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KLIMA/513: Uncle Sam macht sich Sorgen (SB)


Wissenschaftliche Berater der US-Regierung prognostizieren globale Erwärmung um fünf Grad Celsius

Über die alarmierende und zugleich beruhigende Funktion von Klimawandelberichten



Schritt für Schritt werden die Menschen auf den zukünftigen Ernährungsmangel vorbereitet. Kam der globale Preisanstieg 2007, 2008 noch so rasch, daß in mehreren Dutzend Ländern Unruhen ausbrachen und Regierungen ins Wanken gerieten oder gar gestürzt wurden, so wurde aus dieser Entwicklung gelernt. In manchen Regionen bewegen sich die Preise für Lebens- und Futtermittel nach wie vor auf einem hohen Niveau, so daß die davon betroffenen Menschen allen Grund hätten, sich zu erheben. Doch das geschieht nicht bzw. hat andere Formen angenommen. Die sogenannte Arabellion bzw. der arabische Frühling, der unter anderem auf die spürbare Verarmung der jungen Mittelschicht in den nordafrikanischen Ländern zurückging, wurde von hegemonial operierenden Staaten okkupiert und in herrschaftskonforme Fahrwasser gelenkt.

Zeitgleich zu solchen militärisch-interventionistischen Maßnahmen werden die Menschen auch in den relativen Wohlstandsregionen von heute auf den Mangel vorbereitet. Die Griechen, vor wenigen Jahren noch beliebte Gastgeber für Urlaubsreisende aus Deutschland und anderen europäischen Ländern, gelten plötzlich als faul, korrupt und unwillig, die vermeintlich notwendigen Sparmaßnahmen umzusetzen. Vom Standpunkt jener Kräfte aus betrachtet, die von der Qualifizierung der Verfügungsgewalt profitieren und sie aus nämlichem Grund vorantreiben, ist so eine Diskriminierung nützlich. Wer dann auf das Trittbrett des nationalen Ressentiment bzw. des Nationalchauvinismus aufspringt, merkt offenbar nicht, daß es seinesgleichen sind, gegen die er sich wendet, und daß er, ob er nun in Berlin, London, Paris oder irgendeiner anderen Stelle der privilegierten Welt wohnt, mit hoher Wahrscheinlichkeit der Grieche von morgen sein wird.

Die Gewöhnung an den bevorstehenden Mangel erfolgt aber unter anderem auch mittels der Berichterstattung über den Klimawandel und entsprechender Studien zu diesem Thema. Was die Mehrzahl der Wissenschaftler prognostiziert und von den Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft kolportiert wird, sollte eigentlich zu größter Unruhe und grundlegenden Fragen der menschlichen Gesellschaft führen. Aber nicht zu jener Unruhe, die von den herrschenden Interessen geschürt und instrumentalisiert wird, um zum einen innerhalb der Staatenkonkurrenz Diffamierungen auszusprechen und zum anderen vermeintliche Lösungen des Klimawandelproblems in Form individueller Verhaltensanpassungen zu propagieren. Nach dem Motto: Wenn sich nur jeder in Bescheidenheit übt und eine kleine Behausung statt eine geräumige Wohnung mietet, im Winter einen warmen Pullover zusätzlich überzieht, anstatt die Heizung aufzudrehen, seine Mobilität darauf beschränkt, von und zur Arbeit zu fahren sowie allenfalls noch kleine Fahrradausflüge zwecks Regneration der Arbeitskraft zu machen, auf Konsumartikel wie Zigaretten, Schokolade und Kaffee verzichtet, dann können die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindert werden.

Selbstverständlich unter Beibehaltung der vorherrschenden Produktionsweise. Die bleibt unangetastet, mögen auch die Metropolen mit Wirbelstürmen überzogen werden wie unlängst New York oder Regenmassen große Regionen überschwemmen wie in Pakistan oder Eiseskälte sich ausbreiten wie zur Zeit in China. Vorherrschende Produktionsweisen - das bedeutet beispielsweise, daß etwas zum Privateigentum gemacht werden kann. Sei es eine bevorzugte innerstädtische Wohnlage, ein entlegener Naturpark mit hoher Biodiversität, die Rechte über die Wassernutzung von Flüssen und Seen, die Getreideernte oder der tropische Regenwald, aber eben auch grundsätzlich die Ergebnisse menschlicher Arbeitskraft. Privateigentum heißt, anderen wird die Nutzung entzogen - es ist kein Zufall, daß privat von lateinisch "privare" kommt und rauben bedeutet.

Ein geradezu prototypisches Beispiel für die Vorbereitung der Menschen auf die zu erwartenden Klimawandelfolgen bildet der vorläufige Bericht des aus 60 Experten zusammengesetzten National Climate Assessment and Development Advisory Committee (NCADAC), das von der US-Regierung ins Leben gerufen wurde und seine Ergebnisse am 11. Januar präsentiert hat. In der Zusammenfassung lesen wir die aus solchen Anlässen inzwischen üblichen Ankündigungen: Bestimmte Wetterereignisse treten bereits vermehrt und/oder mit größerer Intensität auf. Dazu gehören Hitzewellen, Starkregenfälle und in manchen Regionen Überschwemmungen und Dürren. Der Meeresspiegel steigt, die Ozeane werden saurer, Gletscher und das arktisch Meereis schmelzen. "Diese Veränderungen sind Bestandteil eines Musters des globalen Klimawandels, der hauptsächlich von menschlichen Aktivitäten angetrieben wird." [1]

So bestürzend die geschilderten Einflüsse auf die menschliche Gesellschaft und ihre angenommenen Folgen auch sind, überraschen kann der aktuelle US-Report nicht. Wer die alle paar Jahre erscheinenden Berichte des Weltklimarats (IPCC - International Panel on Climate Change) gelesen und die Debatte beispielsweise auf den UN-Klimaschutzkonferenzen verfolgt hat, kennt die Eckdaten zum Klimawandel. Sogar die Prognose des NCADAC, daß die globale Durchschnittstemperatur in diesem Jahrhundert um fünf Grad Celsius oder mehr steigen könnte, hat man schon mal gehört. Neu ist bestenfalls, daß darüber inzwischen unter Wissenschaftlern ein Konsens zu bestehen scheint. Vor zehn Jahren wäre so eine Prognose noch als Außenseitermeinung eines einzelnen abgetan worden.

Hier kommt die alarmierende und im selben Atemzug beruhigende Funktion solcher Berichte, in denen die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die sozialen Verhältnisse beschrieben werden, zum Tragen. Politiker und andere Leser des Berichts, bei denen es sich vielfach um Multiplikatoren handeln dürfte, werden auf Zeiten des Mangels eingestimmt bzw. transportieren die Botschaft weiter. Dazu gehören Aussagen wie, daß der Klimawandel in vielen Regionen den Wassermangel verstärken und ab Mitte des Jahrhunderts die Ernährungssicherheit in den USA und anderen Ländern gefährden wird. Auch die Meere werden sich verändern, so daß weniger Fisch gefangen wird.

In den anschließenden Kapiteln des Entwurfs werden dann in größerer Detailgenauigkeit Phänomene der globalen Erwärmung beschrieben, vor allem mit Blick auf die Folgen für die Gesellschaft. Das vernimmt sich alles sehr kritisch, und die folgende Aussage hätte auch aus der Feder einer engagierten Umweltschutzgruppe stammen können: Unsere Institutionen und Infrastruktur sind auf das relativ stabile Klima der Vergangenheit ausgelegt, nicht auf die wechselnden Verhältnisse von heute und in der Zukunft. Zudem werden die natürlichen Ökosysteme, die von uns genutzt werden, durch die Wechselverhältnisse herausgefordert. Und dann: "In der Verwendung der wissenschaftlichen Informationen als Vorbereitung auf die kommenden Veränderungen liegen ökonomische Chancen, und ein proaktives Management der Risiken wird mit der Zeit die Kosten senken."

Die "Lösung" - hier noch abstrakt formuliert - wird an wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet, in völliger Ignoranz, daß es die gleichen wirtschaftlich dominierenden Interessen waren, die das Problem des Klimawandels geschaffen haben und in der Zusammenfassung als "menschliche Aktivitäten" bezeichnet wurden. Solange wirtschaftliche Kriterien - und das sind zugleich Kriterien der Verwertung menschlicher Arbeit - im Mittelpunkt der Analyse stehen und nur darüber den politischen Entscheidungsträgern Klimaschutzmaßnahmen schmackhaft gemacht werden sollen, wird immer nur umetikettiert.

Die Zeit der Berichte, die sich auf die Auswirkungen des Klimawandels beschränken, sollte allmählich vorbei sein. Es war niemals mangelhafte Aufklärung, was die Regierungen auf internationalen Klimaschutzkonferenzen davon abgehalten hat, den Standpunkt der Schwächsten unter ihnen einzunehmen und so viel dafür zu tun, daß diese vor den Folgen der Erderwärmung geschützt werden. Wenn sich Uncle Sam Sorgen um das Klima macht - wem gilt dann wohl seine Sorge und wem offenbar nicht? Welche Art aus der Not geborener Weltordnung wird wohl entstehen, wenn nicht grundlegende Fragen zu Gesellschaft und Herrschaft allen Debatten um Klimaschutz vorangestellt werden?


Fußnoten:

[1] http://ncadac.globalchange.gov/

13. Januar 2013