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ATOM/403: Nach dem Fukushima-GAU - Sellafield MOX-Fabrik wird geschlossen (SB)


Keine Aufträge für Sellafield MOX-Fabrik aus Japan

Britische Regierung schließt Investitionsruine und plant bereits an der nächsten


Eine der größten Fehlinvestitionen der britischen Atomwirtschaft soll dem Steuerzahler nicht weiter auf der Tasche liegen und zügig beseitigt werden: Die Mischoxid-Brennelementefabrik in Sellafield. So weit, so gut. Doch soll nun ersatzweise eine weitere Fehlinvestition getätigt und eine neue Mox-Fabrik gebaut werden, um die geplanten acht neuen Atomkraftwerke des Landes mit Nuklearbrennstoff zu versorgen.

Das ursprüngliche Konzept wirkte - vom Standpunkt der britischen Regierung aus betrachtet - genial: Über Jahrzehnte hinweg hatte sich die weltweit größte Menge an Plutonium aus der zivilen Atomwirtschaft angesammelt und nun hatte man sowohl einen Weg, wie man den hochgefährlichen Strahlenstoff erneut als Brennmaterial verwenden konnte, als auch einen bedeutenden Abnehmer gefunden, nämlich Japan. Das Erdbeben und der Tsunami vom 11. März dieses Jahres haben jedoch der japanischen Atomwirtschaft einen schweren Schlag versetzt. Im Atomkraftwerk Fukushima ereignete sich ein mehrfacher GAU, und ausgerechnet einer der havarierten Meiler (Nr. 3) war im vergangenen Jahr unter anderem mit MOX-Brennstoff auf Großbritannien beladen worden. Dieser enthielt sechs Prozent Plutonium, der gefährlichste aller radioaktiven Stoffe, dessen Halbwertszeit in Jahrzehntausenden gerechnet wird. Zudem hat die japanische Regierung den bis dahin wichtigsten Abnehmer für britische MOX-Brennelemente, das Akw Hamaoka, geschlossen, da es ausgerechnet oberhalb von zwei tektonischen Bruchlinien gebaut worden war. Experten prognostizieren, daß es dort innerhalb der nächsten 30 Jahre mit einer 87prozentigen Wahrscheinlichkeit zu einem Erdbeben der Stärke 8 und einem Tsunami vergleichbar mit dem vom 11. März kommen wird.

Japan hat die MOX-Verbrennung eingestellt, nun ist die britische Fabrik noch nutzloser als sowieso schon. Die Sellafield Mixed Oxide Plant (SMP) soll so schnell wie möglich geschlossen werden, erklärte am Mittwoch vergangener Woche die mit der Stillegung befaßte Behörde NDA (Nuclear Decommissioning Authority), die wiederum den Betrieb der Anlage der Gesellschaft Nuclear Management Partners Sellafield Ltd. übertragen hat [1]. 1,34 Mrd. brit. Pfund (1,54 Mrd. Euro) hat die Anlage bis jetzt den britischen Steuerzahler gekostet.

Die Geschichte der Mox-Fabrik ist eine der Pleiten, Pech und Pannen. Dessen ungeachtet wird erwogen, eine neue MOX-Fabrik zu errichten, und zwar erneut am Nuklearkomplex Sellafield. Das schüfe 600 Arbeitsplätze und kostete womöglich sechs Mrd. Pfund (6,9 Mrd Euro) [2]. Örtliche Politiker wie der Labour-Abgeordnete Jamie Reed - ein ehemaliger Sellafield-Angestellter - und die Gewerkschaften befürworten den Bau, wohingegen das örtliche Nuclear Free Local Authorities Secretariat (NFLAS) vorschlägt, keine neue Fabrik zu errichten und statt dessen die freiwerdenden Arbeitskräfte beim Rückbau weiterer Nuklearanlagen auf dem Sellafieldgelände einzusetzen [3]. Darüber hinaus solle die Regierung nach Lösungen suchen, wie das waffenfähige Plutonium unschädlich gemacht und gelagert werden könne, anstatt es in den Umlauf zu bringen.

Bei der Planung der MOX-Fabrik habe es geheißen, in ihr könnten jährlich bis zu 120 Tonnen Nuklearbrennstoff verarbeitet werden. Während ihrer gesamten Betriebszeit von acht Jahren seien es nur 13,8 Tonnen gewesen, merkte das NFLAS an. Außerdem müsse bedacht werden, daß die Wiederaufbereitungsanlage einer der entscheidenden Gründe ist, weswegen es ständig Streit mit der irischen Regierung über die radioaktiven Einleitungen in die Irische See gibt. Nicht zuletzt kritisiert das Sekretariat, daß waffenfähiges Plutonium über viele tausend Kilometer transportiert werden muß. Gegenwärtig befände sich eine Lieferung auf dem Weg nach Japan, was die Regierungen der Karibik, durch die der Nukleartransport führt, kritisierten.

Am heutigen 8. August will das NFLAS ein Alternativkonzept zur Atompolitik vorstellen. Das sieht unter anderem den Ausbau eines Mix an regenerativen Energien, die Schaffung eines dezentralen Energiemarkts und die Einführung von Energie-Effizienzprogrammen vor. Alles in allem würde soviel Energie erzeugt, daß keine neuen Atomkraftwerke gebaut werden müßten.

Sollte die britische Regierung beschließen, die alte MOX-Fabrik stillzulegen, aber an ihrer statt eine neue bauen, die auf Nuklearmaterial zugeschnitten wäre, das in einer neuen Akw-Generation innerhalb Großbritanniens verbrannt würde, würde das die britischen Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Nicht allein wegen der MOX-Fabrik, sondern auch wegen der neuen Atomkraftwerke, wie die jüngsten Beispiele für kostenverschlingende Akw-Neubauten in Frankreich und Finnland beweisen.

Gegenüber Atomkraftwerken stellen Technologien zur Nutzung sogenannter regenerativer Energien nicht wirklich ein Gegenmodell dar oder, anders gesagt, eben weil sie häufig als Gegenmodell definiert werden, weisen sie mehr Gemeinsamkeiten mit der Atomtechnologie auf, als sich manche Apologeten der Regenerativen eingestehen wollen. Atomkraftwerke sind das Spitzenprodukt einer herrschaftsförmigen technologischen Entwicklung, da die generierte elektrische Energie zentralistisch produziert und verteilt wird und nur mit einem extrem hohen Maßes an Sicherheitsanforderungen genutzt werden kann. Da werden die Herrschaftsinteressen sowohl des Staates als auch der Wirtschaft trefflich bedient. In beiden gesellschaftlichen Bereichen besteht Interessensgleichheit hinsichtlich der Ausübung der Verfügungsgewalt, wobei der von Robert Jungk aufgebrachte, griffige Terminus "Atomstaat" zwar aus der Ablehnung der Atomtechnologie entstanden ist, aber die an ihm kritisierten Sicherheits- und Verfügungsstrukturen könnten im Prinzip auch mit anderen Energietechnologien in Stellung gebracht werden.

Fußnoten:

[1] "UK to Close Sellafield Mixed Plutonium-Uranium Fuel Plant", Environment News Service (ENS), 5. August 2011
http://www.ens-newswire.com/ens/aug2011/2011-08-05-01.html

[2] "Shadow over Sellafield", The Independent, 9. Mai 2011
http://www.independent.co.uk/environment/closure-of-japanese-plant-casts-doubt-on-viability-of-sellafields-mox-operation-2281141.html

[3] "Sellafield MOX plant closure - the closure of one white elephant should not be followed by developing another one", Presseerklärung des Nuclear Free Local Authorities Secretariat (NFLAS), 4. August 2011
http://nfznsc.gn.apc.org/docs/news/NFLA_Sellafield_MOX_plant_closure.pdf

8. August 2011