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KLIMA/549: Wassernotstand am Baikalsee ausgerufen (SB)


Regionales "Toleranzlimit" überschritten?

Starke Wasserentnahme und schwindender Zufluß lassen den Baikalsee schrumpfen



Am Baikalsee wurde der tiefste Pegelstand seit 60 Jahren registriert. Deshalb rief am Dienstag die Regionalregierung von Burjatien in Sibirien die höchste Alarmstufe aus. Zahlreiche Dörfer im Umfeld des Sees leiden bereits unter dem Wassermangel. [1]

Mit einer maximalen Tiefe von 1642 Metern ist der "Baikal", wie er von Einheimischen in Kurzform genannt wird, der weltweit tiefste See; er enthält ein Fünftel allen flüssigen Süßwassers. Ähnlich wie das Wasser des Aralsees in Zentralasien, dessen Volumen sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts um 90 Prozent verringert hat [2], verschwindet das Wasser des Baikal sowohl aus Gründen der Übernutzung als auch der klimatischen Veränderung. Der Pegelstand liegt inzwischen nur noch acht Zentimeter über den als Minimum zulässigen 456 Metern über dem Meeresspiegel. Deshalb will die Regierung in der kommenden Woche über weitere Maßnahmen zum Schutz des Sees beraten.

Die Energieindustrie fordert, den Grenzwert weiter nach unten zu setzen, so daß sie mehr Wasser entnehmen kann und höhere Einnahmen hat, berichtete der Umweltschützer Arkadij Iwanow vom Greenpeace Baikal-Programm. Doch ein Absenken gefährde die Laichplätze der Fische und verstärke das Algenwachstum. Andere Umweltschützer machen nicht allein die Wasserentnahme, sondern auch die geringen Zuflüsse für das Schrumpfen des Baikalsees verantwortlich, was wiederum mit der starken Abholzung in ihren Einzugsgebieten zu tun habe.

Wassermangel bedeutet nicht nur Mangel an Wasser für die Landwirtschaft und Industrie - unter anderem ein riesiges Aluminiumwerk - sowie Privathaushalte, sondern auch Mangel an elektrischem Strom. So generieren Turbinen im Angarafluß, der das Wasser vom Baikalsee in Richtung Jenissei leitet, Elektrizität für die sibirische Großstadt Irkutsk, die rund 580.000 Einwohner hat. Nicht zuletzt deshalb drängt die Industrie darauf, daß die Wasserentnahme aus dem Baikalsee nicht gestoppt, sondern statt dessen ihr Grenzwert herabgesetzt wird.

Erst vor wenigen Tagen warnte eine Gruppe von 18 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter anderem vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), daß vier von neun "planetaren Grenzen" durch den Einfluß des Menschen global überschritten worden sind, regional seien es sogar noch mehr Grenzen bzw. "Toleranzlimits", beispielsweise beim Süßwasser. [3]

Schwerwiegender, teils akuter Wassermangel herrscht auch in weiten Teilen Nord- und Westchinas, einschließlich der Großregion Peking, den Getreide- und Obstanbaugebieten von Kalifornien und dem Mittleren Westen der USA, Zentralamerika und der brasilianischen Metropole Sao Paulo. Auch Syrien und der Mittlere Osten sowie Zentralaustralien leiden unter chronischem Wassermangel.

Unter der verstärkten Nutzung natürlicher Ressourcen durch die wachsende Weltbevölkerung, die mehrheitlich dem Wirtschaftsmodell des Wachstums anhängt, und klimatischer Veränderungen, die gleichfalls darauf zurückgehen, wandelt sich das Gesicht des Planeten grundlegend. Während ausgerechnet am größten flüssigen Südwasserreservoir der Welt Wasser- und Energiemangel herrscht, bereiten sich gleichzeitig Küstenbewohner aller Kontinente auf das Eindringen von Salzwasser in ihre Lebensbereiche vor. Denn mit der Erderwärmung steigt auch der Meeresspiegel, und Neuberechnungen zufolge ist er in den letzten 25 Jahren schneller gestiegen als bislang angenommen. [4]

Als "planetare Grenzen" bezeichnet das PIK "neun Prozesse und Systeme", welche "die Stabilität und Widerstandskraft des Erdsystems bestimmen - also die Wechselwirkungen zwischen Land, Ozeanen, Atmosphäre und Lebewesen, die zusammen die Umweltbedingungen ausmachen, auf denen unsere Gesellschaften fußen".

Hier wäre zu ergänzen: Aus der Evolutionsgeschichte ist bekannt, daß die Entwicklung auf jene Arten zurückschlägt, die an die Grenzen ihrer Lebensvoraussetzungen stoßen und diese einer zunehmenden Belastung durch Übernutzung der verfügbaren Ressourcen aussetzen.


Fußnoten:

[1] http://www.spacedaily.com/reports/Russia_sounds_alarm_as_Lake_Baikals_water_levels_drop_999.html

[2] http://www.pravda-tv.com/2014/09/satellitenbild-der-woche-ostbecken-des-aralsees-erstmals-seit-mittelalter-trocken/

[3] https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/vier-von-neun-planetaren-grenzen201d-bereits-ueberschritten

[4] http://www.nature.com/nature/journal/vaop/ncurrent/full/nature14093.html

21. Januar 2015


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