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ATOM/342: Akw Indian Point - Rohr geborsten, Stillegung gefordert (SB)


Akw-Betreiber in den USA streben Laufzeitverlängerung für ältere Reaktoren an

Fortgesetzte Pannenserie des Akw Indian Point in New York


Welchen Kurs die US-amerikanische Regierung in den nächsten Jahren hinsichtlich der Nuklearenergie fahren wird, ist zur Zeit noch unklar. Einerseits hat die Vorgängerregierung beschlossen, neue Kernkraftwerke zu bauen und die Laufzeiten der bestehenden Reaktoren zu verlängern; auch der jetzige Energieminister Steven Chu spricht sich für neue Akws aus, er begründet dies unter anderem mit ihrer angeblichen Klimafreundlichkeit. Andererseits hat US-Präsident Barack Obama zumindest im Wahlkampf gegen die Pläne seines republikanischen Konkurrenten John McCain, der voll auf die Kernenergie setzte, opponiert. Obama legt ein stärkeres Gewicht auf Erneuerbare Energie, was allerdings Kernenergie nicht ausschließt - zumindest nicht nach der Lesart der Nuklearlobbyisten.

Laufzeitverlängerungen älterer Anlagen sind bereits beschlossene Sache. Wie problematisch diese Entscheidung ist, zeigt das Kernkraftwerk Indian Point in Buchanan nahe New York. Dort wurde festgestellt, daß radioaktives Wasser über einen längeren Zeitraum aus einer durchgerosteten Rohrleitung ausgetreten war. Das hatte niemand bemerkt, weil auch niemand nachgesehen hatte. Die Wartungsarbeiten in Indian Point waren sträflich vernachlässigt worden.

Am 16. Februar hatte ein Arbeiter in einem Gebäude des Reaktors 2 Wasser auf dem Boden entdeckt, schrieb Annie Correal am 1. März für die "New York Times" [1]. Eine Rohrleitung im Notkühlsystem war durchgerostet. Das Wasser enthielt das radioaktive Tritium. Die Leckage wurde wieder geschlossen, aber bis zum Zeitpunkt der Schadensentdeckung waren fast 400.000 Liter Wasser ausgetreten. Das entspricht zehn Prozent dieses sekundären Kühlkreislaufsystems.

Laut der Sprecherin der Nuclear Regulatory Commission (NRC), Diane Screnci, hat keine Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit bestanden, die Menge an Tritium läge weit unterhalb der zulässigen Grenzwerte. Den Angaben zufolge enthielt das Wasser im Durchschnitt 2000 Picocurie jenes radioaktiven Isotops, was einem Zehntel des Grenzwerts für Trinkwasser entspricht.

James F. Stets, Sprecher des Indian Point-Betreibers Entergy Nuclear, erklärte, daß das verrostete Rohr zwei bis drei Meter tief in der Erde liegt. Es gebe gar nicht die Möglichkeit festzustellen, wann es ersetzt werden müsse. Ungeachtet dessen teilte er mit, daß das Unternehmen freiwillig andere Rohrleitungen ähnlicher Art inspizieren wird. Das kann jedoch nicht beruhigen, denn auch wenn die radioaktive Belastung in diesem Fall zu vernachlässigen ist, so bringt der Vorfall an sich in Erinnerung, daß mit verlängerten Laufzeiten die Gefahr von Unfällen wächst.

Indian Point liefert bislang rund 25 Prozent der elektrischen Energie für New York City und Westchester County. Die Betriebserlaubnis endet 2013 für Reaktor 2 und 2015 für Reaktor 3. Der Betreiber strebt eine Verlängerung des Betriebs an. Allerdings blickt das Kernkraftwerk auf eine Reihe von Störfällen zurück. Schon im Oktober 1980, sieben Jahre nach der Inbetriebnahme des Reaktors 2, waren in dem Reaktorgebäude rund 400.000 Liter radioaktives Wasser ausgelaufen. 1993 flossen 3400 Liter radioaktiv kontaminiertes Wasser in den Hudson, und im Mai 1994 räumte der damalige Betreiber Con Edison ein, daß in den zurückliegenden vier Jahren täglich 500 bis 600 Liter radioaktives Wasser in den Hudson entwichen waren. Im Juni 1994 brach eine Rohrleitung im Untergrund des Reaktors 3; dabei flossen mehr als 6000 Liter radioaktives Wasser in den Hudson.

Im Jahr 2000 wurde Indian Point 2 von der NRC der zweifelhafte Titel des "störanfälligsten Kernkraftwerks des Landes" verliehen. In jenem Jahr stand der Reaktor die meiste Zeit still, nachdem ein Dampfdruckrohr geborsten war und radioaktive Substanzen entwichen waren. [2] Die größte Tritiumleckage wurde 2005 entdeckt. Man fand auf dem Gelände zunächst radioaktiv verseuchtes Erdreich. Aus einem Abklingbecken des 1974 geschlossenen Reaktors 1 war Wasser ausgetreten. Ein Teil des Wassers stammte auch von einem Abklingbecken des Reaktors 2.

Indian Point hat nicht mehr viele Anhänger. Der Betreiber strebt eine Laufzeitverlängerung für die Reaktoren 2 und 3 um zwanzig Jahre an, wohingegen der Generalstaatsanwalt und die Umweltschutzbehörde New Yorks eine Schließung verlangen. Auch die Bürgerinitiative Riverkeeper, die sich dem Schutz und der Bewahrung des Hudsonflusses verpflichtet hat, fordert eine Stillegung des Kernkraftwerks. Deborah Brancato, Anwältin der Initiative, meint, daß das jetzt entdeckte Leck die Frage aufwirft, ob das Programm zum Alterungsmanagement überhaupt geeignet sei, solche Probleme zu vermeiden oder auch nur zu entdecken.

Ein im vergangenen Jahr vom Betreiber eingesetztes zwölfköpfiges Expertengremium war jedenfalls der Ansicht, daß das Kernkraftwerk sicher ist. Allerdings sei das Verhältnis zur Bevölkerung "ungesund", und einige Stellen des Geländes seien so heruntergekommen, daß dadurch das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttert werde, hieß es in dem Bericht, den sich der Betreiber vier Millionen Dollar hat kosten lassen. [3]

Die damaligen Erklärungen des Gremiums klingen heute, da nach vier Jahren abermals ein beachtliches Tritiumleck entdeckt wurde, zynisch. In vielen Bereichen könne Indian Point mit den "allerbesten Anlagen" des Landes mithalten, hatte es geheißen. Die NRC scheint keine Einwände gegen eine Laufzeitverlängerung für Indian Point zu haben - aber die NRC ist auch das "Schoßhündchen" der Nuklearindustrie, wettert Karl Grossman, Professor an der Staatsuniversität von New York, gegen die Laufzeitverlängerungen. [4] Man stelle sich vor, mit einem 60 Jahre alten Auto über die Autobahn zu brettern, verglich er die Idee, die ältesten Kernkraftwerke der USA 20 Jahre (oder gar 40 Jahre, wie auch schon gefordert wurde) länger laufen lassen zu wollen.

Selbst der Kernenergiebefürworter William Tucker hat sich öffentlich gegen den Weiterbetrieb von Indian Point ausgesprochen - wenngleich aus anderen Gründen als Grossman oder die Organisation Riverkeeper. [5] Er befürchtet, daß die gesamte Nuklearindustrie in Mißkredit gerät, sollte in Indian Point ein Unfall geschehen. Tucker hat das Buch "Terrestrial Energy: How Nuclear Power Will Lead the Green Revolution and End America´s Long Energy Odyssey" geschrieben und darin die Kernkraft für unverzichtbar erklärt. Ehemalige Arbeiter aus der Nuklearindustrie hätten ihm gegenüber ihre tiefe Sorge zum Ausdruck gebracht, daß es in älteren Reaktoren wie Oyster Creek und Indian Point zu einen Unfall kommt, der dem Ruf der Branche schade. Sie befürworteten den Bau neuer Anlagen.

Gegenwärtig liegen der NRC Anträge für den Bau von 26 neuen Kernkraftwerken vor. Was davon verwirklicht wird und in welchem Zeitraum, sind nur einige der Unsicherheiten über die Zukunft der US-amerikanischen Energieversorgung. Eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke wäre nur dann eine relativ preisgünstige (da die Anlage nun mal steht) und klimafreundliche (da keine neue gebaut werden muß) Option, wenn es zu keinen Unfällen kommt. Genau das kann jedoch niemand garantieren, wie das Beispiel der durchgerosteten Rohrleitung im Untergrund des Akw Indian Point beweist.


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Anmerkungen:

[1] "Indian Pt. Broken Pipe Spurs Safety Worries", New York Times, 1. März 2009
http://www.nytimes.com/2009/03/01/nyregion/westchester/01nukewe.html?scp=5&sq=indian point&st

[2] http://www.nypirg.org/enviro/indianpt/timeline.html

[3] "Expert Panel Concludes Indian Point Nuclear Plant Is Safe, but a Little Untidy in Spots", New York Times, 1. August 2008
http://www.nytimes.com/2008/08/01/nyregion/01nuke.html

[4] "Time to Abolish the NRC? A Radioactive Extension for Aging Nuclear Plants", Karl Grossman, Counterpunch.org, 13. April 2009
http://www.counterpunch.org/grossman04132009.html

[5] "To Save The Nuclear Industry, Shut Down Indian Point", William Tucker, 9. April 2009
http://www.infrastructurist.com/2009/04/09/to-save-the-nuclear-industry-shut-down-indian-point/

6. Mai 2009