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KLIMA/284: Neue Studie stellt IPCC-Bericht in den Schatten (SB)


Nicht-lineare Effekte nur ungenügend berücksichtigt

Forscher sagen Meeresspiegelanstieg um mehrere Meter bis Ende des Jahrhunderts voraus


Der Meeresspiegel werde in diesem Jahrhundert nicht um Zentimeter bis Dezimeter steigen, wie vor einigen Monaten vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) prognostiziert, sondern um mehrere Meter pro Jahrhundert. Zu dieser Einschätzung gelangten sechs US-Forscher in einem online vorabveröffentlichten Fachartikel der ältesten englischen Wissenschaftspublikation, der "Philosophical Transactions of The Royal Society A" (Vol. 365, Nr. 1856, 15. Juli 2007), deren frühesten Ausgaben auf das Jahr 1665 zurückgehen.

Die jüngsten Treibhausgasemissionen rückten die Erde auf gefährliche Weise in die Nähe eines dramatischen Klimawandels, der außer Kontrolle geraten und eine schwerwiegende Gefahr für Menschen und andere Lebewesen darstellen könnte, schrieben die Forscher. Kohlendioxid (CO2) sei zwar der stärkste anthropogene Klimafaktor, aber andere Treibhausgase seien ebenfalls wichtig. Nur intensive, parallele Anstrengungen zur Abbremsung der CO2-Emissionen und Reduzierung anderer Treibhausgase vermöchten das Klima auch nur in der Nähe dessen zu halten, was sich in den letzten Millionen Jahren auf der Erde abgespielt habe, hieß es.

Eine solch eindringliche Warnung war bislang von renommierten Wissenschaftlern wie James E. Hansen, führender Klimaforscher der US-Raumfahrtbehörde NASA, nur selten zu vernehmen. Die letzten Millionen Jahre habe der Erde mehrfach klimatische Extreme gebracht, die einerseits zum Aussterben zahlreicher Arten führten, andererseits die überlebenden Arten mit einem hohen Maß an Anpassungsfähigkeit ausgestattet hätten, schrieben die Forscher.

In den Kaltzeiten waren sämtliche Hochgebirge weiträumig vergletschert, und eine mächtige Eisdecke erstreckte sich von der Arktis übers heutige Skandinavien bis nach Norddeutschland. Umgekehrt hatte sich während der Warmzeiten das Eis weitgehend zurückgezogen; Fossilienfunde belegen, daß im heutigen Deutschland tropische Tiere und Pflanzen lebten. Sollte die von der Forschergruppe angenommene Entwicklung eintreten, kämen auf die menschliche Gesellschaft Veränderungen zu, die nicht anders als apokalyptisch bezeichnet werden müßten. Sollte sich beispielsweise die Erde so erwärmen, daß sämtliche Eisflächen, einschließlich auf der antarktischen, schmelzen, stiege der Meeresspiegel voraussichtlich um 70 bis 100 Meter.

In ihrer 29seitigen Studie haben die Forscher James Hansen, Makiko Sato, Pushker Kharecha und Gary Russell vom NASA Goddard Institute for Space Studies und dem Columbia University Earth Institute, David W. Lea von der University of California in Santa Barbara und Mark Siddall vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University das Hauptaugenmerk auf verschiedene Rückkopplungseffekte, von denen einige langsam, andere sehr schnell auftreten, gelegt. Beispielsweise reflektiert eine aufgrund der Erwärmung verkleinerte Eisfläche weniger Sonneneinstrahlung und beschleunigt so die weitere Erwärmung und das Abschmelzen von Eismassen.

Die Autoren widersprechen ausdrücklich der IPCC-Prognose, derzufolge die Reduzierung der Eismassen auf Grönland und der Antarktis in diesem Jahrhundert kaum bis gar nicht zum Meeresspiegelanstieg beitragen werde. Die IPCC-Forscher hätten nicht-lineare Vorgänge wie das Abschmelzen von bereits angetauten Eisflächen, die Gletschergeschwindigkeit und den Verlust des Schelfeises nicht angemessen berücksichtigt, hieß es. Deshalb stimmten ihre Ergebnisse auch nicht mit den paläoklimatischen Indizien aus früheren Warmzeiten überein.

Es wäre nicht nur gefährlich, sondern geradezu dumm, so weiterzumachen wie bisher und Treibhausgase ungebremst in die Atmosphäre zu blasen, warnten die Forscher. Was sie als Konsequenz ihrer Erkenntnisse forderten, ist allerdings äußerst unbequem, da wahrscheinlich extrem sozialfeindlich. Bei der Reduzierung von Treibhausgasemissionen ließen sich Steuern auf CO2-Emissionen sicherlich nicht vermeiden, lautet zusammengefaßt die Einschätzung. Das bedeutete aber, daß die finanziell weniger gut gestellten Bevölkerungsschichten am stärksten unter den Klimaschutzmaßnahmen leiden werden.

Weiterhin empfahlen die Forscher drastische Energieeinsparungen, Abkehr von fossilen Energieträgern und den Ausbau regenerativer Energien. Vor allem aber müsse mit allen Mitteln das Treibhausgas Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden. Das verflüssigte Kohlendioxid könne entweder von der Industrie verwendet oder am Meeresgrund gelagert werden.

Die Forscher räumten ein, daß nach wie vor große Unsicherheiten hinsichtlich der künftigen Klimaentwicklung bestehen, aber daß jüngere Studien zeigten, daß die Entwicklungen eher unterschätzt wurden. Mit einem dramatischen Klimawandel ist nach Einschätzung der Forscher nicht in Jahrtausenden, sondern eher Jahrhunderten, womöglich sogar Jahrzehnten zu rechnen.

21. Juni 2007