdenken. Denn wenn nicht bekannt ist, welche Mengen insgesamt im Abfluß verschwunden sind, kann man auch keine zuverlässige Aussage über die Gesundheitsgefahr treffen. Sollte das NIST-Gebäude samt Abwasseranlagen in fünfzig, hundert oder tausend Jahren abgerissen werden, existiert das Plutonium noch immer irgendwo, und es strahlt mit der gleichen Intensität wie zuvor. Plutonium-239 hat eine Halbwertszeit von rund 24.000 Jahren. Nach dieser Zeit ist lediglich die Hälfte zerfallen ...

Am 10. Juli veröffentlichte das dem US-Handelsministerium zugeordnete NIST eine Erklärung, die wohl als Entwarnung dienen sollte. Es sei nicht zu erwarten, daß einer der Angestellten ein kurz- oder langfristiges Gesundheitsrisiko von dem Unfall davontrage. Denn "eine kleine Zahl von Personen" hatte das Plutonium als Folge des Unfalls inkorporiert, wie anhand von Urinproben nachgewiesen wurde. Die Personen wurden von Edward Cetaruk vom Health Sciences Center der Universität von Colorado behandelt.

Das maximale Krebsrisiko habe sich aber bei den kontaminierten Personen lediglich um 0,04 Prozent erhöht. Keine Dosis habe vermutlich 400 Millirem (4 Millisievert, mSv) überschritten, bei den meisten Betroffenen lag sie unterhalb von 100 Millirem, teilte der Strahlenmediziner Richard Toohey von den Oak Ridge Associated Universities mit. Das NIST lieferte sogleich einen Vergleich: Die natürliche Hintergrundstrahlung in Boulder, Colorado, betrage nach Einschätzung des National Council 450 Millirem. [5]

In einem Ermittlungsbericht ist die Rede davon, daß das Plutoniumgefäß mit einem Detektor oder Strahlenschutzmaterial zusammengestoßen und zerbrochen war. Die Hauptverantwortung dafür, daß sich das Pulver verteilt hat, liegt bei dem Mitarbeiter, der nicht angemessen reagiert, nicht die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und nicht sofort Alarm geschlagen hat. Vergrößert wurde der Schaden durch das offensichtlich ungenügend auf solche Eventualitäten vorbereitete Personal.

Am 15. Juli berichtete James M. Turner vor dem Subkomitee für Technologie und Innovation des Wissenschafts- und Technologieausschusses des UN-Kongresses über den Vorfall und versicherte, daß umfangreiche Ermittlungen angelaufen seien, um den Vorfall aufzuklären. Außerdem sei bereits eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden, damit sich solch ein Vorfall nicht wiederholt.

Ist der Unfall also letztlich glimpflich geblieben? Man weiß es nicht. Ein einziger Alpha-Zerfall des von den NIST-Mitarbeitern inkorporierten Plutoniums kann bereits Krebs auslösen. Vielleicht würde das nichts an den auf Statistiken beruhenden Meßverfahren ändern, mit denen die Strahlengefahr für die Kontaminierten heruntergerechnet wurde - aber es würde ihr Leben verändern, und zwar hundertprozentig.


*


Anmerkungen:

[1] http://www.nist.gov/public_affairs/releases/plutonium.html

[2] http://www.nist.gov/public_affairs/releases/plutonium.html#10

[3] http://www.nist.gov/public_affairs/releases/plutonium062708.html

[4] http://www.nist.gov/public_affairs/releases/plutonium_061708.html

[5] http://www.nist.gov/public_affairs/releases/nosignificanthealthrisks_071008.html

18. Juli 2008