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KLIMA/685: Globale Wandlungen - vermehrte Nahrungsmitteleinbrüche ... (SB)



Die Zahl der sogenannten "food shocks", bei denen es in bestimmten Regionen zu Einbrüchen der Nahrungsversorgung kommt, hat in den letzten Jahrzehnten sowohl an Land als auch in den Meeren sowie in Aquakulturen zugenommen. Ausgelöst werden diese Einbrüche durch bewaffnete Konflikte, Dürren, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen, aber auch durch Schädlingsbefall, Krankheiten sowie weitere Faktoren. Im Hintergrund vieler dieser Einbrüche steht der Klimawandel, da er bewaffnete Konflikte verschärft, Extremwetterereignisse verstärkt und bestehende Produktionssysteme gefährdet. Nachdem die Zahl der weltweit Hungernden seit der globalen Lebensmittelkrise 2007/2008 jahrelang stetig abgenommen hatte, wird inzwischen im dritten Jahr in Folge wieder ein Anstieg verzeichnet. Das ist ein Hinweis darauf, daß solche "food shocks" ein vermehrt auftretender Begleiter des Klimawandels sein werden.

Angesichts von 842 Millionen Menschen, die nach UN-Angaben gegenwärtig hungern, und zwei Milliarden Menschen, die unterernährt sind, müßte man eigentlich von einem weltumspannenden Dauerschockzustand sprechen. Regionale "food shocks" zu untersuchen könnte zu einer Verkennung des fundamentalen Charakters der existentiellen Notlage beitragen, in der rund ein Drittel der Menschheit steckt. Doch handelt es sich letztlich um zwei verschiedene Dinge. Unter einem Schock wird in diesem Zusammenhang der "plötzliche" Verlust der Nahrungsmittelproduktion verstanden und nicht beispielsweise der chronische Mangel an Nahrung oder das absehbare Auftreten der "lean season", also der mageren Zeit, die häufiger bei afrikanischen Subsistenzbauern zwischen dem Verbrauch der eigenen Vorräte und dem Beginn der neuen Ernte eintritt und die in der Regel mit Hunger verbunden ist.

In der im Journal "Nature Sustainability" veröffentlichten Studie [1] unter anderem der Universität von Tasmanien wird berichtet, daß die "zunehmende Schockhäufigkeit (...) für sich genommen ein Problem der Ernährungssicherheit" darstellt. Jene Einbrüche seit 2010 in Afrika und dem Mittleren Osten hätten entscheidend zum Anstieg der Hungerkurve beigetragen. Unter anderem aus den Statistiken der FAO, der Lebensmittel- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, hat die Forschergruppe über einen Zeitraum von 53 Jahren (1961 - 2013) 226 Nahrungsmittelschocks in 134 Ländern ausfindig gemacht. 22 dieser Länder erlebten innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren mehrere Einbrüche.

Solche Einbrüche der Nahrungsmittelversorgung hängen oftmals zusammen, so daß der plötzliche Verlust in einem Sektor einen ebensolchen Verlust in einem anderen Sektor nach sich zieht, aber nicht zwingend noch im selben Jahr. Klimatische Bedingungen gelten als Hauptfaktor, der die Ernährungssicherheit der Menschen gefährdet. An zweiter Stelle bewaffnete Konflikte. Aber auch die Geopolitik erzeugt Schocks. So erlebte Albanien nach dem Ende sowjetischer Subventionen und dem Wegbrechen seiner Exportmärkte durch die Auflösung des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe im Jahr 1991 erhebliche Produktionsrückgänge beim Getreideanbau, bei der Fischerei und bei Aquakulturen.

Der Beginn des seit Jahren anhaltenden Syrienkonflikts fällt genau in eine Zeit, in der das Land eine Extremdürre erlebt hatte. Daß dann lokale Unruhen in einen Flächenbrand auswuchsen, hatte mit der damaligen Zeit des sogenannten Arabischen Frühlings, aber auch mit der Konfliktverschärfung im Mittleren Osten in Folge des Irakkriegs unter Führung der USA sowie mit schon älteren Plänen Washingtons zum Sturz des rußlandfreundlichen Regimes in Syrien zu tun. Der Klimawandel hat somit den Nährboden für den Umsturzversuch und damit auch für Nahrungsmittelmangel bereitet.

Das Auftreten von plötzlichen Nahrungsmittelengpässen ist starken jährlichen Schwankungen unterworfen. Vergleicht man jedoch Jahrzehnte miteinander, so ist ein deutlicher Anstieg der Häufigkeit zu beobachten, heißt es in der Studie. Sie differenziert sowohl nach Art des Schocks - unterschieden wird nach den vier Kategorien Getreide, Vieh, Fisch und Aquakultur - als auch nach Kontinenten bzw. Großräumen.

Die Gründe für das Auftreten von Schocks wie auch für deren Zunahme sind vielfältig. Beispielsweise können Schocks in der Nutztierhaltung erstens schlicht mit einer besseren Berichterstattung in der heutigen Zeit oder auch mit dem wachsenden Fleischverzehr in Schwellenländern zu tun haben. Aber sie können auch auf die vermehrten Migrationen der Menschen und deren Nutztiere zurückgeführt werden, was zumindest die Ausbreitung von Krankheiten begünstigen kann - Stichwort Globalisierung.

Der Studie zufolge erhalten einige westafrikanische Länder ihre Reisimporte zu über 96 Prozent aus Thailand. In so einer Abhängigkeit sieht die Studie eine Gefahr. Wenn die Reisernte in Thailand einen Schock erleidet, sind davon zugleich eine Reihe weiterer Länder betroffen. Denn die Reduzierung ihres Exports oder gar Verhängung eines Exportstopps sei eine typische Reaktion von Ländern, die von einem Schock beispielsweise bei Getreide getroffen werden.

Es sei erforderlich, Resilienz auf globaler Ebene aufzubauen. Das erfordere mehr proaktive nationale Nahrungsmittel- und Handelspolitiken, heißt es. Es werde im wachsenden Maße wichtiger, in klima-kluge Systeme der Nahrungsmittelproduktion zu investieren, um die Folgen von Extremereignissen abzumildern. Das könne zum Beispiel durch eine Diversifizierung der Nutzpflanzen und -tiere geschehen oder auch durch die Einführung von Agroforstwirtschaft in die Anbausysteme.

Hinter einer weiteren Empfehlung der Studie, offenen und fairen Handel zur Priorität zu machen, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, steht die Vorstellung, daß nicht in allen Weltregionen zugleich Nahrungsmittelschocks auftreten und somit immer irgendwo Nahrung produziert wird, die dann allen Ländern zugute kommt. In der Theorie klingt das gut, allerdings hält sich die Praxis nicht immer daran. So kam es in den Jahren 2007/2008 in mehreren Dutzend Ländern zu Hunger- und Armutsaufständen, Regierungen gerieten ins Wanken oder wurden gestürzt, nachdem die Lebensmittelpreise weltweit stark gestiegen waren.

Einer von mehreren Treibern dieser Katastrophe, bei der die Zahl der weltweit Hungernden auf rund eine Milliarde stieg, waren Spekulationsgeschäfte der Finanzwirtschaft. Es wurden Wetten auf steigende Nahrungsmittelpreise abgeschlossen, die dann tatsächlich stiegen. Durch diese Art von Lenkungseffekten werden genau die Bedingungen geschaffen, die gebraucht werden, damit die Wetten eine gute Quote abwerfen. Davon, daß deswegen Menschen hungern, weil sie sich die hohen Nahrungsmittelpreise nicht mehr leisten können, war in der vorliegenden, über weite Strecken deskripitiv bleibenden Studie allerdings nicht die Rede.


Fußnote:

[1] https://www.nature.com/articles/s41893-018-0210-1?

8. Februar 2019


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