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KLIMA/336: Polizei-Razzia im britischen Klima-Camp (SB)


Widerstand gegen neues britischen Kohlekraftwerk

Klima-Camp erfährt Unterstützung durch Wissenschaftler und Abgeordnete


In verschiedenen Ländern der Welt organisieren Klimaschützer in diesem Sommer Camps, in denen Seminare, Workshops und Diskussionsrunden zum Thema Klimawandel und was man dagegen tun kann, abgehalten werden. Die Hansestadt Hamburg hat noch keinen Standort für ein neuntägiges Klima-Camp, das Mitte August beginnen soll, freigegeben [1]. Offenbar versuchen die Behörden, das Engagement der Klima-Aktivisten schon im Vorfeld zu torpedieren, indem sie den Organisatoren die Arbeit so schwer wie möglich machen. Das Klima-Camp in Großbritannien wurde vergangene Woche von der Polizei heimgesucht. Rund 200 Polizeibeamte hatten in dem Zeltlager eine Razzia durchgeführt und Hunderte Gegenstände beschlagnahmt.

Nach Angaben der grünen britischen Abgeordneten Carolyn Lucas, die an dem Klima-Camp teilnimmt, zog die Polizei Rampen für Behinderte, Brettspiele und Feuerschutzausrüstung ein - auf der Website des Camps [2] wurde sogar die Beschlagnahmung von 10 kg selbstgemachte, bioabbaubare Seife gemeldet -, wohingegen Polizeieinsatzleiter Gary Beautridge behauptete, daß seine Beamten Bolzenschneider, Atomkleber und Kletterseile gefunden hätten.

Das Klima-Camp wurde in der Nähe des Standorts für das geplante erste neue Kohlekraftwerk seit 30 Jahren in Großbritannien aufgebaut. Das Unternehmen E.ON will 1,5 Mio. brit. Pfund in den Bau von zwei neuen Kraftwerkseinheiten investieren, die 20 Prozent sauberer sein sollen als die bisherigen Kohlekraftwerke. Damit wären sie allerdings, um in diesem Bild zu bleiben, noch immer dreckiger als andere Energiegewinnungsformen, wie sie den Aktivisten aus dem Klima-Camp als Alternative vorschweben.

225 britische Abgeordnete (davon 75 von der regierenden Labour Party) haben eine Parlamentserklärung gegen das Kingsnorth-Kraftwerk unterzeichnet. In einem Interview mit der Zeitung "The Telegraph" [3] wandte sich auch der frühere Chefwissenschaftler der britischen Regierung, Sir David King, gegen den Bau des Kohlekraftwerks, solange es noch kein Verfahren gibt, die klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen einzufangen.

Unter anderem wegen des Polizeieinsatzes, über den die Mainstream-Presse berichtete, wurde eine der Zielsetzungen der Aktivisten des Klima-Camps bereits erreicht: Sie wollen darauf aufmerksam machen, daß die Verbrennung von Kohle zur Energiegewinnung äußerst klimaschädlich ist und Großbritannien seine Klimaschutzziele verfehlen wird, wenn es das Kraftwerk bei Kingsnorth in der Grafschaft Kent errichtet. Außerdem wird zurecht befürchtet, daß es nicht bei einem neuen, vermeintlich sauberen Kohlekraftwerk bleiben könnte, sollte dieser Entwicklung nicht von Anfang an Einhalt geboten werden.

Am Montag hatten sich schätzungsweise 800 bis 900 Personen in dem Lager eingefunden, im Laufe dieser Woche werden noch viele mehr erwartet. Zu den Teilnehmern, die zumindest zwischenzeitlich erscheinen wollen, gehören auch fünf Personen, die im vergangenen Jahr während des ersten Klima-Camps einen Kohlezug auf dem Weg zum Drax-Kraftwerk "gekapert" hatten. Gegen sie war das Verbot einer Teilnahme am diesjährigen Klima-Camp ausgesprochen worden. Im Falle einer Festnahme droht ihnen eine empfindliche Strafe. Die ursprünglichen Restriktionen hatten sogar vorgesehen, daß die fünf Personen während der Zeit des Klima-Camps unter Hausarrest gestellt werden. Dagegen hatten sie erfolgreich Einspruch erhoben, wie sie in einem Brief berichteten, den die britische Zeitung "The Guardian" veröffentlichte [4].

Das geplante Kohlekraftwerk des Energieversorgers E.ON wird voraussichtlich sechs Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid pro Jahr emittieren und damit den gesamten Ausstoß von Ländern wie Kamerun oder Costa Rica übertreffen. In der Europäischen Union, die sich gern als Vorreiter in Sachen Klimaschutz geriert, könnten in den nächsten fünf Jahren 50 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Damit dürften sich die EU-Ziele zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen als hinfällig erweisen. Oder aber, und das wäre sogar die üblere Alternative, die Regierungen behalten die Reduktionsziele bei, werden aber einerseits Kohlekraftwerke bauen, andererseits rigide, sozialfeindliche Maßnahmen verhängen und die gesamten Kosten zur Aufrechterhaltung des unternehmerfreundlichen Wirtschaftsstandorts namens Europäische Union auf jene abwälzen, die über ein geringes Einkommen verfügen und die Verteuerung von Treibstoff, Heizöl, Gas oder Kohle mit einer Einschränkung ihrer Lebensqualität bezahlen müssen ... oder mit dem Erwerb von dicken Pullovern, wie es ihnen der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin anempfohlen hat.

Wenn die Klima-Camp-Aktivisten vermeiden wollen, daß ihre Maßnahmen die Kluft zwischen arm und reich noch vertiefen oder womöglich geradewegs in eine Ökodiktatur münden, wie sie von den herrschenden gesellschaftlichen Kräften nicht wirksamer hätten installiert werden können, scheint es unverzichtbar zu sein, die sozialen Folgen eines jeden Vorschlags zum Klimaschutz genau zu prüfen. Ansonsten könnte es - beispielsweise - geschehen, daß eines Tages Hartz-IV-Empfänger und Geringerverdienende aus ihren Wohnungen geworfen werden, weil sie nicht für die verlangten Klimaschutzmaßnahmen aufkommen können. Der Kampf gegen die Erderwärmung führt nicht irgendwann im nebenbei zur Hinterfragung der vorherrschenden Gesellschaftsordnung, er beginnt dort.


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Anmerkungen:

[1] http://www.klimacamp08.net/

[2] http://www.climatecamp.org.uk/home

[3] http://www.telegraph.co.uk/earth/main.jhtml?xml=/earth/2008/08/01/eapower101.xml

[4] http://www.guardian.co.uk/environment/2008/aug/02/kingsnorthclimatecamp

5. August 2008