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KLIMA/555: Globale Erwärmung verstärkt Schadensfolgen von Erdbeben in Nepal (SB)


Erdbeben in Nepal - bitterer Vorgeschmack auf die Welt des Klimawandels


Durch das schwere Erdbeben am 25. April in Nepal, bei dem nach Angaben des nepalesischen National Emergency Operation Centre bislang 5.057 Menschen gestorben, 10.915 verletzt und 454.769 obdachlos wurden [1], sind viele Menschen nicht nur durch einstürzende Gebäude, sondern auch durch Eis-, Geröll- und Schlammlawinen verschüttet worden. Noch haben die Behörden keine Übersicht über die Katastrophenfolgen im gesamten Land, doch gehen sie davon aus, daß Gehöfte, Streusiedlungen und Dörfer in vielen entlegenen Tälern mindestens so schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden wie die Millionenstadt Kathmandu, die nur 80 Kilometer vom Epizentrum entfernt liegt. Die Zahl der Opfer könnte noch auf über 10.000 steigen, zumal immer wieder Nachbeben auftreten.

In Nepal hat sich die Lufttemperatur seit den 1970er Jahren um durchschnittlich rund ein Grad erwärmt. Auch wenn kein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Zahl der Erdbebenopfer und der globalen Erwärmung, die auch vor diesem zentralasiatischen Binnenstaat nicht haltmacht, gezogen werden kann, ist doch klar, daß die Folgen eines Erdbebens in einer Hochgebirgsregion um so gravierender ausfallen, je mehr sich der Permafrost aufgrund der Erwärmung zurückzieht. Die österreichische Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) - Sonnblick Observatorium schreibt über die Empfindlichkeit von Permafrost:

"Eine geringe Veränderung des Klimas führt zu einer deutlichen Änderung der Permafrostbedingungen, was das Phänomen ähnlich wie Gletscher zu einem Klimaindikator macht." [2]

Eis und Gestein, die zuvor vom Klammergriff des Frostes dauerhaft zusammengehalten und stabilisiert wurden, werden gelockert. Tritt dann ein Erdbeben auf, stürzen große Mengen an losem Material ins Tal. (Auf weitere, durchaus relevante Einflüsse auf die Hangstabilität in Nepal wie zum Beispiel Entwaldung wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen.)

Der aktuelle Eisabbruch am Mount Everest, der nach dem Beben mit der Stärke 7,8 auf der Richterskala einen Teil des Basislagers von rund 1000 Bergsteigern weggerissen hat, stammt aus einer Höhe, die zwar großen tages- und jahreszeitlichen Temperaturschwankungen ausgesetzt ist, aber ganz und gar im Permafrostbereich liegt. Der Tod der einheimischen und ausländischen Bergsteiger ist somit definitiv nicht auf den Klimawandel zurückzuführen. Die spektakulären Videoaufnahmen des Ereignisses im Basislager des Mount Everest aber, die im Internet kursieren, veranschaulichen eindrücklich eine der vielen Gefahren, die in einer wärmeren Welt vermehrt zu erwarten wären. So schreibt das Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ) über das aktuelle Erdbeben in Nepal:

"Erdbeben in der Region erzeugen neben den direkten Schäden durch starke Bodenbeschleunigungen während des Bruches häufig sekundäre Gefahren durch Bodenverflüssigungen und Hangrutschungen." [3]

Dabei beschränken sich die Katastrophenfolgen nicht einmal auf diese beiden Gefahren. Wenn die Gletscher schmelzen, können sich Gebirgsseen bilden, deren natürliche Staudämme einer Flutwelle, die von einer in den See stürzenden Lawine ausgelöst wird, nicht standhalten. Zu solchen Gletschersee-Ausbrüchen (Glacial Lake Outburst Flood, GLOF) ist es in Nepal und anderen Hochgebirgsländern schon häufiger gekommen.

Die Nichtregierungsorganisation Germanwatch schreibt in den "Arbeitsblättern" mit dem Titel "Das Abschmelzen der Gletscher - Gletschersee-Ausbrüche in Nepal und der Schweiz", die im vergangenen Jahr in der dritten, überarbeiteten Auflage erschienen sind:

"GLOFs sind kein neues Phänomen, jedoch hat sich mit den steigenden Temperaturen und dem weltweiten Rückzug der Gletscher die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens in vielen Gebirgsregionen erhöht. Das Phänomen veranschaulicht daher auf dramatische Weise die möglichen Folgen der globalen Klimaänderung auf lokaler Ebene." [4]

Die Gletschersee-Fläche im Himalaya weitet sich jährlich um bis zu 25-35 ha aus, heißt es in dem Beitrag. Von 1.466 Gletscherseen (Stand 2012) hätten das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und das "International Centre for Integrated Mountain Development" (ICIMOD) 21 Seen als potentiell gefährlich eingestuft. Einer von ihnen sei der nepalesische Tsho-Rolpa-See, der 4.580 Meter über dem Meeresspiegel liegt und von dem Tradkarding-Gletscher gespeist wird. Dieser Gletscher zieht sich besonders schnell zurück. "Eine Flut aus diesem See könnte schwere Schäden im 108 km flußabwärts liegenden Dorf Tribeni anrichten. Etwa 10.000 Menschenleben, tausende Stück Vieh, landwirtschaftliche Nutzflächen, Brücken und andere Infrastrukturobjekte sind hierdurch bedroht", wird Pradeep Mool, Fernerkundungsspezialist bei ICIMOD, in dem Germanwatch-Bericht zitiert.

Aufgrund von Verschüttungen durch die aktuelle Erdbebenserie können sich in den Gletscherseen und Gebirgsbächen auch kurzfristig neue Staustufen bilden, die vielleicht nach wenigen Tagen, Wochen oder Monaten, in denen niemand auf die Gefahr aufmerksam geworden ist, brechen. Die daraufhin zu Tal stürzenden Wasser- und Geröllmassen stellen für die talabwärts wohnenden Menschen eine enorme Bedrohung dar. Sobald die Monsunregenfälle einsetzen, wird sich in Nepal die Gefahr von Eis-, Schlamm- und Geröllawinen nochmals erhöhen. Dann gerät ins Rutschen, was bislang den seismischen Kräften standgehalten hat.

In den Germanwatch-Arbeitsblättern wurden mit der Schweiz und Nepal gezielt ein Industrie- und ein Entwicklungsland ausgesucht, um zu veranschaulichen, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind, um auf glaziale Gefahren zu reagieren.

Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt. Es hat mit am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen. Erdbeben treten in der Regel nicht als Folge der globalen Erwärmung auf, aber durch sie werden die Auswirkungen von Erdbeben verstärkt. Auch das müßte bei einem internationalen Klimaschutzabkommen, wie es die Staatengemeinschaft im Dezember in Paris beschließen will und das den Anspruch auf Gerechtigkeit erhebt, berücksichtigt werden.


Fußnoten:

[1] https://twitter.com/NEoCOfficial

[2] https://www.zamg.ac.at/cms/de/klima/informationsportal-klimawandel/klimafolgen/permafrost

[3] http://www.eskp.de/geophysikalische-hintergruende-zum-starkbeben-in-nepal/

[4] http://germanwatch.org/de/download/10639.pdf

28. April 2015


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