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KLIMA/504: Luftschadstoffe Ruß und Ozon sorgen für Ausdehnung der Tropen zu den Polen (SB)


Globale Folgen anthropogener Luftschadstoffemissionen

Forscher schließen mit Computersimulation Lücke zwischen Beobachtung und Modellbildung



Eine internationale Forschergruppe hat anhand einer neuen Computersimulation festgestellt, daß sich die Klimazone der Tropen aufgrund anthropogener Rußemissionen und der Erzeugung troposphärischen Ozons in Richtung der Pole ausdehnt.

An diese Forschungen lassen sich einige Anschlußfragen knüpfen: Welche Folgen hat das für die Nahrungs- und Wasserversorgung in den betroffenen Regionen? Werden sich die semiariden bis ariden Zonen Afrikas bis weit nach Europa hinein ausdehnen? Welche gesellschaftlichen oder akuten humanitären Folgen hat der Klimatrend? Würden absichtlich in die Atmosphäre eingebrachte Aerosole im Rahmen von Geoengineering-Maßnahmen zur Reduzierung der Erderwärmung einen ähnlichen Effekt ausüben oder würden sie umgekehrt den Tropengürtel zusammenschnurren lassen?

In der Klimaforschung gilt es schon länger als nachgewiesen, daß der Abbau des Ozons in der Stratosphäre, der oberen Atmosphäre, beispielsweise durch FCKW-Emissionen die Tropenzone auf der Südhalbkugel polwärts treibt. Erstmals wurde nun von Forschern beschrieben, daß auf der Nordhalbkugel neben dem Ruß auch das troposphärische, also relativ bodennahe Ozon zu den Hauptantriebskräften der meßbaren Ausdehnung der Tropen sind.

Robert J. Allen, Assistenzprofessor für Erdwissenschaften an der Universität von Kalifornien in Riverside, und seine Kollegen aus den USA und Australien prognostizieren im Wissenschaftsmagazin "Nature" [1], daß eine unverminderte Ausdehnung des Tropengürtels das großmaßstäbliche atmosphärische Zirkulationssystem, insbesondere in den Subtropen und mittleren Breiten, beeinflussen wird. "Wenn sich die Tropen polwärts ausdehnen, werden die Subtropen noch trockener", sagte Allen laut einem Bericht der Website ScienceDaily [2]. "Wenn darüber hinaus eine polwärtige Verschiebung der Tiefdruckgebiete (im Original: storm tracks) der gemäßigten Breiten eintritt, wird das die Niederschlagsgebiete in den mittleren Breiten polwärts verschieben, was die regionale Landwirtschaft, Wirtschaft und Gesellschaft beeinflußt."

Nach Erkenntnissen der US-Forscher verbreitern sich die Tropen seit 1979‍ ‍um 0,7 Grad pro Jahrzehnt. Das fand die Gruppe mit dem Simulationsmodell "Coupled Model Intercomparison Project version 3", kurz CMIP3 genannt, das für seine Prognosen zwei Dutzend Klimamodelle heranzog, heraus. Zunächst war der Wert um ein Drittel geringer ausgefallen, aber als die Forscher die Faktoren Ruß und troposphärisches Ozon in die Simulation aufnahmen, wurden die früheren Beobachtungen besser getroffen. Daraus ziehen die Forscher den Schluß, daß jene Luftschadstoffe bei der Ausdehnung der Tropen auf der Nordhalbkugel eine zentrale Rolle spielen. Die Berechnung wurde zudem mit einem weiteren Modell, dem Atmospheric Model des Geophysical Fluid Dynamics Laboratory (GFDL) der Universität Princeton, überprüft und bestätigt.

Ruß und Ozonsmog entstehen bei der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle oder Öl, auch Waldbrände tragen zur ihrer Entstehung bei. Die Luftschadstoffe absorbieren die Sonneneinstrahlung und stärken damit die Erwärmung. Beide Aerosole halten sich nur ein bis zwei Wochen in der Atmosphäre, was zur Folge hat, daß ihre höchste Konzentration in der Nähe ihrer Quellen vorliegt, und das sind die mittleren Breiten der Nordhalbkugel. Allen plädiert deshalb für größere Anstrengungen zur Reduzierung der Rußemissionen und der Produktion von bodennahem Ozon.

Thomas Reichler, früherer Diplomant des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und heute assoziierter Professor für Atmosphärenwissenschaften der Universität von Utah, erklärte laut ScienceDaily [2], daß die neue Studie eine alte Frage, nämlich wie es zur Diskrepanz zwischen Beobachtungen und den Berechnungen der Computermodelle kommt, auf einfache Weise beantwortet habe.

Es war nicht zentraler Gegenstand der hier wiedergegebenen Untersuchung, sich Gedanken über die gesellschaftlichen Konsequenzen zu machen. Aber was die Forscher anhand ihrer Computersimulationen beschreiben, deckt sich mit Prognosen, wie sie seit vielen Jahren den Maßnahmen und Weichenstellungen der Politik zugrundeliegen. Wenn beispielsweise die EU-Kommission zu dem Schluß gelangt, daß sich der Klimawandel als "Multiplizierer" bestehender Konflikte erweisen wird, dann meint sie damit unter anderem eine Verschiebung der Sahelzone nach Norden mit der Folge, daß weite bzw. weitere Teile der mediterranen Regionen dauerhaft von Dürre heimgesucht werden.

Die schwere Wirtschaftskrise in Griechenland, aber auch in Spanien, Italien und Portugal, hat viele Gründe, die nicht unmittelbar mit dem Klimawandel zusammenhängen. Aber dieser könnte die Lage in den Ländern noch verschärfen. Ursprünglich war die Europäische Gemeinschaft (dem Rechtsvorläufer der heutigen Europäischen Union) gegründet worden, damit sich die beteiligten Länder auf dem Agrarsektor nicht gegenseitig das Wasser abgraben und einer für den anderen einsteht. Diese Idee gehört offenbar zu einer anderen Zeit. Heute versucht die führende europäische Wirtschaftsmacht, Deutschland, auch das politische Machtzentrum Europas zu werden. Die Mittelmeeranrainerstaaten, die bereits jetzt einem erhöhten klimatischen Druck ausgesetzt sind, der sich unter anderem der obigen Prognose zufolge in den nächsten Jahren steigern dürfte, geraten innerhalb der Union zu Peripheriestaaten oder werden möglicherweise ganz herausgestoßen. Ähnliche zwischenstaatliche Verhältnisse sind auf anderen Kontinenten zu beobachten.

Die obige Studie rührt auch an einem Thema, das in den letzten Jahren häufiger unter Wissenschaftlern diskutiert wird und unter dem Titel "Plan B" firmiert. Da sich die Regierungen auf keine entscheidenden Maßnahmen zur Begrenzung der CO2-Emissionen einigen können und die globale Erwärmung ungebrochen voranschreitet, könnten eines Tages Notmaßnahmen erforderlich werden: Geoengineering. Dazu zählen Methoden, die Ozeane mit Eisenpulver zu düngen, um das Algenwachstum anzuregen, so daß sie das Treibhausgas CO2 binden und es, wenn sie absterben, dauerhaft am Meeresboden ablagern. Dazu zählen aber auch Überlegungen, Schwefel- oder Titandioxidpartikel in der obere Atmosphäre auszubringen, so daß das Sonnenlicht reflektiert wird, bevor es die Erde erreicht und den Planeten aufheizt. Letztere Methode wäre demnach das Gegenstück zu den ungeregelten Rußemissionen und der Produktion von bodennahem Ozon.

Auf einer Fachtagung rund um den Themenkomplex Aerosole, Vulkanismus, begrenzter Atomkrieg und Geoengineering im vergangenen Jahr am Zentrum für Marine und Atmosphärische Wissenschaften (ZMAW) des KlimaCampus Hamburg [3] herrschte allerdings unter den Teilnehmenden nahezu durchgängig die Ansicht vor, daß die Folgen des absichtlichen Ausbringens von Luftschadstoffen im Rahmen von Geoengineering-Maßnahmen zur Zeit noch unabsehbar sind, geschweige denn daß die zahlreichen politischen Fragen in diesem Zusammenhang beantwortet wären. Die aktuelle Studie zu den Auswirkungen von Ruß und Ozonsmog auf die Klimazonen der Erde und das Niederschlagsmuster in den gemäßigten Breiten läßt die Befürchtung aufkommen, daß mit der absichtlichen Verschmutzung der Luft versucht würde, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.


Fußnoten:

[1]‍ ‍Robert J. Allen, Steven C. Sherwood, Joel R. Norris, Charles S. Zender. Recent Northern Hemisphere tropical expansion primarily driven by black carbon and tropospheric ozone. Nature, 2012; 485 (7398): 350 DOI: 10.1038/nature11097

[2]‍ ‍University of California - Riverside (2012, May 16). Humanmade pollutants may be driving Earth's tropical belt expansion: May impact large-scale atmospheric circulation. ScienceDaily. Abgerufen am 17. Mai 2012.
http://www.sciencedaily.com/releases/2012/05/120516140004.htm

[3]‍ ‍Berichte und Interviews zu der international besetzten Konferenz finden Sie unter UMWELT, REPORT, BERICHT und UMWELT, REPORT, INTERVIEW unter dem wiederkehrenden Titel "Klima, Aerosole - Schadensträger im Fadenkreuz".

18.‍ ‍Mai 2012