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KLIMA/318: Sind die Sauerstoffverluste der Ozeane klimarelevant? (SB)


Forscher registrieren beschleunigte Ausdehnung sauerstoffarmer Meeresgebiete


Mit der Emission von Treibhausgasen, der Abholzung der Regenwälder und der generellen Verschmutzung der Meere legt der Mensch seine Hand an eine der wichtigsten Lebensvoraussetzungen, den Sauerstoff. Die Erdatmosphäre enthält knapp 21 Prozent dieses existentiell wichtigen Gases. Das ist eine Ressource, die in der Menschheitsgeschichte stets ausreichend zur Verfügung stand, denn pflanzliche Lebewesen zu Wasser und zu Lande sorgten permanent dafür, daß Sauerstoff nachgeliefert wurde, und sie tun es auch heute noch. Atmosphärischer Sauerstoff ist ein Spalt- oder Abfallprodukt des pflanzlichen Stoffwechsels. Allerdings läuft die Sauerstoffversorgung, auf die sich der Mensch so sorglos verläßt, innerhalb eines dynamischen Systems ab, in dem viele Faktoren eine Rolle spielen.

Im Verlaufe der Erdgeschichte hat es anscheinend Phasen mit sehr viel niedrigerer und Phasen mit sehr viel höherer Sauerstoffkonzentration als heute gegeben. Sofern sich die Erdzeitalter mittels indirekter Methoden nachzeichnen lassen, betrug die Sauerstoffkonzentration im Zeitalter des Karbon (vor 250 bis 300 Mio. Jahren) vermutlich 35 Prozent, während es degen beim Perm-Trias-Übergang (vor 200 Mio. Jahren) weniger als 15 Prozent waren. Und während Flora und Fauna im Karbon einen Riesenwuchs verzeichneten - beispielsweise besaßen die Libellen eine Flügelspannweite von 70 Zentimetern -, kam es während des Perm-Trias-Übergangs zum größten bislang bekannten Massensterben unter den Lebewesen.

Wenn das pflanzliche Leben, und hier sind insbesondere die Süß- und Salzwasseralgen zu nennen, die mehr als die Hälfte des Sauerstoffs pro Jahr abspalten, dieses für Menschen lebenswichtige Gas nicht laufend freisetzten, würde seine Konzentration in der Atmosphäre nach und nach zurückgehen. Beschleunigt würde der Schwund selbstverständlich durch alle möglichen Formen des Verbrauchs, beispielsweise durch die Atmung von Mensch, Tier und Pflanzen oder durch Verbrennungsvorgänge in Haushalt, Industrie und Verkehr.

Tatsächlich zeigen genaue Messungen der atmosphärischen Sauerstoffkonzentration, daß diese im umgekehrten Maße abgenommen hat, wie die Kohlendioxidkonzentration (CO2), die für den Klimawandel verantwortlich gemacht wird, gestiegen ist. Das bewegt sich allerdings in einer Größenordnung, die als unbedeutend für die Sauerstoffmenge eingeschätzt wird. Gegenwärtig liegt der CO2-Anteil der Atmosphäre bei etwa 386 ppm (Teile pro Million), also 0,0386 Prozent. Ab 450 ppm rechnen Klimaschützer mit verheerenden Folgen für die Menschheit, aber nicht weil dadurch überlebenswichtiger atmosphärischer Sauerstoff gebunden und damit der Verfügbarkeit entzogen würde, sondern weil CO2 als Treibhausgas wirkt, das die Erderwärmung beschleunigt.

Dennoch beeinflussen die CO2-Emissionen des Menschen die Sauerstoffmenge in der Atmosphäre auf verschiedene indirekte Weise. Denn die Erwärmung der Ozeane - eine Folge des Klimawandels - beeinträchtigt deren Sauerstofffreisetzung, da immer mehr sogenannte Tote Zonen (dead zones) entstehen. Kürzlich berichteten Meeresbiologen der Staatsuniversität von Oregon über ihre Meßergebnisse von der Sauerstoffkonzentration im Nordwestpazifik. Demnach hat dort das Ausmaß des Sauerstoffmangels (Hypoxie) in diesem Jahrzehnt deutlich zugenommen und 2006 seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die an der Studie beteiligte Wissenschaftlerin Prof. Jane Lubchenco sprach von einer "beispiellosen" Situation, die es in den fünf Jahrzehnten des Meßzeitraums nicht gegeben habe.

"In diesem Teil des Ozeans haben wir einen Schwellenwert überschritten. Der sommerliche Sauerstoffgehalt wurde plötzlich viel niedriger als in den letzten 50 Jahren. Und 2006 brach alle Rekorde. Teile des flachen Schelfs wurden faktisch anoxisch, das heißt, es mangelte völlig an Sauerstoff. Das haben wir nie zuvor beobachtet."
(Pressemitteilung der Oregon State University, 15.2.2008)

Die Zone maximalen Sauerstoffverlusts 2006 besaß eine Ausdehnung von 3000 Quadratkilometern, nahm im flachen Bereich des Kontinentalhangs 80 Prozent der Wassersäule ein und hielt sich vier Monate lang. Dieser Sauerstoffverlust ist deshalb so bemerkenswert, weil es sich hier um das California Current Large Marine Ecosystem, eines der ökologisch produktivsten Meeresgebiete der Welt, handelt. Der Sauerstoffverlust ging hier nicht, wie in anderen Toten Zonen weltweit, auf die Einleitung von Nährstoffen aus der Düngung der Landwirtschaft zurück. (Solche Meeresgebiete, in denen es kein Leben gibt, nehmen an Zahl und Ausdehnung zu. 2004 meldete das Umweltprogramm der Vereinten Nationen - UNEP - 149 Tote Zonen, zwei Jahre darauf waren es bereits 200, wobei einzelne sauerstoffarme Gebiete eine Ausdehnung von 70.000 Quadratkilometern erreichten.)

Lubchenco und ihre Kollegen vermuten bezogen auf ihr Untersuchungsgebiet an der Westküste Nordamerikas, daß der Klimawandel stärker anhaltende Winde erzeugt hat, die möglicherweise dafür gesorgt haben, daß das sauerstoffarme Oberflächenwasser längere Zeit im Gebiet des Kontinentalschelfs erhalten blieb. Das habe die Tote Zone erzeugt und zum Siechtum oder gar Massensterben unter Fischen, Krabben, Pflanzen und Korallen geführt. In weiteren Untersuchungen wollen die Forscher prüfen, ob ihre These, daß dieser Effekt mit veränderten Windverhältnissen zu tun hat, zutrifft oder ob noch andere, bislang unbeachtete Einflußgrößen eine Rolle spielen.

Ebenfalls vor kurzem haben Forscher der Universität von Kalifornien in Santa Barbara eine "interaktive Weltkarte" präsentiert, die laufend vervollständigt wird und auf der zu erkennen ist, daß inzwischen fast alle Meeresgebiete von menschlichen Aktivitäten verändert wurden - beispielsweise jener riesige Müllteppich auf dem Pazifik zwischen Hawaii und Japan, der eine Fläche von der doppelten Größe der USA einnimmt.

Das ist der auffällige Teil der gegenwärtigen globalen Veränderungen in den Ozeanen. Bei der Auswertung von Messungen des NASA-Satelliten SeaStar über die Chlorophyllmenge, die von Phytoplankton produziert wird, haben US-Forscher um Jeffrey J. Polovina vom U.S. National Marine Fisheries Service in Honolulu gleichfalls in jüngster Zeit herausgefunden, daß sich jene subtropischen Meeresgebiete, in denen die Chlorophyllmenge aufgrund der Strömungsbedingungen ohnehin gering ist, mit erheblicher Geschwindigkeit zu den höheren Breiten hin ausdehnen. In den "Geophysical Research Letters" (14.2.2008, Vol. 35, L03618) schrieben die Forscher, daß sich diese salzhaltigen Zonen mit ihrem reduzierten pflanzlichen Leben im Atlantik und Pazifik zwischen 1998 und 2007 um 15 Prozent bzw. 6,6 Millionen Quadratkilometer vergrößert haben. Im selben Zeitraum sei die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Ozeane um ein Prozent gestiegen, das entspricht 0,02 bis 0,04 Grad Celsius pro Jahr. Es hat also den Anschein, als ginge mit dem Klimawandel ein Sauerstoffverlust der Ozeane einher.

Wie sind solche Einzelstudien vor dem Hintergrund einer Abschätzung möglicher Veränderungen der atmosphärischen Sauerstoffkonzentration zu bewerten? Bislang liegen keine konkreten Meßergebnisse vor, die befürchten lassen, daß der verfügbare Sauerstoff knapp wird. Die oben erwähnten Studien geben jedoch lediglich einen Ausschnitt aus einem breiten Forschungskomplex wieder, der nahelegt, daß der Mensch gut beraten wäre, wenn er bei der Frage nach dem Klimawandel nicht nur seinen Blick auf die Treibhausgasemissionen oder die Abholzung der Regenwälder richtete, sondern auch sehr genau die ökologisch meist sehr empfindlichen Meeresgebiete im Blick behielte, die ein sauerstoffabhängiges Leben überhaupt erst ermöglichen. Zumal die Wissenschaftler bei der Naturbeobachtung immer wieder auf Schwellenwerte stoßen, nach deren Überschreiten sich ein System plötzlich und fundamental wandelt und nicht wieder auf den alten Wert zurückkommt. Typischerweise kündigen sich solche hochdynamischen Effekte selten an, meist werden sie erst im Nachvollzug festgestellt. Solch einen Vorgang zu registrieren dürfte bei einem so wichtigen Überlebensfaktor wie der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre zu spät kommen.

7. März 2008