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KLIMA/613: Der Überflieger (SB)


Völlig abgehoben - Dobrindts Luftverkehrskonzept


Verkehrsminister Alexander Dobrindt verfolgt anscheinend eine streng antizyklische Wirtschaftstheorie. Während sich alle Welt über das Klima sorgt, da es sich gegenwärtig drastisch wandelt, und dringend Maßnahmen gegen die globale Erwärmung fordert, will der CSU-Minister ausgerechnet den Flugverkehr fördern. Bei der Vorstellung seines 30 Seiten umfassenden, neuen Luftverkehrskonzepts, diese Woche Mittwoch teilte er den versammelten Medienvertretern seine bahnbrechende Erkenntnis mit, daß der Luftverkehr "Garant für Mobilität, Wachstum und Beschäftigung" ist. [1]

Was Dobrindt offensichtlich ignoriert: Mindestens 80, wenn nicht 90 Prozent der bekannten Reserven an fossilen Energieträgern dürfen nicht gefördert werden, wollte die Menschheit vermeiden, daß sich das Klima im Laufe der nächsten Jahrzehnte weltweit extrem wandelt. Mit dramatischen Folgen zuerst für die verletzlichsten Regionen, beispielsweise flache Inselstaaten wie Kiribati und Tuvalu oder Staaten mit einer sehr flachen Küste wie Bangladesh, dann auch für die meisten anderen Gebiete.

Trotz der absehbaren Schadensfolgen betet Dobrindt noch immer die seit langem überholte Litanei von Wachstum und Mobilität herunter. Wer im 21. Jahrhundert trotz rapider Eisverluste in der Arktis, eines deutlich steigenden Meeresspiegels und des ungebremsten Anstiegs des CO2-Gehalts der Atmosphäre meint, Wachstum und Mobilität seien von besonderes hohem Wert, interessiert sich allem Anschein nach nicht für die Not der weniger wohlhabenden Staaten.

"Fliegernationen sind Wohlstandsnationen", weiß der Bayer zu berichten. Damit stellte er den Zusammenhang von Wohlstand und Flugverkehr regelrecht auf den Kopf. Wohlstand kommt vor dem Fliegen, nicht umgekehrt. Nur wenige relativ wohlhabende Menschen haben überhaupt die Chance, einmal im Leben mit dem Flugzeug zu fliegen. Inzwischen ist der Luftverkehr für rund fünf Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich - mit deutlich steigender Tendenz. Dies wird von der politischen Klasse nicht einfach nur hingenommen, sondern aktiv unterstützt, wie der Fall Dobrindt beweist.

Selbst das von allen Seiten (allzu gutgläubig) gelobte Klimaschutzabkommen von Paris hat dem Luftverkehr keine Schranken auferlegt. Erst im kommenden Jahrzehnt soll die Branche freiwillige Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Bis dahin arbeitet Dobrindt anscheinend tatkräftig daran, die Luftfahrt von möglichst vielen Auflagen zu entlasten. So sollen Flughäfen "bedarfsgerechte" Betriebszeiten erhalten - gemeint ist selbstverständlich der Bedarf der Fluglinien, nicht jedoch der Bedarf beispielsweise der von einer möglichen Aufhebung des Nachtflugverbots betroffenen Bevölkerung. Auch fordert Dobrindt "Kapazitätserweiterungen" für Flughäfen - also noch mehr Start- und Landebahnen als bisher. Die Luftverkehrssteuer könnte ganz gestrichen werden, erwägt der Minister, der umweltgerechtes Verhalten durch alternative Maßnahmen herbeiführen möchte. Welche das sind, darüber erfährt man nichts Konkretes. Den Luftfahrtunternehmen sollen "Spielräume" verschaffen werden, damit sie weiter investieren können. Das ist Dobrindt wichtig.

Er verspricht sich - besser gesagt, er verspricht der Öffentlichkeit - durch seine Maßnahmen die Sicherung von Arbeitsplätzen. Das ist entweder eine völlig naive, ganz und gar aus der Zeit gefallene oder gezielt ignorante Einschätzung. Denn je leistungsfähiger die Luftfahrtbranche arbeitet und je weitreichender die Digitalisierung von Arbeitsplätzen voranschreitet, desto mehr Personal wird im Zuge dessen abgebaut. Die sogenannte Industrie 4.0, die alle Branchen betrifft, also auch die Luftfahrt, könnte sich als Jobkiller historischen Ausmaßes erweisen. Das bedeutet jedoch nicht, daß sich endlich die technophile Utopie erfüllte und menschliche durch robotische Arbeiter ersetzt werden, damit sich die Menschen den schönen Künsten oder anderen Genüssen des Lebens widmen können. Wer arbeitslos wird, fällt zwar aus dem "System" heraus, wird aber um so enger an die ihm aufgenötigten Auflagen gebunden.

Der Verkehrsminister hat anscheinend einen Hang, bei seinen Vorschlägen und Vorstößen abzuheben, sei es die Freigabe der Straßen für die asphaltzermürbenden Gigaliner, die Einführung der Pkw-Maut oder jetzt das Luftverkehrskonzept.


Fußnoten:

[1] http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2017/061-dobrindt-luftverkehrskonzept.html

4. Mai 2017


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