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KLIMA/334: Sattsam bekannt - US-Geheimdienstler zum Klimawandel (SB)


Klimawandel und Nationale Sicherheit

Verharmlosende Ausführungen eines US-Geheimdienstexperten vor einem Kongreßausschuß


Wenn in den USA ein ranghoher Geheimdienstanalytiker vor einem Kongreßausschuß über den Fragekomplex Nationale Sicherheit und Klimawandel referiert, sollte man eigentlich erwarten, daß er in medias res geht und berichtet, welche vorbereitenden Maßnahmen die Regierung bereits ergriffen hat oder zu ergreifen gedenkt, um mit den Folgen des Klimawandels zurechtzukommen. Oder sollte man genau das nicht erwarten, eben weil es sich um einen Geheimdienstler handelt? Jedenfalls lieferte Dr. Thomas Fingar, der für Geheimdienstanalysen zuständige stellvertretender Direktor des National Intelligence und Vorsitzender des National Intelligence Council keine wesentlichen neuen Informationen, als er am Mittwoch auf einem gemeinsamen Treffen des House committee on global warming und des House Intelligence subcommittee des US-Kongresses einen Vortrag zum Thema "Einschätzung der Implikationen für die Nationale Sicherheit durch den globalen Klimawandel bis zum Jahr 2030" hielt und die Ergebnisse der geheimdienstlichen Ermittlungen erläuterte [1].

Eine der wichtigsten Grundlagen für die wissenschaftlichen Ausführungen dieser Geheimdienstexpertise bildete laut Fingar der Fourth Assessment Report, den der UN-Klimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) im vergangenen Jahr veröffentlicht hat. Da dessen Ergebnisse hinlänglich bekannt sind, sollen sie an dieser Stelle nicht im einzelnen wiederholt werden. Kernaussage der IPCC-Einschätzung: Die Erderwärmung geht hauptsächlich auf menschliche Aktivitäten zurück; die Erde wird sich bis zum Jahre 2100 um maximal 6,4 Grad Celsius erwärmen, der Meeresspiegel wird um maximal 59 Zentimeter steigen. Niedrigere Werte wurden als wahrscheinlicher angesehen.

Fingar berichtete nun, daß die Subsaharastaaten, der Mittlere Osten sowie Zentral- und Südostasien die schwerwiegendsten Folgen des Klimawandels bis zum Jahr 2030 verzeichnen werden. Davon könnten dann auch die Vereinigten Staaten betroffen sein, die auf Handel und Zugang zu Rohstoffen wie Öl und Gas abhängig seien. Zudem bestände das Problem einer zunehmenden Zahl von Flüchtlingen.

Solche Erläuterungen sind hinlänglich bekannt. Bemerkenswert ist deshalb weniger, zu welchen Schlußfolgerungen der Geheimdienstler gelangt ist - denn die hat man in der ein oder anderen Form schon öfters gehört -, sondern was er unerwähnt läßt und was der Grund dafür gewesen sein könnte. Fingar berichtete zwar, daß die USA genauere Informationen über die Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Länder oder Regionen einholen sollten, aber über solche Forderungen hinausgehend wäre es natürlich interessant zu erfahren, wie sich die US-Geheimdienste konkret dazu stellen, daß sich das Klima wandelt, Millionen Menschen Mangel an Wasser, Nahrung und Energie leiden und deshalb versuchen werden, die klimatisch günstigeren Regionen der Erde zu erreichen.

Obgleich oder gerade weil Fingar solche Fragen nur randläufig erwähnt, muß man davon ausgehen, daß sie von Geheimdiensten, die sich mit Fragen der Nationalen Sicherheit und des Klimawandels befassen, selbstverständlich beachtet werden. Folglich könnte man vermuten, daß die Geheimdienste zu Schlußfolgerungen gelangt sind, die die Öffentlichkeit nicht erfahren soll. Wenn diese Annahme zutrifft, dann wäre zu fragen, um welche brisanten Informationen es sich handeln könnte. Was würden Geheimdienste der Bevölkerung, deren Schutz sie eigentlich verpflichtet sind, verschweigen?

Die Vermutung liegt nahe, daß es sich wahrscheinlich um etwas handelt, mit dem die Öffentlichkeit nicht einverstanden sein wird, also etwas, das gegen ihre Interessen verstößt. Beispielsweise die Möglichkeit des Präsidenten qua seiner Executive Orders, bei einer Naturkatastrophe den Nationalen Notstand auszurufen und das Militär im Landesinnern aufmarschieren zu lassen; oder die Katastrophenschutzbehörde FEMA mit weitreichenden Befugnissen hinsichtlich Bevölkerungskontrolle und Beschlagnahmung von Nahrung, Wasser und anderen Dingen auszustatten.

Durch die Katrina-Katastrophe 2005 in New Orleans und Umgebung wurde die US-Bevölkerung sensibilisiert und achtet seitdem genauer als zuvor darauf, welche Katastrophenschutzpläne ihre Regierung verfolgt. Das tagelange Einsperren einer großen Menschenmenge in den Superdome, das Footballstadion von New Orleans, ohne den Flüchtlingen eine adäquate Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten zukommen zu lassen, könnte man durchaus als beabsichtigten Testlauf für Sozialkontrolle bezeichnen. Schließlich will die Administration planen können, wie sich Menschen in der Not verhalten.

Dies war auch einer der wenigen interessanten, wenngleich typischerweise nur angerissenen Abschnitte in den Ausführungen Fingars. Unter dem Titel "Herausforderungen der Sammlung und Analyse" forderte er "weitere Forschungen, um soziale menschliche Dynamiken auf individueller und gesellschaftlicher Ebene aufzuzeigen". Dazu sei die Fähigkeit unverzichtbar, "soziale, ökonomische (Infrastruktur, Landwirtschaft und Produktion), militärische und politische Modelle zu integrieren". Weitere Forschungen zu diesen Bemühungen - obgleich eine besondere Herausforderung - könnten einen hohen analytischen Wert abwerfen, erklärte Fingar und schloß diesen Teil seiner Rede mit den Worten: "Bis dahin wird die Abschätzung der Zukunft einer gesellschaftlichen Entwicklung notwendigerweise eine von Entwürfen bestimmte Übung und ungenaue Wissenschaft bleiben."

Das menschliche Verhalten im Falle von Problemen, die mit dem Klimawandel auftreten, befindet sich also sehr wohl im Fokus der Geheimdienste. Das könnte bedeuten, daß es ihnen lediglich im allerersten Schritt um das Erstellen einer naturwissenschaftlichen Datengrundlage geht, auf deren Beschreibung sich Fingar in seinem Vortrag weitgehend beschränkt hat. Das wissenschaftliche Fundament für den Klimawandel wurde aber bereits weitgehend vom IPCC zusammengestellt. Und der von dem Geheimdienstler kritisierte Mangel an regionalen Einschätzungen könnte sicherlich einfach behoben werden, denn die CIA hat bereits vor langem Fact Sheets für sämtliche Länder erstellt. Diese müßten nur hinsichtlich der Klimawandelfolgen erweitert werden. Für einen dermaßen gewaltigen Geheimdienstapparat wie den der USA dürfte das eine Kleinigkeit sein.

Somit lassen Fingars Ausführungen letztlich eine unmittelbare Relevanz für die US-Bürger missen - sieht man einmal davon ab, daß die klimawandelbedingte Unsicherheit in den Subsaharastaaten, dem Mittleren Osten und in Asien die Ressourcenansprüche der USA behindern und deshalb mit weiteren Eroberungsfeldzügen ähnlich denen gegen Afghanistan und Irak zu rechnen sein wird. Da die Geheimdienste dem Klimawandel sogar positive Aspekte für Nordamerika abgewinnen und behaupten, sie rechneten mit einer Steigerung der Ernte wegen des wärmeren Klimas, verstärkt dies den Eindruck, als wollten sie potentielle inneramerikanische Konflikte in diesem Kontext vermeiden oder zumindest ihre Antwort darauf nicht zur öffentlichen Diskussion stellen.

Von ungleich größerem Belang wäre es gewesen zu erfahren, welche Schlußfolgerungen die Geheimdienste aus dem Sozialexperiment im Superdome von New Orleans gezogen haben und was sie zukünftig zu unternehmen gedenken, wenn die Dürre in Kalifornien und dem Südosten der USA anhält, die landwirtschaftlichen Anbaugebiete des Mittleren Westens häufiger überschwemmt werden, die Hurrikane im Süden des Landes an Wucht gewinnen und womöglich ganze Völkermassen innerhalb der USA auf Wanderschaft gehen oder in die USA einzuwandern versuchen. Wem fühlen sich die Geheimdienste verpflichtet? Wessen Interessen werden die Sicherheitsbehörden künftig schützen, die der Armen und des verarmten Mittelstands oder die der gesellschaftlichen Funktionsträger und Profiteure des kapitalistischen Raubsystems?


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Anmerkungen:

[1] National Intelligence Assessment on the National Security Implications of Global Climate Change to 2030
http://media.npr.org/documents/2008/jun/warming_intelligence.pdf

27. Juni 2008