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KLIMA/288: Weitere Studie - Meeresspiegel steigt stärker an (SB)


Stärkere Schmelzvorgänge der Gletscher und Eisflächen angenommen


In der Klimapolitik und -forschung gelten die Berichte des Zwischenstaatlichen Ausschusses zum Klimawandel (IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change) als Bibel. Dieses von den Vereinten Nationen eingerichtete Fachgremium hat vor einigen Monaten seine jüngsten Ergebnisse, zu denen weltweit mehrere tausend Wissenschaftler beigetragen haben, in drei Einzelstudien vorgestellt. Je nach Klimasimulation wird von einem Meeresspiegelanstieg von 18 bis 59 Zentimetern bis zum Jahre 2100 ausgegangen.

Ähnlich wie es neben der Bibel noch die sogenannten Apokryphen gibt - Schriften, die unter anderem aus kirchenpolitischen Gründen nicht in die "Heilige Schrift" aufgenommen wurden -, treten regelmäßig Wissenschaftler nach der Veröffentlichung der IPCC-Studien an die Öffentlichkeit und berichten, daß darin wichtige Ergebnisse nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wurden.

Das jüngstes Beispiel für solch eine Meldung bot Prof. Mark Meier vom Institut für arktische und alpine Forschung der Universität von Colorado in Boulder. Er und seine Kollegen schrieben vergangene Woche im Wissenschaftsmagazin "Science", daß das Abschmelzen von Gletschern und Eisflächen bis Ende dieses Jahrhunderts deutlich mehr zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen werde als die Schmelzvorgänge von Antarktis und Grönland. Das aber sei im IPCC-Bericht 2007 nicht adäquat berücksichtigt worden.

Die Forscher machten auf die ihrer Ansicht nach vernachlässigte Wirkung von Ebbe und Flut auf die Gletscherzungen aufmerksam. Wo die Gletscher ins Meer mündeten, käme es durch die Gezeiten zu einer Beschleunigung der Fließgeschwindigkeit der Eismassen. Deshalb betrage der Anteil von Gletschern und Eisflächen am gesamten Schmelzwasser, das in die Meere gelangte, jährlich 417 Kubikkilometer und damit global gerechnet 60 Prozent.

In den letzten zehn Jahren habe die Fließgeschwindigkeit der Gletscher deutlich zugenommen, berichteten die Forscher. Demgegenüber läge der Anteil des geschmolzenem grönländischen Eises am Gesamtschmelzwasser bei 28 Prozent und der des antarktischen Eises bei 12 Prozent.

Als Beleg für ihre These dienten Meier und sein Kollege Robert Anderson der Columbia-Gletscher im nördlichsten US-Bundesstaat, Alaska. Jedes Jahr gibt er drei Kubikkilometer Eis an den Prince-William-Sund ab. Der Gletscher ist seit 1980 um 14,5 Kilometer geschrumpft, stellenweise um 400 Meter ausgedünnt und wird sich voraussichtlich in den nächsten beiden Jahrzehnten um die gleiche Menge verkleinern. Damit könne die Schmelzgeschwindigkeit der Eisflächen von Grönland und Antarktis zumindest nicht bis zum Jahr 2100 Schritt halten, glauben die Forscher.

Der "Science"-Studie zufolge wird sich der Meeresspiegel bis 2100 um 10,2 bis 24,1 Zentimeter aufgrund der beschleunigten Schmelzvorgänge erhöhen. Ungefähr der gleiche Betrag käme noch hinzu, da sich die Weltmeere aufgrund der Erwärmung physikalisch ausdehnten. Bei einem Anstieg von 30 Zentimetern würden die Küstenlinien im globalen Durchschnitt um mindestens 30 Meter landeinwärts überspült werden, hieß es.

Selbstverständlich wäre es eine schwere Katastrophe für die Menschheit, wenn sich die riesigen Eismassen auf Grönland und Antarktis auflösten, aber dazu würde es nicht so schnell kommen, gaben sich die Forscher zuversichtlich. Die Kerne der beiden Eispanzer seien derart kalt, daß es lange Zeit brauche, bis sich die Erderwärmung bis dorthin ausgewirkt habe.

Diese Gewißheit muß man nicht teilen. So hatte eine Forschergruppe der US-Raumfahrtbehörde NASA festgestellt, daß es im Südsommer 2005 bei Lufttemperaturen von fünf Grad Celsius auf der Antarktis eine Woche lang einen riesigen See (größer als Deutschland) aus geschmolzenem Wasser gegeben hatte; die Forscher befürchteten, daß sich der Schmelzvorgang in die Tiefe fortgesetzt hat.

Zudem meldeten Forscher vom Britischen Antarktischen Dienst am Vorabend des G8-Gipfels in Heiligendamm eine beschleunigte Gletscherschmelze auf der Westantarktischen Halbinsel. Wiederum andere Forscher berichteten in diesem Jahr von einer Zunahme der eisbedingten Erdbeben in der Antarktis und schlossen ihr Befürchtung an, daß der Eispanzer stärker zerklüftet sei als bislang angenommen. Und abermals andere Forscher haben vor kurzem festgestellt, daß das grönländische Eis von größeren Rissen durchzogen ist als vermutet; daraus wurde die Vermutung abgeleitet, daß Wasser in die Ritzen eindringen und den Untergrund der Eismassen aufweichen könnte. Und zu guter Letzt erklärten führende Klimaforscher (siehe UMKL-284), daß das IPCC "nichtlineare Effekte" nicht angemessen berücksichtigt habe und ihrer Einschätzung nach der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um mehrere Meter steigen könne.

Legt man diese wissenschaftlichen Studien zugrunde, könnte es sein, daß die globale Erwärmung den Kern der beiden Eisschilde zumindest partiell bereits erreicht hat und es deshalb nicht einmal bis Ende dieses Jahrhunderts dauert, bis der Anteil des Schmelzwassers von Grönland und Antarktis wiederum das der übrigen Gletscher und Eisflächen überbietet.

23. Juli 2007