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ATOM/400: Verstrahlung wächst - Japans Regierung will Einwohner beruhigen (SB)


Japan will Atomkraftwerke schnell wieder ans Netz nehmen

Und Akw-Befürworter George Monbiot demonstriert seine Unkenntnis


Einen trefflicheren Vorwand zur Legitimation von Atomkraftwerken, als sie einem Streßtest zu unterziehen, läßt sich kaum vorstellen. Das hat anscheinend auch die japanische Regierung erkannt. Sämtliche Atomkraftwerke des Landes sollen eingehend überprüft werden, meldete Zeit online [1] unter Berufung auf die Nachrichtenagentur Kyodo. Eines muß man dem japanischen Industrieminister Banri Kaieda, der die Streßtests ankündigte, lassen, er hält mit der Absicht nicht hinter dem Berg: Den Bürgern soll die Sorge über die Sicherheit der Akw genommen werden.

Nachdem die Regierung vor kurzem einen Bruchteil der strahlenbelasteten Regionen, die weit außerhalb der 30-Kilometer-Sicherheitszone rund um den havarierten Nuklearkomplex Fukushima Daiichi mit seinen sechs atomaren Meilern und Zwischenlagern liegen, zur Evakuierung anempfohlen hat, scheint es mal wieder Zeit für Beruhigungspillen. Zumal die wegen einer Inspektion abgeschalteten Akw - derzeit laufen nur 19 der 54 Kernkraftwerke - zügig wieder angefahren werden sollen, um den sommers wegen der vielen Klimaanlagen wachsenden Energiebedarf zu stillen.

Die angekündigten Streßtests sollen zwar über die üblichen Sicherheitsinspektionen hinausgehen, ein unbedarfter Laie könnte sich allerdings an dieser Stelle fragen, ob nicht nach dem schwersten Erdbeben in der japanischen Geschichte und dem gewaltigen Tsunami am 11. März dieses Jahres jede Inspektion über das gewöhnliche Maß hinausgehen sollte. Von einer üblichen Sicherheitsinspektion kann doch wohl nicht die Rede sein nach solch einer Verheerung, die ja abgesehen von Fukushima Daiichi zu Störungen in weiteren Akw geführt hat.

So drängt sich der Verdacht auf, daß die japanische Regierung eine Selbstverständlichkeit zu einer herausragenden Maßnahme erklären will, was insofern pervers ist, als daß hiermit impliziert wird, man hätte auch laxere Inspektionen durchführen können, bei denen nicht gewissenhaft nach möglichen Erdbebenschäden gesucht worden wäre.

Unterm Strich bleibt somit zu konstatieren, daß die japanische Regierung die Bevölkerung beruhigen will. Warum eigentlich? Warum soll eine Bevölkerung immer beruhigt werden? Warum wird sie immer als eine Manövriermasse angesehen, die mal hierhin und mal dahin gelenkt wird? Warum nicht mal die Bevölkerung beunruhigen? Das enthöbe sie zwar noch immer nicht von dem Umstand, der administrativen Verfügungsgewalt ausgeliefert zu sein, aber es wäre dem seit über drei Monaten währenden Geschehen rund um den dreifachen Super-GAU von Fukushima Daiichi durchaus angemessen. Die auf Besänftigung der Gemüter zielenden Erklärungen seitens der japanischen Regierung hingegen stehen im eklatanten Widerspruch zur zunehmenden Ausbreitung der Radioaktivität im Meer, Grundwasser und in Gebieten außerhalb der Sicherheitszone.

Das Ergebnis der geplanten Streßtests durch die Nuklearlobby läßt sich weitgehend vorwegnehmen: Eingedenk der Schwere des Erdbebens und der Höhe des Tsunamis sind ein paar Sicherheitsmaßnahmen erforderlich, aber die meisten Atomkraftwerke können im Prinzip weiterbetrieben werden. Sofern sie nicht wie Fukushima Daiichi zu einer älteren Baureihe (ab 1971) gehören, sondern beispielsweise zu der des nur zwölf Kilometer davon entfernt liegenden Akw Fukushima Daiini, das ab dem Jahr 1981 errichtet wurde. Befürworter der Atomkraft wie der für die britische Zeitung "The Guardian" schreibende George Monbiot, deuten die ausgebliebene Katastrophe beim Akw Fukushima Daiini als Beweis für die technologische Sicherheit von Atomkraftwerken. Allerdings bestehen schwerwiegende Zweifel an Monbiots Sachverstand, denn er behauptet, daß die Endlagerfrage eigentlich kein Problem sei, schließlich hole man das Uran aus der Erde und tue es lediglich wieder dorthin [1].

Offenbar weiß Monbiot nicht, daß erstens nur bestimmte Urananteile aus dem Natururan verwendet werden, zweitens daß das Uran angereichert werden muß, bevor es zu einem Brennstab verarbeitet wird, und drittens beim Abbrand jede Menge Transurane entstehen, die in der Natur nicht vorkommen und viel gefährlicher sind als Uran. In Atomkraftwerken kommt es also zu einer massiven Aufkonzentration und Intensivierung der Radioaktivität. Wie gut, daß Monbiot nur ein Schreiberling ist und ihm nicht die Kontrolle über Atomkraftwerke obliegt, ansonsten müßte man sich noch mehr Sorgen über deren Betrieb machen als sowieso schon.

Fußnoten:

[1] Wörtlich schreibt Monbiot:
"Even if we assume that we'll want to get rid of them [SB: gemeint ist der Atommüll], rather than use them as a valuable fuel, the claim that it's unsafe to put fissile materials underground is inexplicable. Isn't that where they came from? Why is it less safe to leave uranium several thousand metres below the surface, encased in lead, backfilled with bentonite and capped with concrete than it is to leave it, as nature did, scattered around the planet, just beneath the surface?"

Zitiert nach:
"The nuclear industry stinks. But that is not a reason to ditch nuclear power", The Guardian, 4. Juli 2011
http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2011/jul/04/nuclear-industry-stinks-cleaner-energy

6. Juli 2011