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KLIMA/488: Erderwärmung - Remobilisierung der POPs in der Arktis (SB)


Wiedererwachen des dreckigen Dutzends


Wie in einem Horrorfilm droht der Menschheit Gefahr, wenn sich die Erde erwärmt und das schmilzende Eis Monstrositäten der Vergangenheit freigibt. Zugegeben, dabei handelt es sich um eine dramaturgisch arg überspitzte Beschreibung, aber im Prinzip stimmt sie mit der Kernaussage einer neuen wissenschaftlichen Studie überein: Im arktischen Eis sind Umweltschadstoffe wie Pestizide DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), Lindan und Chlordan sowie Industriechemikalien der PCBs (Polychlorierte Biphenyle) und das Fungizid HCB (Hexachlorbenzol) gebunden - aber nicht für die Ewigkeit, denn das Eis schmilzt schneller, als daß es nach neu aufgebaut wird, gibt die Gifte wieder frei und setzt darüber hinaus Wasserfläche, die zuvor eisbedeckt war, der Sonneneinstrahlung und damit einer höheren Verdunstung aus.

All die genannten Umweltgifte werden als POPs (persistent organics pollutants - langlebige organische Schadstoffe) oder umgangssprachlich als "das dreckige Dutzend" bezeichnet. Seit der 2004 in Kraft getretenen Stockholmer Konvention wird der Gebrauch dieser Giftstoffe verboten bzw. eingeschränkt. Das arktische Eis bildet somit ein historisches Archiv der zeitlich zuordnenbaren Umweltgifte ab, gefördert durch den Umstand, daß diese in den hohen Breiten besonders langsam abgebaut werden.

Eine kanadisch-norwegische Forschergruppe hat nun die Belastung der Erdatmosphäre mit POPs zum einen an der Zeppelin-Forschungsstation in Svalbard und zum anderen an der Alert-Wetterstation in Nordkanada vom Zeitraum 1993 bis 2009 ausgewertet. [1] Zunächst wurde ein Abfall der Schadstoffbelastung beobachtet, ab 2004 aber ein Anstieg. Das hätte nicht geschehen dürfen, denn die Herstellung und Verbreitung der POPs wurde tatsächlich sehr stark eingeschränkt. Als Erklärung dieses Phänomens kommt eigentlich nur in Frage, daß die im eben nicht mehr ewigen, sondern nur befristet bleibenden Eis und den kalten nordischen Gewässern gebundenen POPs in Folge der Eis- und Gletscherschmelze und vor allem des Rückzugs von Meereis erneut in die Atmosphäre gelangen.

Die Forscher vermögen noch nicht abzuschätzen, in welcher Größenordnung mit einer erneuten Vergiftung der Erdatmosphäre aufgrund der Erderwärmung zu rechnen ist. Die möglichen Auswirkungen auf Mensch und Tier soll Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.

POPs sind krebsauslösend, insofern stellt ihre Verbreitung eine akute Gefahr dar. Es gibt noch ähnliche Gefahren im Zuge des Klimawandels, zum Beispiel die Freisetzung anderer Substanzen wie Methan aus dem Permafrostboden. Das beschleunigt die Erderwärmung, da es sich um ein potentes Treibhausgas handelt. Über die Freisetzung von gefährlichen Bakterien oder Viren aus dem Eis hingegen machen sich vor allem Drehbuchautoren Sorgen, was nicht bedeutet, daß diese Gefahr gänzlich zu verwerfen wäre. Aber es bedarf keiner im Eis eingeschlossenen Krankheitserreger, um solche Gefahren aufzuzeigen, denn bereits unter den jetzigen Bedingungen wachsen gefährliche Keime heran gegen die kein Abwehrmittel (mehr) hilft.

Die Stockholmer Konvention gilt als Erfolg eines angeblich gewachsenen Umweltbewußtseins. Die Gefahr einer Remobilisierung der POPs kann nicht mehr verhindert, sondern bestenfalls beobachtet werden. Frühere Generationen sind für ihre Produktion und Verbreitung verantwortlich. Aber heute werden andere potentielle Schadstoffe produziert und ausgebracht, seien es Pestizide beispielsweise bei der Biospritproduktion, radioaktive Substanzen aus der Kernenergienutzung, mikrobiologisch induzierte organische Substanzen im Pflanzenanbau oder nanofeine Materialien mit häufig völlig unbekannten Eigenschaften beispielsweise aus dem Versuch, Oberflächeneigenschaften von industriell hergestellten Gütern zu verbessern. Es stellt sich heraus, daß die Stockholmer Konvention die Verbreitung gefährlicher Substanzen nicht verhindern, sondern legitimieren soll. Solange die Produktionsverhältnisse auf Konkurrenz und Streben nach Profit beruhen, wird Expansion und Wachstum Priorität eingeräumt. Was auf der Negativseite bedeutet, daß der Schutz der Umwelt und damit auch der Menschen, die sich dieser Umwelt nicht entziehen können, nachrangig behandelt wird.

Welche Konsequenzen könnten aus der Remobilisierung der POPs gezogen werden? Kann ausgeschlossen werden, daß die heutige Generation aus der Rückschau einer vielleicht gar nicht fernen Zukunft nicht ebenfalls als unverantwortlich wegen der Emissionen all der vielen Schadstoffe bezeichnet wird?

Fußnoten:

[1] "Revolatilization of persistent organic pollutants in the Arctic induced by climate change", Nature Climate Change, Jianmin Ma, Hayley Hung, Chongguo Tian & Roland Kallenborn, 24. Juli 2011, doi:10.1038/nclimate1167.

26. Juli 2011