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GENTECHNIK/305: CRISPR-Cas9 - von Pflanzen- und Menschenzüchtung (SB)


Die Gesellschaft schafft sich die Menschen, die sie haben will ...

Die bisherige Ununterscheidbarkeit der Resultate aus der klassischen Züchtung von denen neuartiger Züchtungsforschung wie CRISPR-Cas9 beweist nicht etwa deren Harmlosigkeit, sondern einen offensichtlichen Mangel im wissenschaftlichen Grundverständnis. Ihn zu akzeptieren sind jedoch die gesellschaftlich vorherrschenden Interessen viel eher bereit als zu einem kategorischen Nein gegenüber Eingriffen nicht allein in das pflanzliche, sondern auch tierische und menschliche Erbgut.


Von Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden, wissenschaftlichen Einrichtungen, Behörden und Politik sowie anderen Interessierten wird zur Zeit eine Debatte über die Frage geführt, ob eine neue mikrobiologische Methode mit der sperrigen Bezeichnung CRISPR-Cas9 als Gentechnik anzusehen sei oder nicht. Wenngleich diese Kontroverse im Raum steht, gehen wissenschaftliche Institutionen längst daran, mittels dieses Ansatzes auch an der menschlichen Keimbahn "herumzudoktern". [1]

Die genaue Zuordnung von CRISPR-Cas9 wird für die sogenannte Grüne Gentechnik folgenschwer sein, denn daran bemißt sich, ob das Inverkehrbringen entsprechend erzeugter Organismen nach dem Gentechnikgesetz geregelt wird oder weitgehend frei von seinen Beschränkungen bleibt. Im Rahmen der Diskussion werden relevante Bestimmungen wie beispielsweise das deutsche Gentechnikgesetz, die europäische Richtlinie 2001/18/EG, das völkerrechtliche Cartagena Protokoll und dessen Umsetzung in der europäischen Verordnung (EG) Nr. 1946/2003 analysiert und bewertet, um die eigene Rechtsauslegung zu untermauern.

Noch viel schwerer wiegt jedoch, daß auch und gerade der Roten Gentechnik, die für mikrobiologische Eingriffe am menschlichen Erbgut steht, mit CRISPR-Cas9 ein potentes Werkzeug an die Hand gegeben wird. Damit scheint es machbar zu werden, Menschen zu schaffen, die weniger krankheitsanfällig sind, somit mehr leisten und für die Gesellschaft von größerem Wert sind als natürlich entstandene Menschen ohne solche genetische Manipulation. Die Weichen für diese Art der Forschung werden hier und heute gestellt, wobei manche Kritiker wie auch Befürworter der Forschung manchmal mehr gemeinsam haben, als es den Anschein hat. Das zeigt der Aufruf, "Nicht die menschliche Keimbahn bearbeiten", vom 26. März 2015 im Journal "Nature" [2], der von Leuten "vom Fach" verfaßt wurde, die mit ihrer Arbeit der Genomforschung im allgemeinen den Boden bereiten.

Offenbar soll der Zug weder auf dem einen noch dem anderen Weg aufs Abstellgleis gelenkt werden, so daß den von CRISPR-Cas9 geweckten Begehrlichkeiten bei den menschen- und gesellschaftsmanipulativen Interessen früher oder später entsprochen werden dürfte. Es geht um den Zugriff auf sprichwörtlich den Kern des Menschen und damit seine Verfügbarkeit im Rahmen einer sich auf diese Weise qualifizierenden gesellschaftlichen Verfügungsgewalt. Der Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) ist hierfür ein passendes Beispiel. Im Vereinigten Königreich wird sie unter anderem eingesetzt, "um im Rahmen der künstlichen Befruchtung geeignete Spender für bereits geborene Geschwister zu finden, die aufgrund schwerer Erkrankung einer Stammzelltherapie bedürfen (HLA-matching)", wie das gen-ethische Netzwerk berichtet. [3]

Mit dem administrativen Segen einen Menschen zu schaffen, der, sei er noch ungeboren oder geboren, einem anderen Menschen als Ressource (Stammzellen, Organe, etc.) dienen soll, wird das gesellschaftliche Unten und Oben auf eine Weise befestigen, wie sie bei der Verwertung des Menschen bislang nicht einmal in Sklavengesellschaften erreicht wurde.

Die mit der Manipulation des menschlichen Genoms verfolgten Absichten werden von den meisten Medien verschleiert, indem sie relativieren und vermeintlich Positives neben Negatives setzen. Das zeigen Überschriften wie: "Neues Genwerkzeug - Hoffnung und Horror zugleich" (Die Welt, [4]), "Fluch oder Segen. Erbgut-Manipulation beim Menschen wird einfacher" (3sat [5]), "Tabubruch der Gentechnik? Forscher aus China verändern Erbgut von Embryos" (FOCUS [6]).

Die CRISPR-Cas9-Methode macht sich einen Abwehrmechanismus von Bakterien gegenüber einer Infektion mit Viren zunutze, der in der Kurzversion so beschrieben wird: Das befallene Bakterium schneidet einen Abschnitt aus dem Virus-Genom heraus, baut ihn ins eigene Erbgut ein, stellt davon Kopien her und ist fortan in der Lage, einen Befall mit Viren sofort zu erkennen und abzuwehren, indem deren Genom zerschnitten wird.

Als Entdeckerinnen dieses Mechanismus gelten die Französin Emmanuelle Charpentier, die seit Oktober 2015 Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie ist, die US-Amerikanerin Jennifer A. Doudna, Molekularbiologin an der University of California in Berkeley, sowie deren Arbeitsgruppe. Sie haben erstmals in einer wissenschaftlichen Publikation [7] beschrieben , wie jene Fähigkeit, ein Genom an einer bestimmten Stelle zerschneiden zu können, für Manipulationen wie das Heraustrennen unerwünschter oder umgekehrt das Einbringen erwünschter Gene genutzt werden kann. Man spricht auch von Evolution in Zeitraffer.

Seit der Veröffentlichung der ersten Studien zu diesem Thema vor vier Jahren überschlagen sich die publizierten Perspektiven, was mit der Methode alles möglich sei, angefangen vom Schutz der Pflanzen gegenüber Krankheitserregern bis zur Beseitigung von Erbkrankheiten bei Menschen. Die beiden Forscherinnen wurden schon mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, daß ihnen der als höchste wissenschaftliche Ehrung gehandelte Nobelpreis zuerkannt wird.

Innerhalb der Debatte über die gesetzliche Regelung zu CRISPR-Cas9 in Deutschland und der Europäischen Union, die wohl nicht zufällig sehr viel mehr über die Eingriffsmöglichkeiten bei der weniger verfänglichen Züchtung von Pflanzen statt von Menschen geführt wird, haben sich zwei Hauptlager gebildet. In einem wird gefordert, den Prozeß bzw. das Verfahren, wie etwas neu entstanden ist, zur Rechtsgrundlage zu machen. Das würde bedeuten, CRISPR-Cas9 der von der Gentechlobby als lästig empfundenen Einschränkung durch das Gentechnikrecht zu unterwerfen. Das andere Lager hingegen vertritt den Standpunkt, daß nur das Endprodukt in Betracht zu ziehen sei. Da dieses auch auf natürliche Weise hätte entstehen können, der Unterschied also gar nicht feststellbar sei, sei darauf auch das Gentechnikrecht nicht anwendbar.

Beispielhaft für letztgenannten Standpunkt sei hier Detlef Weigel, Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, genannt. Er schlägt vor, diese sogenannte Genom-Editierung "als eine Variante der Mutationszüchtung" zu betrachten. Der Unterschied zur herkömmlichen Züchtung, bei der ebenfalls versucht werde, Mutationen herzustellen, sei, daß diese nun "gezielt" erzeugt werden. Und weiter: "Der große Vorteil ist, dass dieselbe Art von Veränderungen möglich ist, wie sie bei herkömmlichen Zucht- und Kreuzungsexperimenten vorgenommen werden." [8]

Die Veränderungen sind "möglich", aber es ist eben noch viel mehr möglich. Selbst Weigel beschreibt, daß mittels CRISPR-Cas9 völlig artfremde Gene gezielt in das Genom eingebaut werden könnten, "ähnlich wie in der klassischen Gentechnik". Bereits diese Aussage zeigt, daß sich hinter Bezeichnungen wie CRISPR-Cas9 und Genom-Editing eine enorme Bandbreite potentieller Anwendungsmöglichkeiten und somit auch von damit verbundenen Absichten verbirgt. Die 20- bis 25jährige Geschichte der umstrittenen gentechnischen Veränderung von Pflanzen hat gezeigt, daß ein letztlich auf kommerzielle Erwägungen beruhendes Interesse daran besteht, die Artengrenze zu überschreiten und artfremde (von einer Pflanzenart auf die andere), mitunter sogar gattungsfremde Gene (von Tier auf Pflanze) in Nutzpflanzen einzuzüchten. Warum also sollte plötzlich dieses Interesse der Gentechnikforschung erlahmt sein, wo man doch jetzt ein angeblich viel zielgenaueres und lange Züchtungswartezeiten vermeidendes Verfahren an die Hand bekommen hat?

Davon ist nicht auszugehen. Doch die von der Forschung als einengend empfundene Gentechnikgesetzgebung geht nicht zu weit, sondern greift noch viel zu kurz, eben wegen der Aussichten, die CRISPR-Cas9 bietet. Weigel hingegen behauptet: "Unserer Ansicht nach spielt es keine Rolle, wie eine Pflanzensorte entstanden ist, nur das Endprodukt als solches zählt. Ich finde, es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, Pflanzen, von denen man im Nachhinein gar nicht mehr sagen kann, wie sie entstanden sind, unterschiedlich zu kennzeichnen."

Indem der Wissenschaftler für sich einen "gesunden Menschenverstand" reklamiert, bleibt für alle anderen, die nicht seiner Meinung sind, nur noch, daß sie seiner Meinung nach über keinen solchen verfügen. Darin offenbart sich eine Sichtweise, von der zu befürchten ist, daß sie mehr oder weniger den Konsens der Kolleginnen und Kollegen trifft. Und ausgerechnet diese sogenannten Experten erwarten von der Öffentlichkeit, daß sie sich vertrauensvoll ihren Wertvorstellungen unterwirft?

Vom Standpunkt der Vorsorge aus, wie er eigentlich für die europäische Umweltgesetzgebung selbstverständlich sein sollte, wäre Weigels Argumentation eher ins Gegenteil zu kehren: Eben weil im Nachhinein gar nicht mehr festgestellt werden kann, wie eine Pflanze entstanden ist, obgleich man weiß, daß sie mittels eines künstlichen Mechanismus und nicht natürlich erzeugt wurde, müßten scharfe Bestimmungen erlassen werden.

Das CRISPR-Cas9-System ist noch weitgehend unerforscht. Auch wenn seit der ersten Veröffentlichung zu diesem Thema andere Forschergruppen darauf aufbauend eigene Studien durchgeführt haben, hat sich der Zug gerade erst in Bewegung gesetzt. Bereits zu diesem Zeitpunkt zu sagen, daß das Endergebnis nicht von einer natürlich entstandenen oder konventionell gezüchteten Mutation zu unterscheiden sei, ist mindestens voreilig, wenn nicht fahrlässig.

Würde damit nicht unterstellt, daß in Zukunft mit keinen nennenswerten Erkenntnissen bei der Analyse des Endergebnisses der Züchtungsforschung zu rechnen ist? Ist die Wissenschaft nach vier Jahren in dieser Hinsicht schon an ihre Grenzen gestoßen? Ist auf diesem wichtigen Gebiet, bei dem Mensch und Gesellschaft nach bestimmten Vorstellungen regelrecht geformt werden können, mit nichts Neuem mehr zu rechnen?

Wenn es so wäre, wie ist es dann zu verstehen, daß eine Forschergruppe vor kurzem berichtet hat, sie habe beim Vergleich der Genome von Bakterien ein neues "Naturgesetz" entdeckt? Im Rahmen des DFG-Sonderforschungsbereichs 900 "Chronische Infektionen: Mikrobielle Persistenz und ihre Kontrolle" hat eine Forschergruppe der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) um Professor Dr. Burkhard Tümmler (MHH-Klinik für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie) herausgefunden, daß Mutationen der Proteine einer Regel unterliegen und bevorzugt an denselben Positionen eines Codons, jenes Tripletts aus verschiedenen Nukleotiden, auftreten. Die Forschergruppe spricht von einer "Drei-Basen-Periodizität". Warum es zu dieser Regelmäßigkeit in der Position von Mutationen bei Proteinen kommt, ist noch ungewiß; man hat den Effekt aber beim Vergleich verschiedener Bakteriengenome beobachtet. [9]

Mit diesem Hinweis soll nicht behauptet werden, daß die Entdeckung jenes "Naturgesetzes" die Gefährlichkeit der CRISPR-Cas9-Methode beweist. Vielmehr soll damit auf die Gefährlichkeit einer Denkweise hingewiesen werden, die unterstellt, auch nur annähernd die Folgen dieser Methode allein anhand dessen absehen zu können, was sich nach heutigem Stand der Erkenntnis als "Endergebnis" eines Eingriffs darstellt.

Was das häufiger zur Durchsetzung der Gentechnik vorgebrachte Argument betrifft, daß aufgrund von rechtlichen Einschränkungen der Forschung soundsoviele Menschen gestorben sind, denen hätte geholfen werden können, so ist dem zu entgegnen, daß es wesentlich zugänglichere und wirkungsvollere Wege mit nachweisbaren Resultaten gibt, Menschen, die beispielsweise vermeidbaren Krankheiten erliegen, zu retten, wenn man es denn wollte. Hohe Lizenzgebühren für Medikamente, das Torpedieren der Herstellung preiswerter Generika in Entwicklungs- und Schwellenländern durch die westliche Pharmaindustrie, das von internationalen Geldgebern verordnete Streichen staatlicher Subventionen im Gesundheitsbereich armer Länder, der permanente Brain-drain von Fachkräften aus den Ländern des Südens in den globalen Norden, die unzureichende und stets von Jahr zu Jahr zu erbettelnde finanzielle Ausstattung von UN-Hilfsorganisationen sind einige der in diesem Zusammenhang zu nennenden Beispiele.

Sollte die Debatte dazu führen, CRISPR-Cas9-Eingriffe nicht dem gesetzlichen Regelwerk für gentechnisch veränderte Organismen in der Pflanzenzüchtung zu unterwerfen, dann hätte das natürlich auch Folgen für die Bewertung solcher Manipulationen an Menschen. Die Hast, mit der zur Zeit die Forschung vorangetrieben wird, erweckt den Eindruck, als sollten Tatsachen geschaffen werden, noch bevor die Öffentlichkeit begreift, welch enormes Potential der Pflanzen- und Menschenzüchtung hier in welcher Absicht erschlossen wird. Ein weltweites Moratorium gegen die Verwendung des CRISPR-Cas9-Systems wäre eine Möglichkeit, den Zug noch rechtzeitig auf ein Abstellgleis zu lenken. Der Verlauf der Debatte und das Kreuzen vorgeblich konträrer, in der Konsequenz jedoch an vielen Schnittstellen übereinstimmender Standpunkte läßt allerdings nicht erkennen, daß irgend jemand willens und in der Lage ist, den Hebel umzulegen.


Fußnoten:

[1] http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs13238-015-0153-5

[2] http://www.nature.com/polopoly_fs/1.17111!/menu/main/topColumns/topLeftColumn/pdf/519410a.pdf

[3] http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/160/buero-fuer-technikfolgenabschaetzung-beim-deutschen-bundestag-tab/pid-internationalen-vergle

[4] https://www.welt.de/gesundheit/article142023529/Neues-Genwerkzeug-Hoffnung-und-Horror-zugleich.html

[5] https://www.3sat.de/page/?source=/nano/natwiss/181695/index.html

[6] http://www.focus.de/wissen/mensch/tabubruch-der-gentechnik-chinesische-forscher-veraendern-erbgut-von-embryos_id_4635723.html

[7] http://science.sciencemag.org/content/337/6096/816

[8] https://www.mpg.de/10428736/genom-editierte-pflanzen

[9] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/1873-3468.12431/full

8. November 2016


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