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KLIMA/516: CIA finanziert Harvard-Studie zu Folgen des Klimawandels (SB)


Klimawandel nur eine Frage der nationalen Sicherheit?

Schlapphüte beeinflussen den Diskurs - wie über Bedrohungen durch den Klimawandel nachgedacht wird



Inwiefern betreffen die Folgen des Klimawandels die nationale Sicherheit? Was vor einigen Jahren noch vorwiegend eine Fragestellung von Vertretern politischer, administrativer und militärischer Institutionen war, ist in den Vereinigten Staaten in der Mitte des Wissenschaftsbetriebs angekommen. Das Ausmaß menschlicher Not, hervorgerufen durch die wachsende Zahl an Extremwetterereignissen (Überschwemmungen, Dürren, Wirbelstürme, plötzliche Wetterumschwünge, Kälteperioden und Hitzewellen), wird durch die Brille der Militärs beschrieben und in erster Linie unter dem Gesichtswinkel analysiert, welche Nachteile sich daraus für die eigene Gesellschaft ergeben könnten und wie dieser Gefahr zu begegnen sei.

Ein aktuelles Beispiel für diesen Trend liefert das Center for the Environment der Universität Harvard mit seiner am Montag veröffentlichten, 126 Seiten umfassenden Studie "Climate Extremes: Recent Trends with Implications for National Security" (z. dt.: Klimaextreme - Aktuelle Trends und ihre Implikationen für die nationale Sicherheit), die vom US-Geheimdienst CIA finanziert wurde. [1]

Im Vorwort schreiben die Autoren, daß "Ausmaß und Geschwindigkeit der Klimaveränderungen potentielle Auswirkungen auf Nahrung, Wasser, Energie und die wirtschaftliche Sicherheit" hätten. Die beobachteten Veränderungen im Klimasystem bereiteten den USA immense Sorgen. In naher Zukunft sei aufgrund der Klimaveränderungen mit erheblichen Folgen zu rechnen.

Anschließend stellen die Autoren die Frage, ob die beobachteten Anomalien des Klimas auch im nächsten Jahrzehnt anhalten, ob sie eine Folge natürlicher Schwankungen oder einer globalen Erwärmung seien und schließlich, welche Konsequenzen dies für die "nationalen Sicherheitsinteressen der USA" haben könnte.

Ein besonderes Merkmal dieses Reports, der sich ansonsten nicht von anderen Studien mit ähnlich gelagerter Fragestellung unterscheidet, ist das Bemühen, die Klimawandelfolgen für die nächsten zehn Jahre abzuschätzen. Die große Mehrheit der Untersuchungen geht von einem sehr viel längeren Zeitraum - meist bis zum Jahr 2050 oder 2100 - aus. Durch das zeitliche Heranrücken der Prognose erhält die Studie eine stärkere politische Orientierung, was die Autoren ja auch schon mit dem Titel zum Ausdruck gebracht haben.

"Die ersten Auswirkungen der Klimaextreme als Folge des Klimawandels haben uns schon erreicht und werden im Verlauf des nächsten Jahrzehnts weiter zu spüren sein", heißt es in einer Ankündigung der Studie auf der Internetseite der Universität Harvard. [2] Davon seien die nationalen Sicherheitsinteressen der USA "unmittelbar" betroffen. Im Detail haben die Forscher spezifische regionale Klimaauswirkungen untersucht, die von "besonderer strategischer Bedeutung" für die Vereinigten Staaten sind: Dürre und Desertifikation (Wüstenbildung) in Mexiko, Südwest-Asien und dem östlichen Mittelmeerraum sowie häufigere Überschwemmungen in Südostasien.

Höhere Durchschnittstemperaturen, energiereichere tropische Wirbelstürme, ausgedehntere Dürrezonen, mehr Starkregenereignisse, zunehmende Klimavariabilität, Erwärmung der Arktis und entsprechende Auswirkungen auf die Schnee- und Eisbedeckung sowie die Dauerfrostböden, beschleunigter Anstieg des Meeresspiegels - die Forscher greifen vermutlich auf keine anderen Daten zurück als ihre Kollegen, die in den letzten Jahren eine Zunahme der Wetter- und Klimaextreme prognostiziert haben, aber sie gelangen zu Aussagen, die sich zwar aufdrängen, aber bislang in dieser deutlichen Ausrichtung aus Forscherkreisen selten vernommen wurden.

So erklärt einer der beiden Leitautoren der Studie, Michael McElroy, Gilbert-Butler-Professor für Umweltstudien an der Universität Harvard: "Die Lektionen aus der Vergangenheit sind nicht länger von großem Wert als Leitlinie für die Zukunft. Wahrscheinlich werden unerwartete Veränderungen im regionalen Wetter die neue Klimanormalität bestimmen - und darauf sind wir nicht vorbereitet." [2]

Diese Aussage ist insofern bemerkenswert, als daß sämtliche Klimasimulationen, für die einige der leistungsstärksten Rechnern der Welt eingesetzt werden, selbstverständlich immer nur mit Daten aus der Vergangenheit gefüttert werden können. Da fließen zwar auch Interpretationen sogenannter Proxydaten ein, die aus paläontologischen Funden, Eisbohrkernen, Baumringen, Sedimenten in Tropfsteinhöhlen und vielem mehr, was die Erdgeschichte an Informationen hinterlassen hat, gewonnen wurden und die möglicherweise auf plötzliche Klimaveränderungen schließen lassen. Aber in der gesamten Klimageschichte der Erde gibt es kein Vorbild für die heutige Entwicklung. Die wird maßgeblich von Menschen beeinflußt, und nach allem, was Forscher beobachten, laufen die Veränderungen in einer vergleichslosen Geschwindigkeit ab. Das gilt zum Beispiel für die Versauerung der Meere, das Artensterben und die Zunahme an Treibhausgasemissionen. Folgerichtig weisen Klimasimulationen, in denen immer nur Vergangenes hochgerechnet wird, Unsicherheiten auf.

Darüber sind sich die Forscher durchaus im klaren, deswegen rechnen sie in der Regel nicht nur ein Szenario, sondern zwei, drei oder noch mehr Szenarien durch und geben damit eine Spanne möglicher Entwicklungen an. Interessant hieran ist nun, daß die Klimasimulationen, die noch vor zehn Jahren als Worst-case-Scenario, also als schlimmstmöglicher Fall galten, inzwischen teilweise von der Wirklichkeit ein- oder sogar überholt wurden.

Dieses erkenntnistheoretische Problem haben die Harvard-Forscher natürlich nicht - jedenfalls lassen sie das nicht erkennen. Offenbar in enger Anbindung an das politische Interesse des US-Geheimdienstes CIA empfehlen sie den Ausbau der wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten, um in einer Zeit, da sich die Staaten an den Klimawandel anpassen, "Schlüsselindikatoren zu beobachten, sich entfaltende Ereignisse zu überwachen und vor bevorstehenden Sicherheitsgefahren zu warnen". [2] Auch sollte eine "nationale Strategie zum strategischen Beobachten und Überwachen" unter anderem von Treibhausgas- und Aerosolemissionen, der Meerestemperaturen und der Arktis entwickelt werden.

Ohne eine entsprechende Bemittelung bleiben die notwendigen Maßnahmen sowohl hinsichtlich der Zivilgesellschaft als auch der nationalen Sicherheit, um den Klimawandel zu bremsen und sich an ihn anzupassen, aus, sagte D. James Baker, Leiter des Global Carbon Measurement Program der William J. Clinton Foundation, ehemaliger Administrator der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) und weiterer Leitautor des Reports.

Der vorliegende Bericht ist aus einer Reihe von Workshops mit einer Gruppe international führender Klimaforscher an der National Academy of Sciences der Universität Columbia und dem Harvard University Center for the Environment hervorgegangen. Die Finanzierung durch die Central Intelligence Agency erklärt die spezifische Ausrichtung auf die nationale Sicherheit der USA, und auch Formulierungen wie McElroys "wir sind nicht vorbereitet" passen zum Jargon der Sicherheitsexperten. In dem Report wird die Erklärung abgegeben, daß die Ansichten, Erkenntnisse, Schlußfolgerungen und Empfehlungen die der Autoren sind und sie nicht notwendigerweise den Standpunkt der CIA oder der US-Regierung wiedergeben. Das scheint eher eine Formalie zu sein, zeigt sich doch schon in der Fragestellung die Lesart des Geheimdienstes.

Im September 2009 hatte die CIA sogar ein eigenes Center on Climate Change and National Security gegründet. Dort sollte nicht Wissenschaft zum Klimawandel betrieben werden, sondern man wollte die sozialen Implikationen der Klimawandelfolgen untersuchen. [3] Drei Jahre darauf, im November 2012, hat die CIA das Center wieder geschlossen. Doch wie Geheimdienstsprecher Todd Ebitz in einer Email-Stellungnahme erklärte, werde der Geheimdienst die Sicherheits- und humanitären Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, weiterhin kontinuierlich untersuchen. [4]

Der jetzt veröffentlichte Bericht der Universität Harvard ist offenbar ein Produkt dieser geheimdienstlichen Politik. Die Wissenschaft erhebt den Anspruch, objektiv, wertneutral, allein der reinen, unbestechlichen Suche nach Erkenntnis verpflichtet zu sein. Es darf angenommen werden, daß die beiden Leitautoren McElroy und Baker sowie die elf genannten Personen, die an der Prüfung des wissenschaftlichen Berichts mitgearbeitet haben, davon ausgehen, diesen Anspruch im großen und ganzen zu erfüllen.

Sollte der wissenschaftliche Anspruch der Forscher berechtigt sein, dann hätten sie allerdings übersehen, daß bereits durch die Fragestellung des Reports die Art und Weise, wie über das Problem des Klimawandels gesellschaftlich diskutiert wird, in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. In dem Ansatz, die Folgen der Klimaveränderungen in anderen Weltregionen untersuchen zu wollen, weil es um die eigene nationale Sicherheit geht, steckt der Anspruch, Verfügungsgewalt über die dort lebenden Menschen zu besitzen.

Anstatt die teils katastrophalen Folgen des Klimawandels nur unter dem Aspekt der eigenen nationalen Sicherheit zu betrachten, hätte das Thema ja auch lauten können, wie man den Menschen vor Ort konkret helfen kann, damit sie mit der Entwicklung besser zurechtkommen. Daß eine solche Fragestellung den führenden Nationen fern liegt, zeigen die jährlichen internationalen Klimaschutzkonferenzen unter der Ägide der Vereinten Nationen. Da finden die ärmeren Länder mit ihrem nationalen Sicherheitsanliegen, das keineswegs mit dem der Vereinigten Staaten identisch ist, kein Gehör.

Bemerkenswert ist der vorliegende Harvard-Report nicht aufgrund seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse - da bewegt er sich im konventionellen Rahmen -, sondern wegen der Verknüpfung des Klimawandels mit der nationalen Sicherheit. Es ist gut vorstellbar, daß solche Reports den ideologischen Boden für spätere Verfügungsansprüche des militärisch höchstgerüsteten Staats der Erde gegenüber anderen Weltregionen bereiten. Aus europäischer Perspektive klingt diese Einschätzung vielleicht befremdlich, aus der beispielsweise Brasiliens nicht. Dort befürchtet man tatsächlich, daß die USA, die bekanntlich Südamerika als ihren "Hinterhof" betrachten, versuchen könnten, unter dem Vorwand des Klima- oder Waldschutzes Zugriff auf den Amazonas-Regenwald zu erlangen.


Fußnoten:

[1] http://environment.harvard.edu/sites/default/files/climate_extremes_report_2012-12-04.pdf

[2] http://environment.harvard.edu/climate-extremes

[3] https://www.cia.gov/news-information/press-releases-statements/center-on-climate-change-and-national-security.html

[4] http://green.blogs.nytimes.com/2012/11/20/c-i-a-closes-its-climate-change-office/

14. Februar 2013