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KLIMA/571: Auflösung von Methanhydraten an der US-Westküste? (SB)


Methanhydrate - ein Kipp-Element der Erdsysteme

US-Forschergruppe bestätigt frühere Beobachtungen zum deutlichen Aufstieg von Methanblasen vor Oregon und Washington


An den Hängen der Kontinente, weit unterhalb des Meeresspiegels, lagert in zahlreichen Weltregionen Methan, das, sollte es freigesetzt werden, die menschengemachte globale Erwärmung dauerhaft verstärken könnte. Da sich dieses sogenannte Methaneis, bzw. Methanhydrat in einem relativ labilen "Gleichgewicht" befindet, auf das physikalische Faktoren wie Temperatur und Druck den wesentlichen Einfluß haben, zählen es Forscher zu den sogenannten Kipp-Elementen der Erde. [1]

Diese zeichnen sich dadurch aus, daß sie den Effekt, durch den sie ausgelöst werden, noch verstärken. In diesem Fall bedeutet das, daß die Auflösung der Methanhydrate die globale Temperatur erhöhen würde; in der Folge der Aufheizung der Ozeane würden sich weitere Methanhydrate von den Kontinentalhängen lösen, und so weiter. Ein Worst-case-scenario des World Ocean Review besagt, daß sich bei einer gleichmäßigen Erwärmung des Ozeans um drei Grad Celsius etwa 85 Prozent der Methanhydrate auflösen. Beim Methan an der sogenannten Stabilitätsgrenze würde eine Temperaturerhöhung von einem Grad genügen. [2]

Nun berichtet eine Forschergruppe der Universität von Washington, daß vor der Küste der US-Bundesstaaten Washington und Oregon Methanblasen aus dem Meeresboden aufsteigen, und von den 168 Methanquellen, die in den letzten zehn Jahren beobachtet wurden, sich 14 an eben jener Stabilitätsgrenze in einer "kritischen" Wassertiefe von 500 bis 600 Metern befinden. [3]

Ein Teil des freiwerdenden Methans würde bereits im Meeresboden durch Bakterien und Archeen abgebaut (anaerobe Methanoxidation), ein anderer Teil beim Aufstieg durch die Meerwasser zersetzt (aerobe Methanoxidation). Das würde dann nicht zum Treibhauseffekt beitragen, wohl aber zur Versauerung der Meere. Sich zurückzulehnen mit der Hoffnung, daß sämtliches Methan rechtzeitig bakteriologisch abgebaut würde und somit gar keine Klimagefahr bestehe, wäre allerdings voreilig, da man nicht weiß, ob die Mikroorganismen auch größere Mengen Methans unschädlich machen könnten. Außerdem würde dann das Meeresgebiet vor der US-Westküste aufgrund der Mikrobenaktivitäten versauern und unter Sauerstoffmangel leiden, was sich negativ auf die dort lebenden Meerestiere auswirken würde. Das käme zu den Umweltveränderungen, die Washington und Oregon sowieso gegenwärtig erfahren, hinzu.

Man könne eine ungewöhnlich große Zahl an Methanblasen beobachten, die aus eben jener Tiefe aufsteigen, von der zu erwarten ist, daß sich dort die Methanhydrate bei einer Erwärmung des Meerwassers auflösen, berichtete Ozeanographieprofesser H. Paul Johnson von der Universität von Washington. Deshalb sei es unwahrscheinlich, daß das Gas lediglich aus den Sedimenten emittiere. Vielmehr habe es den Anschein, als stamme es von Methanhydraten, die Tausende von Jahren gefroren waren. [4]

Auch wenn einiges dafür spricht, daß Hydrate die Quelle des Methans sind, wurde der Nachweis für diese Hypothese noch nicht erbracht. Die Studie wird im Journal "Geochemistry, Geophysics, Geosystems" der American Geophysical Union veröffentlicht.

Bereits im vergangenen Jahr hatte eine Forschergruppe der Universität von Washington auf die schlummernde Methangefahr an den Kontinentalhängen aufmerksam gemacht und berichtet, daß Methanhydrate im Nordostpazifik weit verbreitet sind und sich das Meeresgebiet in einer Tiefe von rund 500 Metern deutlich erwärmt. Das führte die Forschergruppe auf eine Wärmeblase zurück, die sich vor einigen Jahrzehnten vor der Küste Sibiriens gebildet hatte und mit der Meeresströmung quer über den Ozean nach Osten gewandert war. Den Berechnungen aus der früheren Studie nach entströmen jährlich 100.000 Tonnen Methan allein aus den Sedimenten vor der 250 Kilometer langen Küste Washingtons, was der Menge an Methan entspricht, die 2010 bei der Havarie der Ölplattform Deepwater Horizon freigesetzt worden war.

Mit ihren modernen Sonargeräten können selbst Fischerboote die aufsteigenden Blasen nachweisen, und so fließen die hierbei gewonnenen Daten in die Auswertung der Wissenschaftler ein. Demnach entläßt der Meeresboden in nahezu allen Tiefen Methan, eine deutliche Häufung ist jedoch bei der "kippeligen" Tiefe von 500 Metern zu beobachten.

Die Verstärkung des Treibhauseffekts wäre nicht die einzige Gefahr, die aus sich auflösenden Methanhydraten erwächst. Es könnte auch zu massiven, submarinen Hangabrutschungen kommen, wodurch weitere Hydratfelder destabilisiert werden. Das leiten Forscher aus der sogenannten Storegga-Rutschung ab, bei der vor 8.000 Jahren ein Teil des Hangs vor der norwegischen Küste über eine Strecke von 800 Kilometern in den Atlantik gerutscht war - man vermutet als Ursache ein destabilisiertes Methanhydratgebiet. Dadurch entstand ein Tsunami, der bei den Shetland-Inseln eine Höhe von 20 Metern erreicht hatte.

Wenn aufgrund der globalen Erwärmung der Meeresspiegel steigt, würde das zwar den Druck auf die Methanhydrate verstärken und diese somit stabilisieren, aber wahrscheinlich nicht die Erwärmung kompensieren, heißt es im World Ocean Review.

Methanhydrate gelten als relativ "träges" Kipp-Element, das möglicherweise über Hunderte von Jahren zur Wirkung kommt. An dieser Stelle wäre die Wissenschaft jedoch zu fragen, ob es auch dann noch träge bleibt, wenn die Phase des Umkippens gleich mehrere Erdsysteme zeitgleich betrifft. Beispielsweise würde das Kipp-Element "Verlust des arktischen Meereises" die Erwärmung der Meere forcieren, und das wiederum könnte die Freisetzung des zuvor in Hydraten eingeschlossenen Methans beschleunigen. Auch das Kipp-Element "Auflösen des Permafrostbodens" würde zur Verstärkung dieser beiden Effekte beitragen.

Man könnte also sagen, daß die Kipp-Elemente nicht nur für eine gefährliche Dynamik innerhalb einzelner Erdsysteme stehen, sondern daß sie als Kipp-Element des gesamten Planeten zum Tragen kommen könnten. In diesem Rahmen sind die Beobachtungen zu den Methanblasen an der nordamerikanischen Westküste zu bewerten.


Fußnoten:

[1] https://www.pik-potsdam.de/services/infothek/kippelemente

[2] http://worldoceanreview.com/wor-1/meer-und-chemie/methanhydrate/

[3] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2015GC005955/abstract

[4] tinyurl.com/os38rfw

18. Oktober 2015


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