Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/698: Freitagsdemo - es grünt so grün, wenn die Gesetze blühn ... (SB)



Ohne eine breite, beharrliche und weder vor staatlichen Repressionen noch diversen Spaltungsversuchen einknickende Massenbewegung wäre die Bundesrepublik Deutschland nicht aus der Atomenergie ausgestiegen. Über Jahrzehnte hinweg begleiteten dabei Aktionen zivilen Ungehorsams die Proteste.

Freilich hat die Akw-nein-Danke-Bewegung auch dem einen oder anderen grünen Gewächs als Sprungbrett für die persönliche Politikkarriere gedient. Ob Winfried Kretschmann, derzeit für Bündnis 90/Die Grünen Ministerpräsident in Baden-Württemberg, sich von den Wurzeln seiner Partei abgeschnitten hat und nunmehr sein Dasein als Schnittblume in den Vorzimmern der Konzernzentrale von Mercedes Benz bevorzugt oder ob er ideologisch nicht schon zu einer Zeit im Establishment verwurzelt war, als seine Partei noch auf die Straße ging und ein Ende der Atomenergie forderte, ist gar nicht so sehr die Frage. Entscheidend ist das, was er heute sagt und tut, und das hat zumindest mit den Träumen von einst, so man sie ernst nimmt, nichts zu tun.

Nun hat Landesvater Kretschmann gegen "Fridays for Future", die Schulstreikbewegung für Klimaschutz, ausgekeilt, weil sie nicht aufhören will zu streiken. Wie das Magazin "Focus" am Dienstag berichtete, hält er die Klimaschutzproteste zwar für moralisch gerechtfertigt und - das hat er trefflich erkannt - es gehe ja wirklich um die Zukunft der Schüler. ABER: Einmal die Schule zu schwänzen, falle erst mal unter zivilen Ungehorsam. Das sei jedoch ein symbolischer Akt und könne keine Dauerveranstaltung sein. Die Proteste könnten nicht ewig so weitergehen. Wer die Regeln verletze, müsse mit Sanktionen rechnen. Dann dürfe man nicht jammern. [1]

Ziviler Ungehorsam, aber bitte ziviler lautet Kretschmanns Antwort auf die Verweigerung, für ein Leben zu lernen, dessen Zukunft in Frage gestellt ist. Er ist nicht der erste Politiker, der sich negativ über die Schulstreikbewegung äußert. Schon der liberale Christian Lindner hatte ein veritables Eigentor geschossen, als er sinngemäß zwitscherte, daß Klimaschutz was für Profis sei. Die Antwort kam postwendend bzw. wurde zurückgezwitschert. Von Profis. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich zu Tausenden mit der freitäglichen Schulstreikbewegung solidarisiert und nennen sich "Scientists for Future".

Bereits in der bevorzugten Wortwahl, daß die Kinder und Jugendlichen die Schule "schwänzen", zeigt sich die Arroganz gegenüber dem Anliegen derjenigen, die gute Gründe dafür haben, sich ernsthafte Sorgen um ihre Zukunft zu machen. Wenn die Klimawandelfolgen nicht mehr "nur" in den Ländern des Globalen Südens hohe Opferzahlen fordern, wie beispielsweise aktuell der Wirbelsturm Idai in Mosambik, wird sich die Generation Kretschmanns längst aus dem Staub gemacht haben, bzw. zu selbigem zerfallen sein. Für die jungen Menschen von heute gilt das nicht.

Kretschmann läuft Gefahr, mit solchen paternalistischen Äußerungen dem Aufschwung, den die Grünen in den Umfragewerten derzeit erfahren, einen Dämpfer zu verpassen. Längst hat die Schulstreikbewegung dazu aufgerufen, bei den bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament nur jenen Parteien eine Stimme zu geben, die sich für den notwendigen Klimaschutz aussprechen. Bei "Parents for Future", den Eltern der Kinder, die selber noch nicht wählen dürfen, wurde bereits eine Initiative losgetreten, die Kinder entscheiden zu lassen, wen die Erwachsenen wählen sollen.

Die kommende Generation wird erleben, wie sich die Gesellschaft noch weiter spaltet als bisher und sich die Privilegierten in die klimatisch vorteilhaften Regionen zurückziehen, während die große Mehrheit der Bevölkerung um sichere Plätze ringen muß, mit Klimazonen, die teils absolut unwirtlich für den Menschen und seine Mitwelt werden. Millionenstädte werden wegen des steigenden Meeresspiegels in Bedrängnis geraten; der landwirtschaftlichen Produktion werden gravierende Ertragseinbußen prognostiziert.

In Anbetracht der, gemessen an den erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen, Tatenlosigkeit des politischen Establishments in bezug auf die globale Erwärmung stellt der Schulstreik noch eine harmlose, brave Form des Protestes dar. Aber er trifft offenbar den Nerv. Sobald Kinder und Jugendliche der Erwachsenenwelt ihre Bigotterie vor Augen führen, wird es für selbige ungemütlich, und all die Kretschmanns und Lindners kehren den Spießer raus - vom rechten Teil der Gesellschaft, der sich gegenwärtig an der Schulstreikbewegung abarbeitet, ganz zu schweigen.

Als ökolibertärer Ministerpräsident von Baden-Württemberg steht Kretschmann offenbar der profitorientierten Industrie und somit dem klimawandelforcierenden Konsumismus näher als dem Klimaschutz und damit der Zukunft der Heranwachsenden. Für diese macht Schule keinen Sinn angesichts der absehbaren Entwicklungen. Und so wie sich vor über 40 Jahren das "No future!" der Punkband Sex Pistols gegen das Establishment richtete und eine nicht zu stoppende Jugendbewegung rund um den Globus in Gang setzte, ist auch das Motto "Fridays for Future" eine unmißverständliche Absage an die Zukunft der Erwachsenenwelt, die eine Nicht-Zukunft sein wird.


Wahlkampffahrzeug mit Abziehbild von Winfried Kretschmann - Foto: Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]

Die Krawatte ist grün oder: Zwischen Winfried Kretschmann und dem Mercedes Benz paßt kein Blatt Papier.
Foto: Bündnis 90/Die Grünen Baden-Württemberg, CC BY-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/]


Fußnote:


[1] https://www.focus.de/politik/deutschland/kann-nicht-ewig-so-weitergehen-gruener-ministerpraesident-kretschmann-knoepft-sich-klima-demos-vor_id_10538870.html


3. April 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang