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GENTECHNIK/303: Breite Kampagne der indischen Regierung gegen NGOs trifft auch Greenpeace (SB)


Greenpeace India von Regierung stillgelegt

"Ein weiterer schlechter Tag für Indiens Demokratie"


Das indische Innenministerium hat die Umweltorganisation Greenpeace aufgefordert, ihre Aktivitäten in dem Land binnen eines Monats einzustellen. Anlaß sind mutmaßliche Betrügereien und Steuerbetrug. Greenpeace India weist die Vorwürfe zurück und hat angekündigt, Klage gegen die Rücknahme der Zulassung einzureichen. Vinuta Gopal, Leiterin der örtlichen Greenpeace-Vertretung, kommentierte die Vorgänge mit: "Heute ist ein weiterer schlechter Tag für Indiens Demokratie". [1]

Selbst wenn sich die vom Bundesstaat Tamil Nadu ausgehenden Vorwürfe gegen die Umweltorganisation als zutreffend erweisen sollten - was allein schon wegen der massiven Kampagne der indischen Regierung gegen Tausende NGOs Zweifel weckt -, stellt sich die Frage nach der Angemessenheit der Strafe. Ein Wirtschaftsunternehmen müßte jedenfalls nicht sofort die Koffer packen, wenn ihm ähnliche Vergehen vorgeworfen würden.

Nun soll eine Nichtregierungsorganisation, die verschiedentlich mit der Regierung aneinandergeraten ist und deswegen Repressionen ausgesetzt war, ihre Tätigkeit ganz und gar einstellen. Das riecht meilenweit gegen den Wind nach politischer Zensur. Bereits im vergangenen Jahr, nach Amtsantritt von Premierminister Narendra Modi, bezichtigte dieser ausländische Nichtregierungsorganisationen, sie wollten Indiens Entwicklung behindern. Noch im selben Jahr wurde Greenpeace India untersagt, weiterhin ausländische Hilfsgelder anzunehmen, weil sie angeblich dafür eingesetzt würden, Industrieprojekte zu behindern.

Der Vorgang ist um so bemerkenswerter, als daß sich Indien gern als größte Demokratie der Welt bezeichnet und zu den aufstrebenden Ländern zählt. Erfahrungsgemäß wird wirtschaftliches Wachstum mit Umweltschäden rechts und links des Weges erkauft. So auch auf dem Subkontinent. Premierminister Modi von der hindunationalistischen BJP (Bharatiya Janata Party) betreibt eine neoliberale Wirtschaftspolitik, was darauf hinausläuft, daß in der Regel der Industrie Vorrang vor den Gesundheits- oder Umweltbedenken der Menschen eingeräumt wird. Das betrifft sämtliche gesellschaftlichen Streitfelder, so auch die, auf denen sich Greenpeace engagiert hat, angefangen von der Atomenergie über den geplanten Abbau von Kohle in einem wertvollen Waldgebiet bis zur Giftmüllbeseitigung und Einführung der Grünen Gentechnik.

Bezeichnenderweise wird das Aus für Greenpeace zu einer Zeit erzwungen, in der Bauernorganisationen und Nichtregierungsorganisationen gegen das Anlegen von Versuchsfeldern mit gentechnisch verändertem Senf protestieren. Wo sich diese Felder befinden, wird vom zuständigen Genetic Engineering Appraisal Committee (GEAC) wegen der "Geschäftsinteressen einer dritten Partei" verschwiegen. Damit verstößt das Komitee jedoch gegen eine Entscheidung des Obersten Gerichts aus dem Jahr 2008, wonach die Öffentlichkeit über die Einzelheiten landwirtschaftlicher Felder zur Bestimmung der Produktsicherheit informiert sein sollte, noch bevor die Versuche genehmigt werden, schreibt die Website DNA. [2]

In Indien haben sich zahlreiche, teilweise sehr große Protestbewegungen gebildet, beispielsweise gegen den Bau des Atomkraftwerks Kudankulam im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu, wo Greenpeace India registriert ist. Dennoch bleiben selbst solche Auseinandersetzungen meist regional begrenzt. [3]

Hier hat Greenpeace India mit seiner internationalen Anbindung bereits angefangen, eine Rolle zu übernehmen, die diese Lücke schließt. Wenn eine Regierung etwas befürchten muß, dann ist es der landesweite Zusammenschluß von Protestbewegungen, dem es womöglich gelingt, den gemeinsamen Charakter der verschiedenen Streitthemen deutlich zu machen. Nämlich daß örtliche Bevölkerungen fast immer mit der Durchsetzung der administrativen Verfügungsgewalt gegen ihr Lebens- und Überlebensinteresse konfrontiert sind und daß die Behauptung seitens der Regierung, es ginge um das Gemeinwohl, das nun qua höheren Rechts durchgesetzt werden müsse, den Umstand verschleiert, daß die Gesellschaft hierarchisch strukturiert ist und extrem disparate Verhältnisse aufweist. Damit ist nicht allein das indische Kastenwesen gemeint. Weltweit besitzt ein Prozent der Erwachsenen mehr als 40 Prozent des Vermögens. [4] Und das Vermögen ist wiederum eng an gesellschaftliche Einflußmöglichkeit gekoppelt. Von Gemeinwohl kann keine Rede sein, wenn der Privatisierung das Zepter in die Hand gegeben wird.

Die Modi-Regierung hat in den letzten Monaten die Zulassung von fast 9.000 NGOs gestrichen, denen vorgeworfen wird, keine Angaben zu Spenden aus dem Ausland gemacht zu haben. [5]

Da sich ein Teil der Aktivitäten von Greenpeace gegen die Einführung gentechnisch veränderter Organismen und somit auch gegen Pflanzen für die menschliche Ernährung richtet, wäre es interessant zu erfahren, wie sich das deutsche Bundesamt für Risikoforschung (BfR) die Zusammenarbeit mit den indischen Behörden vorstellt. Auch wenn es wohl Zufall ist, daß nur einen Tag nach Abschluß der Kooperationsvereinbarung des BfR mit der indischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Food Safety and Standards Authority of India - FSSAI) (5.11.2015) zwecks "Harmonisierung von wissenschaftlichen Konzepten zur Lebensmittelsicherheit" Greenpeace India mitgeteilt wird, es müsse seine Tätigkeit einstellen, könnte man die provokante Frage stellen, ob das jetzt bedeuten soll, daß unliebsame Stimmen auf dem Gebiet der Lebensmittelsicherheit demnächst auch in Deutschland zum Schweigen gebracht werden sollen. [6]

Sicherlich, das klingt zunächst sehr übertrieben, zumal Deutschland und Indien unterschiedliche gesetzgeberische Voraussetzungen mitbringen. Das BfR bekennt sich zwar zur Neutralität, aber darüber, was das bedeutet, herrschen manchmal unterschiedliche Einschätzungen vor. Das zeigt das aktuelle Beispiel der Risikobewertung des Pestizids Glyphosat, zu dem das BfR eine Neubewertung für die EU vorgelegt hat. Grundlage der Bewertung waren aber nicht zuletzt Untersuchungsergebnisse seitens der Hersteller, wohingegen manche anerkannte Studien, die Zweifel an der Sicherheit des Produkts aufkommen lassen, nicht berücksichtigt oder als wenig bedeutsam eingestuft wurden. So geriet das BfR in Verdacht, eine wirtschaftsnahe Bewertung von Glyphosat abgegeben zu haben, ein Vorwurf, der von der Behörde zurückgewiesen wurde.

Die Frage ist jedoch, ob nicht die Schikanen der indischen Regierung gegen die gentechnikkritische Organisation Greenpeace und das Ignorieren der für die Gentechnikindustrie unvorteilhaften Studienergebnisse durch das BfR der gleichen Einstellung entspringen.

Glyphosat ist das mit Abstand am meisten eingesetzte Pestizid beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, gegen die sich in Indien eine breite Bewegung formiert hat. Theoretisch könnte Greenpeace India (oder eine andere landesweit tätige, international vernetzte Umweltorganisation) eine Brückenfunktion erfüllen, indem sie den einzelnen Protestbewegungen eine laute Stimme verleiht, die dann auch in der Hauptstadt Neu Delhi nicht überhört werden würde.

Die Kampagne der indischen Regierung gegen Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace richtet sich prinzipiell gegen die Chance, innerhalb der Gesellschaft oder ohne sie einen anderen Lebensentwurf zu verfolgen als den vorgegebenen, der darauf abzielt, die Ausbeutbarkeit des Menschen sicherzustellen. Die Einwohnerinnen und Einwohner Indiens sollen sich radioaktiv verstrahlen lassen, potentiell gesundheitsgefährdende Nahrung zu sich nehmen und auf ihren natürlichen Lebensraum verzichten zugunsten einer Mensch, Mit- und Umwelt bis aufs Mark verwertenden Entwicklung, die als "Fortschritt" verkauft wird. Weil das nicht unbedingt dem Fortschrittsmodell entspricht, das sich Bürgerinitiativen, Protestbewegungen und Organisationen wie Greenpeace wünschen, versucht die indische Regierung, sich sämtlicher Kräfte, die in irgendeiner Form auf diesen Widerspruch aufmerksam machen, zu entledigen.


Fußnoten:

[1] http://www.greenpeace.org/india/en/Blog/Campaign_blogs/today-is-another-bad-day-for-indian-democracy/blog/54682/

[2] http://www.dnaindia.com/india/report-regulators-hiding-trials-data-on-gm-mustard-2142083

[3] Näheres dazu unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT
BERICHT/107: Am Beispiel Indien - tradierte Vergeblichkeit ... (SB)
Teil 3: Widerstand gegen das Atomkraftwerk Kudankulam im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0107.html

[4] http://de.statista.com/infografik/2857/verteilung-des-privatvermoegens-weltweit/

[5] http://www.bangkokpost.com/news/environment/756900/indis-shuts-down-greenpeace

[6] http://www.bfr.bund.de/de/presseinformation/2015/33/gemeinsam_mit_indien_fuer_mehr_lebensmittelsicherheit-195522.html

9. November 2015


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