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KLIMA/550: Alles fließt ... rascher Massenverlust am drittgrößten Eisschild der Erde (SB)


Der Südosten des Austfonna-Eisschilds auf Spitzbergen dünnt rapide aus



Austfonna, der größte Eisschild des norwegischen Archipels Spitzbergen, ist an seiner südöstlichen Seite innerhalb von zwei Jahren um bis zu 50 Meter dünner geworden. Das entspricht rund einem Sechstel seiner durchschnittlichen Mächtigkeit. Stellenweise fließt das Eis 25mal schneller ins Meer als früher, seine Geschwindigkeit hat von 150 Meter (1995) auf 3,8 Kilometer (2014) pro Jahr zugenommen.

Eine internationale Forschergruppe unter Führung der University of Leeds hatte aktuelle Daten der beiden Satelliten CryoSat und Sentinel-1A, die seit 2010 bzw. April 2014 um die Erde kreisen, ausgewertet, die Meßergebnisse von sechs weiter zurückliegenden Satellitenmissionen hinzugezogen und mit regionalen Klimamodellen abgeglichen. Die Ergebnisse wurden in der vergangenen Woche von dem Forscher Mal McMillan vom Centre for Polar Observation and Modelling (CPOM) der University of Leeds und seinen Kollegen in den "Geophysical Research Letters" vorgestellt. [1]

Schon seit längerem verliert der Austfonna-Eisschild auf der zu Spitzbergen gehörenden Insel Nordaustlandet in seinen Randbereichen Masse; die Ausdünnung ist sogar noch 50 Kilometer weiter im Inneren der Insel zu beobachten und hat sich dem höchsten Punkt des Eisschilds bis auf rund acht Kilometer genähert.

In Spitzbergen ist jedoch die Durchschnittstemperatur in den Sommermonaten in den letzten zwanzig Jahren nicht nennenswert gestiegen, und die Forscher haben auch keinen vermehrten Schmelzwasserabfluß auf der Oberfläche des Eisschilds registriert, mit Ausnahme des Jahres 2013. Außerdem sind auch früher schon, unter anderem in den 1930er Jahren, regionale Klimavariationen aufgetreten, die mit einem vermehrten Massenverlust des Eisschilds aufgrund der gestiegenen Fließgeschwindigkeit des Eises einhergingen.

Allerdings haben die Forscher festgestellt, daß sich das arktische Meereis insbesondere nordöstlich Spitzbergens tendenziell zurückzieht und daß dies mit dem Einströmen relativ warmen Meerwassers aus der westlichen Barentssee zu tun hat. Zwischen 2006 und 2008 lag die Meerestemperatur östlich des Austfonna-Eisschilds um vier Grad Celsius über dem Durchschnitt der vorangegangenen vierzig Jahre, was genau jene Stelle betrifft, in der die Gletscherfließgeschwindigkeit besonders hoch ist. Aus diesen Beobachtungen ziehen die Forscher den Schluß, daß der auf dem Meer aufliegende Austfonna-Eisschild im Südosten der Insel wahrscheinlich deshalb so schnell abfließt, weil er vom warmen Meerwasser unterspült wird. Um das ganz sicher sagen zu können, mangele es aber noch an Daten.

Noch vor gut zehn Jahren verzeichnete der Austfonna-Eisschild in seinem zentralen Bereich einen deutlichen Massenzuwachs. Den Wetteraufzeichnungen zufolge nahm jedoch die Niederschlagsmenge nicht zu. Deshalb vermutete eine britisch-amerikanische Forschergruppe im Jahr 2005, daß die Dicke des zentralen Gebiets des Eisschilds als Folge eines vermehrten Auftretens von Luftfeuchtigkeit gewachsen sein könnte, und es wurde spekuliert, daß aufgrund des Rückzugs des mehrjährigen Meereises an der Ostküste Nordaustlandets die Winde mehr Feuchtigkeit aufnehmen konnten, die sich dann an den höchsten Stellen des Eisschilds niedergelegt hat und angefroren ist. [2]

Es ist bekannt, daß sich die Arktis insgesamt erwärmt und die Eisschilde darauf reagieren. Der Austfonna-Eisschild, der als der drittgrößte der Welt nach denen auf der Antarktis und auf Grönland gilt, ist dabei stärkeren Masseschwankungen unterworfen als seine größeren "Brüder". Auch deswegen ist die aktuelle Studie nicht als Beleg für einen globalen Klimatrend geeignet. Das aufzuzeigen war auch nicht die Absicht der Autoren, und doch erlaubt ihre Beobachtung eine Spekulation zum Klimawandel: Wenn die natürlichen Verhältnisse bereits unter "normalen" Bedingungen einer Erde, die womöglich erst an der Schwelle zu größeren Umbrüchen steht, bereits solchen Schwankungen und Veränderungen unterliegen, zu welch enormen Unwuchten wird es erst kommen, wenn die globale Durchschnittstemperatur um drei, vier oder gar fünf Grad Celsius steigt, wie von Wissenschaftlern für den Fall berechnet, daß die internationale Gemeinschaft sich nicht auf die Einhaltung des sogenannten 2-Grad-Ziels einigen kann?


Fußnoten:

[1] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2014GL062255/pdf

[2] http://tinyurl.com/ltrcklk

29. Januar 2015


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