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ATOM/395: Japans Regierung hält Kurs bei ... kein grundlegender Abschied von der Atomenergie (SB)


Neueste Erkenntnis, wieder einmal: Schäden am Akw Fukushima Daiichi schwerwiegender als behauptet


Der Umgang mit der Nuklearkatastrophe von Fukushima zeigt, daß die japanische Gesellschaft über weit entwickelte Bestandskräfte verfügt, was konkret bedeutet, daß sich die der Strahlung ausgesetzten Menschen relativ klaglos in das vermeintlich für sie vorgesehene Schicksal fügen. Einige ältere Einwohner gehen sogar so weit, sich freiwillig für die Arbeit in dem havarierten Akw Fukushima Daiichi zu melden, um etwas für die jüngeren Mitglieder der Gesellschaft zu tun, obgleich sie wissen, daß sie nicht nur körperliche Schäden davontragen können, sondern aufgrund ihrer Verstrahlung womöglich auch sozial ausgegrenzt werden.

Unterdessen hält die Regierung an ihrem von Anfang an eingeschlagenen Kurs fest, die Lage zu beschönigen und schlechte Nachrichten nur scheibchenweise und in der Regel nur im Zusammenhang mit guten Botschaften zu verbreiten. So werden zwar die havarierten Reaktoren zwecks Kühlung Tag für Tag mit vielen Kubikmetern Wasser gefüllt, aber oh Wunder, die Reaktorgehäuse laufen einfach nicht voll. Erst jetzt, nach der Inbetriebnahme eines Meßfühlers, will man festgestellt haben, daß der "Eimer" wohl ein Loch hat, sprich: Reaktor 1 ist undicht [1].

Das Akw gibt nach wie vor gewaltige Mengen verstrahlten Wassers an die Umwelt ab, und das Ausmaß der Kernschmelze ist größer als bislang behauptet. Inzwischen warnen Experten wieder vermehrt vor einer Explosion, sollten die freiliegenden, ungekühlten Brennelemente vollständig geflutet werden, wie es Pläne des Betreibers Tepco vorsehen [2]. Ein Teil der Schmelze hat anscheinend das Reaktorgehäuse einbezogen und ein Loch hineingeschmolzen, so daß das Kühlwasser abfließen kann, vielleicht "nur" seitlich hinaus, vielleicht aber auch nach unten.

Obgleich bei Messungen weit außerhalb der 20 bis 30 Kilometer um das Akw herum gezogenen Sicherheitszone Strahlenwerte registriert wurden, die denen der heißen Zonen aus dem Tschernobyl-GAU gleichkommen, vermeidet die japanische Regierung die für das Wohl der Anwohner notwendige Konsequenz, die Sicherheitszone auszudehnen. Premierminister Naoto Kan hat angekündigt, daß das auf einer hochaktiven tektonischen Bruchzone errichtete Akw Hamoaka in Zentraljapan abgeschaltet werden muß [3], aber die Entscheidung ist so wenig unumkehrbar wie der deutsche Atomausstieg. Eigentlich sollte man angesichts der Verstrahlung weiter Landesteile und der Küstengewässer erwarten, daß sich Japan vollständig vom Atomstrom verabschiedet, aber die Regierung nimmt nur ihre bereits gefaßten Ausbaupläne für die Atomenergie zurück und will das Wirtschaftswachstum stärker mit erneuerbaren Energieträgern bestreiten. Da bleiben noch viele Atomkraftwerke viele Jahre am Netz. Auch ein Neubau von Atomkraftwerken, die von den Herstellern selbstverständlich als viel sicherer bezeichnet würden, sollte nicht ein für alle Mal ausgeschlossen werden.

Die Wachstumsideologie, auf deren Grundlage der Energiebedarf Japans
im Zuge der Industriealisierung stieg, woraufhin über 50
Atomkraftwerke gebaut wurden, wird von der Regierung schon gar nicht
in Frage gestellt. Einer der führenden Industriestaaten der Welt
bleibt auf seinem kapitalistischen Wachstumskurs. Atomkraftwerke sind
faktisch nicht versicherbar, zu hoch wären die Kosten, lautet das
Ergebnis einer neuen Studie, die vom Bundesverband Erneuerbare
Energie (BEE) in Auftrag gegeben und von den Versicherungsforen
Leipzig GmbH ausgeführt wurde. Doch auch wenn die Akws nicht
versicherbar sind, müssen die Schäden, die sie anrichten, von der
Gesellschaft getragen werden. So wird jetzt dem japanischen
Akw-Betreiber Tepco vom Staat mit zunächst 43 Mrd. Euro aus der
Patsche geholfen - alles bezahlt von den Steuerzahlern, die später,
wenn Tepco die Summe Stück für Stück zurückzahlen soll, ein weiteres
Mal zur Kasse gebeten werden, da ihnen aller Voraussicht nach höhere
Strompreise abverlangt werden.

Quellen:
[1] "Es muss ein großes Loch geben", Süddeutsche, 12. Mai 2011

http://www.sueddeutsche.de/panorama/atomkatastrophe-in-fukuhima-es-muss-ein-grosses-loch-geben-1.1096794

[2] "Experten warnen vor Explosion in AKW Fukushima", Die Welt, 12. Mai 2011
http://www.welt.de/vermischtes/article13368802/Experten-warnen-vor-Explosion-in-AKW-Fukushima.html

[3] "Weiteres AKW heruntergefahren. Japan gibt Tepco Milliarden", n-tv, 13. Mai 2011
http://www.n-tv.de/panorama/Japan-gibt-Tepco-Milliarden-article3321716.html

13. Mai 2011